Leben mit dem Tourette-Syndrom - Tourette-Gesellschaft Deutschland
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2 Das <strong>Tourette</strong>-<strong>Syndrom</strong> 5<br />
2.1 Historische Hintergründe<br />
Bereits vor ungefähr 2000 Jahren erwähnte der griechische Gelehrte, Arzt und<br />
Hippokrates-Schüler Aretios von Kappadokien Fälle von Zuckungen, Grimassenschneiden,<br />
Gebell, plötzlichen Flüchen und unver<strong>mit</strong>telten blasphemischen Äußerungen.<br />
Er konnte sich dieses Krankheitsbild aber noch nicht wissenschaftlich<br />
erklären und machte stattdessen den Einfluss der Götter verantwortlich oder beschrieb<br />
die Krankheit als Wahnsinn (HARTUNG, 1995). Ob Aretios aber tatsächlich<br />
Tic-Erkrankungen beschrieb ist nach Aussage des Betroffenen KRÄMERS<br />
(2005a) noch sehr unsicher. Sicher dagegen ist, dass er über Epilepsiekranke berichtete.<br />
Am Beispiel des römischen Kaisers Claudius (10 v. Chr. bis 54 n. Chr.) wird deutlich,<br />
dass das <strong>Tourette</strong>-<strong>Syndrom</strong> auch keine <strong>Gesellschaft</strong>sschichten verschont. Er<br />
zeigte „unkontrolliertes Lachen, Speichelfluß im Bereich des Mundes, eine laufende<br />
Nase, Stammeln und anhaltende nervöse Tics. Diese nahmen unter emotionaler<br />
Belastung so stark zu, daß sein Kopf von einer Seite zur anderen flog“<br />
(HARTUNG, 1995, S. 125). Auch andere berühmte Personen, wie Napoleon, Molière,<br />
Peter der Große und Wolfgang Amadeus Mozart, zeigten eine Tic-Erkrankung<br />
auf.<br />
Obwohl nur wenig über den Umgang <strong>mit</strong> <strong>Tourette</strong>-Betroffenen aus <strong>dem</strong> Mittelalter<br />
bekannt ist, existieren auch hier einige Schriftstücke über Personen, die die<br />
Symptome des <strong>Tourette</strong>-<strong>Syndrom</strong>s belegen. So berichten die beiden dominikanischen<br />
Inquisitoren Heinrich Institoris und Jakob Sprenger 1487 im „Hexenhammer“,<br />
<strong>dem</strong> „erfolgreichsten Handbuch der Hexenjäger“, z.B. über einen Priester,<br />
der Symptome des <strong>Tourette</strong>-<strong>Syndrom</strong>s aufwies. „Wenn er beim Vorrübergehen an<br />
einer Kirche die Kniee zur Begrüßung der glorreichen Jungfrau beugte, dann<br />
streckte der Teufel seine Zunge lang aus seinem Munde heraus“ (a.a.O., S. 126).<br />
Die einzige Rettung für Menschen <strong>mit</strong> Tics zu dieser Zeit war der Exorzismus, um<br />
die Dämonen auszutreiben, und wenn sich danach nichts änderte als letzte Möglichkeit<br />
die Verbrennung (ebd.). So starben wahrscheinlich viele Menschen <strong>mit</strong><br />
einem <strong>Tourette</strong>-<strong>Syndrom</strong> im Flammentod.