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Bild - Verband Bildungsmedien eV

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Schulwahl: Möllemann-Appelhoff/Hendricks/Solzbacher/Timp<br />

Nation und sehen die Ursachen darin weniger im System als –<br />

vielleicht allzu vorschnell – bei der einzelnen Lehrkraft. Dies<br />

führt zu Reibungen und Missverständnissen. Elternarbeit ist<br />

nach wie vor schwierig, und wirklich funktionierende Konzepte<br />

sind noch nicht erfunden.<br />

Etwas Weiteres kommt hinzu: In der eben schon genannten<br />

Studie zur individuellen Förderung haben wir festgestellt, dass<br />

viele Lehrkräfte zunehmend an Selbstbewusstsein verlieren.<br />

Das halte ich für die verheerendste Erkenntnis aus meinen Befragungen<br />

von Lehrern. Sie fühlen sich zunehmend inkompetent<br />

und können das, was sie vermeintlich nicht wissen, im<br />

Zusammenhang mit den zahlreichen Reformen, die an sie herangetragen<br />

werden, auch nur schwer aufholen, da ihnen dazu<br />

die Zeit fehlt – ein Teufelskreis. Gute Schulen und besonders<br />

gute Schulleitungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Lehrkräfte<br />

sich ihres Könnens bewusst sind und wissen, dass sie bei<br />

Problemen die Unterstützung der Schulleitung und der Kollegen<br />

haben. Mit ängstlichen Lehrkräften, denen man sukzessive das<br />

Selbstbewusstsein nimmt, kann man keine Reformen machen,<br />

und solche Lehrkräfte können sich auch nicht fördernd auf<br />

Kinder einlassen.<br />

Dazu gehören auch bildungspolitische Rahmenbedingungen<br />

wie z. B. neue Arbeitszeitmodelle, die einen Zeitrahmen und<br />

Aufgabenstellungen berücksichtigen, die realistisch sind. Wir<br />

müssen die Lehrer so stark machen, dass sie selbstbewusst<br />

diese Reformen tragen können, die wir im Moment von ihnen<br />

erwarten.<br />

Zur Frage, ob es die Entscheidung für eine Schule erleichtern<br />

würde, wenn wir demnächst ein Schul-Ranking aufstellen würden,<br />

kann ich sagen, dass es im Moment noch nicht genügend<br />

Kriterien für ein solches Ranking gibt. Wir wissen viel zu wenig,<br />

wie und auf welcher Grundlage Schulen tatsächlich wirken. Wir<br />

sollten den Lehrern und Lehrerinnen erst einmal die Chance<br />

geben, ihre Schule anhand vorgegebener Kriterien zu entwickeln,<br />

damit wir sie dann ranken können. Viel wichtiger ist<br />

aber, dass wir interne Qualitätsentwicklung betreiben. Danach<br />

muss sehr wohl irgendwann überprüft werden, ob Schule das<br />

auch wirklich leistet, was wir von ihr erwarten. Wenn wir jetzt<br />

konstatieren, dass vieles im Argen liegt, hilft es uns nicht weiter,<br />

alle Beteiligten unter Druck zu setzen, sondern wir sollten<br />

ihnen zunächst den Rücken stärken und das System verbessern.<br />

Meiner Ansicht nach sind wir zum Erfolg verdammt. Wer die<br />

große <strong>Bild</strong>ungseuphorie der 1970er- und 1980er-Jahre miterlebt<br />

hat und feststellen musste, wie sie zu Resignationserscheinungen<br />

gerade bei den Engagierten geführt hat und wie deshalb<br />

lange Jahre nichts mehr aufgebaut werden konnte, der weiß,<br />

dass die Arbeit an der eigenverantwortlichen oder selbstständigen<br />

Schule und das Vorhaben individueller Förderung – zurzeit<br />

die größten Reformen – nicht scheitern darf. Andernfalls droht<br />

uns eine neue lange Resignationsphase, die uns noch hinter das<br />

zurückfallen ließe, was wir jetzt haben. Das ist meine feste<br />

Überzeugung.<br />

STATEMENT<br />

Detlef Timp<br />

Versagensängste<br />

Ein Kind, das erst auf dem Gymnasium war und dann zur Realschule<br />

soll, fühlt sich leicht als Versager abgestempelt, weil es<br />

von seinen Freunden weg muss und ihm zu verstehen gegeben<br />

wird, dass es hier nicht mehr hinpasst. Doch ist die Frage, ob<br />

es sich nicht vorher schon als Versager gefühlt hat. Wenn Sie<br />

ein Kind, wie das der Sauerländer so schön formuliert, „das das<br />

Zeug nicht dafür hat“, auf ein Gymnasium schicken, ist das eine<br />

Quälerei für das Kind. Es führt im Regelfall nicht nur dazu, dass<br />

die Schulnoten nach unten gehen, sondern auch dazu, dass die<br />

Stimmung nach unten geht: Die Kinder schlafen schlecht, sie<br />

weinen, reagieren häufig psychosomatisch, also mit Bauchschmerzen,<br />

mit Schlafstörungen, mit allem Möglichen, was<br />

man so kriegen kann, auch als junger Mensch. Im Übrigen<br />

haben solche Kinder meist nur wenige Freunde in der Klasse,<br />

weil sie ja sowieso die Loser sind und sich selber auch so fühlen.<br />

Sie können auf einer Realschule hervorragende Leistungen<br />

bringen, blühen dort auf, finden auch relativ schnell neuen<br />

Anschluss, und ich kenne einige, die es – mit dem Umweg nach<br />

der Klasse 6 auf die Realschule – nach der Klasse 10 aufs alte<br />

Gymnasium wieder zurückgeschafft und dort dann prima das<br />

Abitur hingelegt haben.<br />

Die Kernfrage ist, wie das Umfeld damit umgeht. Wenn man<br />

diesen „leichteren“ oder anderen Weg über die Schulform Realschule<br />

als Karriereknick betrachtet und das dem Kind zurückmeldet,<br />

dann ist es ein Problem bzw. kann für das Kind zu<br />

einem Problem werden; wenn man dagegen sagt, es ist eigentlich<br />

eine Schulform, die denselben Abschluss bietet wie die<br />

Abschlussklasse 10 am Gymnasium, dann ist es kein Problem,<br />

zumindest kein größeres.<br />

Was können Eltern machen, um ihren Kindern trotzdem irgendwo<br />

das Gefühl zu geben, dass sie etwas leisten, um sie aufzubauen?<br />

Zum einen können sie Druck wegnehmen. Es gibt viele<br />

Schüler mit Prüfungsängsten, die an sich gute Schüler sind,<br />

doch dann wird die Klausur geschrieben, und alles ist weg. Oder<br />

sie sollen an die Tafel kommen und wissen ihren eigenen Vornamen<br />

nicht. Bei Prüfungsängsten muss man sehr genau prüfen:<br />

Habe ich es mit jemandem zu tun, der an sich ein guter<br />

Schüler ist, der gut lernen kann und einfach nur ein Problem<br />

damit hat, dass er geprüft wird? Hier können Eltern nicht sehr<br />

viel machen. Das sollten sie vielleicht besser einem Schulpsychologen<br />

überlassen.<br />

Etwas anderes ist es, wenn ein Schüler sowieso schon schlecht<br />

ist, im unteren Leistungsniveau rangiert und mit massiver Prüfungsangst<br />

reagiert, weil die nächste Arbeit darüber entscheidet,<br />

ob auf dem Zeugnis eine Vier oder eine Fünf steht. Da kann<br />

ich als Elternteil zum einen darauf hinweisen, dass es wenig<br />

sinnvoll ist, zwei Tage vor der Klausur ein bisschen zu lernen<br />

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