Bild - Verband Bildungsmedien eV
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Zu dumm oder nicht gefördert? Haussmann/Süssmuth/Hüther/Hubertus<br />
dass es das Phänomen auch in anderen<br />
Ländern gibt. Was aber auffällt, ist, dass<br />
wir in Deutschland in relativ großem<br />
Umfang mit diesem Problem zu kämpfen<br />
haben und dass wir es vor allen Dingen<br />
auch zu lange haben schlummern lassen.<br />
Wir haben es nicht zur Kenntnis genommen,<br />
weil es keine vergleichenden Analysen<br />
gab, die eine Öffentlichkeitswirkung<br />
hergestellt hätten. Es ist immer im Kleinen<br />
spürbar gewesen, aber nie als ein<br />
Befund von gesellschaftlicher Bedeutung.<br />
Durch die Pisa-Daten wissen wir erstmals<br />
überhaupt etwas über die Strukturzusammenhänge,<br />
die zum <strong>Bild</strong>ungsversagen<br />
führen. Wir nennen den Befund, den wir<br />
beschreiben, <strong>Bild</strong>ungsarmut – ein Begriff,<br />
der relativ neu ist und der eigentlich<br />
viel dramatischer zu werten ist als<br />
der Begriff der Einkommensarmut, denn<br />
heutige <strong>Bild</strong>ungsarmut ist im Grunde Ursache für die künftige<br />
Einkommensarmut. Der Unterschied ist nur, dass <strong>Bild</strong>ungsarmut<br />
erst sehr viel später richtig wahrgenommen wird, in der<br />
beruflichen Realität, wenn das Kind eigentlich schon tief in den<br />
Brunnen gefallen ist. Und wenn man nach den Ursachen fragt,<br />
dann ist erkennbar, dass wir es in Deutschland nicht schaffen,<br />
einen negativen, also ungünstigen <strong>Bild</strong>ungshintergrund mit<br />
Blick auf den <strong>Bild</strong>ungserfolg zu neutralisieren. Es ist immer<br />
noch so, dass die soziale Herkunft, das Elternhaus, das Vorhandensein<br />
von Büchern, die Orientierung zur klassischen Musik<br />
etc. dies in besonderer Weise bewirken können. Aus den Pisa-<br />
Daten lässt sich ableiten, dass dort, wo solches im privaten<br />
Umfeld nicht vorhanden ist, in erheblichem Maße Risiken für<br />
den <strong>Bild</strong>ungsverlauf bestehen. Dies bestätigt eine Studie, die<br />
wir zum Thema <strong>Bild</strong>ungsarmut durchgeführt haben.<br />
Wenn wir fragen, was andere Länder besser gemacht haben,<br />
dann ist beispielsweise zu erkennen, dass es uns an effektiven<br />
<strong>Bild</strong>ungsmindeststandards für alle Ebenen der <strong>Bild</strong>ungsbiografie<br />
mangelt. Da stecken wir erst in den Anfängen, und dies findet<br />
dann zunächst auf Länderebene statt, wobei es doch<br />
bundesweit angegangen werden müsste. Allein die Definition<br />
dessen, was zu fordern ist, wurde viel zu lange nicht überall diskutiert.<br />
Der Ausbildungspakt ist in der Tat das erste Vehikel, das<br />
es dahin gebracht hat, einmal zu analysieren, wie es um die<br />
Ausbildungsreife steht.<br />
Das Versagen unseres Schulsystems kostet den Staat und die<br />
Unternehmen direkt und indirekt bis zu sieben Milliarden Euro<br />
pro Jahr. Das, was wir zu Beginn im Schulsystem nicht schaffen,<br />
muss im Erwerbsleben sehr viel teurer nachgesteuert werden.<br />
Angesichts dieser Zahl, sieben Milliarden Euro, hätten wir bei<br />
der Diskussion über frühkindliche Betreuung und Förderung,<br />
wenn wir hierbei effizienter würden, gewaltige Potenziale der<br />
Einsparung.<br />
Foto: Kölnmesse<br />
„Junge Erwachsene zwischen Analphabetismus und Ausbildungsreife“ mit Philipp Haußmann, Professor<br />
Dr. Rita Süssmuth, Peter Hubertus und Professor Dr. Michael Hüther (v.l.n.r.). Rechts im <strong>Bild</strong><br />
Moderator Ralf Häder.<br />
Dass wir hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben, ist auf<br />
zweifache Weise ein ökonomisches Problem, einmal im Hinblick<br />
auf die Kosten, die wir aufgrund von frühen Versäumnissen für<br />
spätere kurative Maßnahmen aufwenden müssen. Und das<br />
Zweite ist, dass uns jeder, der aufgrund des Versagens des <strong>Bild</strong>ungssystems<br />
nicht angehalten und angeleitet wurde, seine<br />
Fähigkeiten auszuschöpfen, ganz nüchtern betrachtet in der<br />
Wertschöpfung fehlt. Und in einer Volkswirtschaft, die mit<br />
einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung fertig werden<br />
muss, ist Humankapital – ich verwende diesen Begriff, auch<br />
wenn er strittig ist, da die Ökonomen ihn als Fachbegriff<br />
gebrauchen – ein knappes Gut. Und wenn diese Ressource<br />
knapp wird, müssen wir eine Antwort darauf finden. Wir haben,<br />
ganz schlicht gesprochen, eine Wachstumsbremse. Wenn uns<br />
Fähigkeiten nicht in dem Maße zur Verfügung stehen, wie wir<br />
sie brauchen, wird es Engpässe geben. Und wenn Sie derzeit auf<br />
den Arbeitsmarkt schauen, können Sie an dieser Stelle ein<br />
erstes Flattern erkennen.<br />
Deshalb ist es ökonomisch ungeheuer wichtig, dass wir wirklich<br />
von Grund auf anfangen. Die Frage, die wir im Augenblick<br />
öffentlich diskutieren, wird mir viel zu sehr auf Betreuung<br />
fokussiert. Es geht um frühkindliche <strong>Bild</strong>ung. Frau Ministerin<br />
von der Leyen ist auf dem richtigen Weg, wenn sie bei den Vierjährigen<br />
deren Sprachfähigkeit feststellen möchte. Warum können<br />
wir uns nicht zügig bundesweit auf eine Sprachstandserhebung<br />
bei Vierjährigen einigen und dort, wo wir Defizite<br />
feststellen, eine Kindergartenpflicht fordern, also ein Interventionsrecht<br />
des Staates. Und Kindergarten ist hier gemeint als<br />
<strong>Bild</strong>ungseinrichtung.<br />
Es ist für mich auch überhaupt nicht einleuchtend, dass wir<br />
dies alles 16 Mal in den Bundesländern diskutieren müssen. Solche<br />
Maßnahmen müssen für alle Menschen in unserer Republik<br />
gleichermaßen bereitgestellt werden. Das, was wir im Augen-<br />
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