Zu dumm oder nicht gefördert? Haußmann/Süssmuth/Hüther/Hubertus Blindtext Michael Hüther Michael Hüther, Professor Dr., geb. 1962. Studium der Wirtschaftswissenschaften und Geschichte. Promotion in Wirtschaftswissenschaften. 1987-91 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Gießen. 1991-95 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Stab des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirrschaftlichen Entwicklung; 1995-99 dessen Generalsekretär. 1999-2004 Chefvolkswirt der DekaBank, Frankfurt am Main. Seit 2004 Direktor und Mitglied des Präsidiums des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Peter Hubertus Peter Hubertus, Gründungsmitglied und seit 1995 Geschäftsführer des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung e. V., ist seit 1984 in der Alphabetisierungsarbeit tätig. Seit 1985 leitet er Fortbildungsveranstaltungen. 1985-95 im Vorstand der Schreibwerkstatt für neue Leser und Schreiber e. V. Seit 2006 Mitglied im Patronatskomitee der Stiftung für Alphabetisierung und Grundbildung Schweiz (SAGS). 37
STATEMENT Philipp Haußmann Die ältere Generation hat schon immer über den Werteverfall gejammert und darüber, dass die Jugend nichts mehr lernt. Wir neigen dazu, unsere eigene Schulzeit, unsere eigene <strong>Bild</strong>ung zu verklären. Das findet man in jeder Generation, und je nachdem, wo man sich politisch verortet, stimmt man in dieses Lied ein oder lässt es bleiben. Ich lasse es lieber bleiben, denn wozu soll das führen? Am Anfang der ganzen Diskussion – das möchte ich einmal ganz klar sagen – steht die eindeutige Aussage, dass kein Mensch zu „dumm“ ist, um richtig lesen und schreiben zu lernen. Wer es nicht richtig gelernt hat, ist vielmehr ein Opfer seiner Lebensumstände. eingestehen und den ersten Schritt gehen, sind veritable Helden. Und jeder Einzelne, der da scheitert oder den Schritt überhaupt nicht geht, trägt eine furchtbare Last in seinem Leben. Die Menschen können nicht in die S-Bahn steigen und lesen, wohin sie fahren müssen. Sie haben den Namen des Ziels im Ohr, aber sie können ihn nicht lesen. Wenn wir nun zu der Frage kommen, was zu tun sei, dann kostet das alles, egal welche Lösung man wählt, viel Geld. Dieser Einsicht darf sich die Politik nicht verschließen. Entweder behebe ich das Alphabetisierungsproblem im Erwachsenenalter, was immense Kosten verursacht; in diesem Fall darf es nicht den Kommunen überlassen bleiben, die im Moment die Volkshochschulen fördern. Oder ich löse das Problem bereits in der Grundschule, hier ist Sprachdiagnostik erforderlich – und der Unterricht muss auf der Basis dieser Diagnostik stattfinden. Auch das kostet sehr viel Geld, weil ich die Kinder so behandeln muss, wie sie sind, sie dort abholen muss, wo sie gerade stehen. Es kann eben auch sein, dass ein Kind in einer dritten Klasse überhaupt nicht und das nächste vollständig alphabetisiert ist. „Am Anfang der ganzen Diskussion – das möchte ich einmal ganz klar sagen – steht die eindeutige Aussage, dass kein Mensch zu ,dumm' ist, um richtig lesen und schreiben zu lernen. Wer es nicht richtig gelernt hat, ist vielmehr ein Opfer seiner Lebensumstände.“ Die Gründe hierfür können im Elternhaus, in der Schule, wo auch immer, liegen, und dort müssen wir ansetzen. Was ich besonders dramatisch finde, ist, dass Kinder, die in der dritten, vierten, fünften Klasse ein gewisses Niveau beim Lesen und Schreiben nicht erreicht haben, ein großes Problem haben. Wenn diese Schwierigkeiten dann in der siebten, achten, neunten Klasse nicht gelöst werden, haben die Schüler ein Riesenproblem, und die Kosten für die Behebung des Problems – und die sind nicht nur monetärer, sondern auch psychischer Natur – steigen exponentiell an. Das heißt, wir haben allen Grund, unser Möglichstes zu tun, um – in der ersten Schulklasse, am besten noch in der Vorschule beginnend – der Alphabetisierung ein viel, viel größeres Gewicht zu geben. Wir als Verlag beschäftigen uns weniger mit den volkswirtschaftlich-ökonomischen Kosten, denn wir sind keine Politiker. Wir engagieren uns, da wir die persönlichen Katastrophen wahrnehmen, die dahinter stehen – wenn die Schullaufbahn einmal beendet ist: Wenn man sich mit der Alphabetisierung von Erwachsenen beschäftigt, trifft man auf Menschen, die in einer Weise verzweifelt sind, wie man es sich als Nichtbetroffener überhaupt nicht vorstellen kann. Die Fernsehspots zum Thema Analphabetismus drücken genau diese Verzweiflung aus. Es bedeutet bereits eine Riesenhürde für diese Menschen, überhaupt zuzugeben, dass sie nicht lesen und schreiben können, geschweige denn, einen Kurs zu besuchen und einen Prozess auf sich zu nehmen, der unter Umständen sechs, sieben Jahre dauert, mit einem Ergebnis, das Sie alle hier immer noch für recht wenig bemerkenswert halten würden. Die Menschen, die ihr Problem Wir, das heißt der Klett-Verlag, unterstützen nicht nur die Beratungs-Hotline des Alpha-Telefons, sondern auch den Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V. Geld ist mit dem Thema Alphabetisierung nicht zu verdienen. Wir machen Bücher für Menschen, die per definitionem nicht lesen können, das bedeutet, dass sie sich sehr wenige Bücher in ihren Kursen kaufen werden, das sind Auflagenhöhen, die für uns wirtschaftlich irrelevant sind. Aber darum geht es ja bei diesem Thema auch gar nicht. Als <strong>Bild</strong>ungskonzern haben wir den Auftrag und die gesellschaftliche Verantwortung, hier tätig zu werden und eben nicht nur Lehrwerke für Schüler, für die Erwachsenenbildung oder Wörterbücher herzustellen. Das tun wir seit über 20 Jahren und werden es auch weiterhin tun. Abschließend möchte ich den Wunsch nach einem bundesweiten <strong>Bild</strong>ungsstandard äußern, in dessen Rahmen jedes Kind am Ende der 3. Klasse ein gewisses Niveau beim Lesen und Schreiben erreicht hat. Ausgehend von diesem Standard müssen wir dann die Konsequenzen ziehen für den Unterricht und für die Ausstattung der Schulen, mit Lehrkräften wie mit Geldmitteln. Das wird sehr teuer werden, aber anders geht es eben nicht. 38
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