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Bild - Verband Bildungsmedien eV

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Wie entwickelt sich Schule? Schneider/Freller/Scheunpflug/Koch<br />

und Lehrkräften. Für ein Kind ist es verheerend, wenn die Schule<br />

Hü und das Elternhaus Hott sagt. Dieses Miteinander sollte<br />

uns besser gelingen. Ich sehe eine große Gefahr darin, dass ein<br />

zu hoher Anteil von Eltern ihrer Erziehungsverantwortung<br />

nicht mehr gerecht wird und die Gesellschaft dafür aufkommen<br />

muss, diese Erziehungsdefizite durch Sozialpädagogen oder<br />

andere zu substituieren. Ich befürchte, dass wir immer stärker<br />

in ein solches Dilemma hineinschlittern. Aber dann muss die<br />

Gesellschaft auch mehr Ressourcen zur Verfügung stellen, um<br />

ihre eigenen Schäden durch die Schule reparieren zu lassen. Mit<br />

den Schulmitteln, die für die <strong>Bild</strong>ung taugen, werden wir das<br />

alleine nicht schaffen.<br />

Im großstädtischen Umfeld mit schwierigen Einzugsgebieten<br />

herrscht eine gewisse Anspannung unter den Lehrern, vor allem<br />

wenn die Elternhäuser nicht mitspielen. Meine Beobachtung ist<br />

die, dass sich die Lehrer teilweise im Stich gelassen fühlen.<br />

Diese Einsamkeit ist etwas, worauf wir besonders reagieren<br />

müssten. Das gilt sowohl für die Schulleitung wie für die Schulaufsicht,<br />

die Elternschaft und für die Gesellschaft insgesamt.<br />

Ein Lehrer, der sich mit seinen Problemen allein gelassen und<br />

nicht verstanden fühlt, wird wahrscheinlich sehr schnell Frustrationsgefühle<br />

entwickeln und aus dem Beruf eher innerlich<br />

aussteigen. Daher halte ich es für notwendig, dass man Lehrkräften<br />

weitaus stärker hilft und sie begleitet, als es bislang der<br />

Fall ist, sowie ihre Leistung besser anerkennt.<br />

Vielleicht müssen wir den Leistungsgedanken im Positiven<br />

gesehen in der Lehrerschaft ein Stück weit mehr verwirklichen,<br />

sprich: mehr Möglichkeiten der Beförderung und Anerkennung<br />

schaffen, als es zum Beispiel bei uns in der Hauptschule der Fall<br />

ist. Dort gibt es eindeutig zu wenig Beförderungsmöglichkeiten.<br />

Mir haben Lehrkräfte gesagt, sie hätten sich 20 Jahre lang<br />

angestrengt, am Wochenende gearbeitet, seien doppelt fleißig<br />

gewesen, hätten Eltern besucht usw., aber sie hätten nach 20,<br />

30 Jahren keinen Euro mehr in der Tasche gehabt als der ein<br />

oder andere Kollege, der das Ganze ziemlich locker angegangen<br />

sei. In diesem Punkt müssen wir zu einer stärkeren Gerechtigkeit<br />

kommen, damit nicht die Guten demotiviert werden, weil<br />

sie sich ungerecht behandelt fühlen.<br />

STATEMENT<br />

Annette Scheunpflug<br />

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es der Erziehungswissenschaft<br />

in den letzten fünf bis zehn Jahren alleine darum<br />

gegangen sei, die Schulwirklichkeit zu vermessen. Timss, Pisa,<br />

Desi und die Vergleichsarbeiten der Länder vermessen unter<br />

jeweils unterschiedlichen Aspekten die Schulwirklichkeit. Mit<br />

dieser Beobachtung ließe sich der Vorwurf verbinden, dass es<br />

Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftlern<br />

eher darum geht, die Sache der Schule zu klären als die<br />

Menschen in ihr zu stärken. Manche Lehrerinnen und Lehrer an<br />

Schulen fühlen sich durch die Schulleistungsforschung wenig<br />

gestärkt. Dieser Vorwurf wird bei Veranstaltungen mit Lehrkräften<br />

nicht selten formuliert.<br />

Dem lässt sich entgegenhalten, dass der messende Blick auf die<br />

Schule die Bedeutung der Stärkung der Persönlichkeit wieder in<br />

den Mittelpunkt gerückt hat. In einer globalisierten Welt, in der<br />

Wissen und der Zugang zu Wissen eine hohe Relevanz haben,<br />

ist die Stärkung der Persönlichkeit nicht unabhängig von deren<br />

Qualifikation zu denken. Schließlich wird der Zugang zu Welt<br />

überhaupt erst ermöglicht, wenn man Lesen, Schreiben und<br />

Rechnen kann. Eine der zentralen Botschaften von Pisa war es,<br />

dass es in Deutschland viel zu viele Jugendliche gibt, die diese<br />

Kompetenz nicht erlernen. Damit wird weder die Stärkung der<br />

Persönlichkeit erreicht, noch werden Menschen in den Stand<br />

gesetzt, Sachen selbstständig klären zu können. Es gelingt in<br />

unserem <strong>Bild</strong>ungswesen offensichtlich nicht, Schulen so zu<br />

gestalten, dass jeder Schüler und jede Schülerin die Möglichkeit<br />

hat, optimal gefördert zu werden.<br />

Diese mangelnde Förderung hat viele Ursachen. Eine der Ursachen<br />

möchte ich Herausgreifen: die fehlende Übernahme von<br />

Verantwortung. Ein afrikanisches Sprichwort sagt, um ein Kind<br />

zu erziehen, brauche es ein ganzes Dorf. Wir haben im Moment<br />

eine Kultur, in der sich eben nicht die gesamte Gesellschaft an<br />

der Erziehung beteiligt. Vielmehr wird diese Verantwortung<br />

jeweils an andere delegiert: von Eltern an Lehrkräfte, von Lehrkräften<br />

an Nachhilfeinstitute oder – über die Politik der Klassenwiederholung<br />

– an die Lehrkräfte darunterliegender Klassen<br />

oder an den Heranwachsenden selbst. In Deutschland gibt es<br />

extrem hohe Quoten der Klassenwiederholung. Dies stärkt<br />

weder die Persönlichkeit, noch klärt es die Sachen.<br />

Das afrikanische Sprichwort lenkt zudem den Blick auf die<br />

Unterstützungssysteme außerhalb des Unterrichts. Welche<br />

Möglichkeiten bietet eine Schule als erziehendes Umfeld? Die<br />

Ganztagsschule ist für manche Schülerinnen und Schüler eine<br />

Option. Konzerte, Theater, Musikbands, Sport, geistliche Veranstaltungen<br />

wie Gottesdienste etc. sind weitere Möglichkeiten.<br />

Tutorensysteme, Hausaufgabenbetreuung, doppelter Lehrereinsatz<br />

in manchen Klassen oder Fächern, Beratungsangebote für<br />

Lehrerinnen und Lehrer sind weitere Möglichkeiten. Im Hinblick<br />

auf eine Verbesserung der Schulkultur lässt sich noch<br />

wesentlich mehr erreichen, als bisher getan wird.<br />

Häufig werden Probleme der Auswahl und der Ausbildung von<br />

Lehrerinnen und Lehrern angesprochen. Werden diejenigen Personen<br />

Lehrerin oder Lehrer, denen es wirklich darum geht, Menschen<br />

zu stärken? In Finnland gehen angehende Lehrerinnen<br />

und Lehrer durch ein Zulassungsverfahren, das wie ein Assessmentcenter<br />

aufgebaut ist. In der Lehrerbildung in Deutschland<br />

gibt es solche Verfahren nicht. Wir bemühen uns in der universitären<br />

Lehrerbildung um eine gute Beratung im Hinblick auf<br />

das Berufsbild des Lehrers und der Lehrerin. Wir bemühen uns<br />

in der Lehrerbildung außerdem darum, sehr schnell, schon in<br />

den ersten Semestern, den Perspektivenwechsel vom Schüler<br />

zum Lehrer zu ermöglichen. Studierende, die an die Universität<br />

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