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Weblink...(PDF) - Dr. Stephan Rosiny

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vielleicht umgekehrt problematisch, wenn ein Kind mit einem Kopftuch kommen<br />

würde und mich fragen würde: Muss ich denn ein Kopftuch tragen Das wäre dann<br />

vielleicht problematisch, die Frage hatte ich aber noch nicht.“<br />

Die Teilnahme am islamischen Religionsunterricht ist in Berlin grundsätzlich freiwillig und das<br />

Fach kein ordentliches Unterrichtsfach. Dementsprechend ist die Lehrerin in ihrem Unterricht<br />

in viel höherem Maße von der Zufriedenheit der Kinder und ihrer Eltern abhängig als jeder<br />

andere Fachlehrer. Wenn sie einen Unterricht macht, der nicht anschlussfähig ist an die Lebenswelt<br />

der Schüler/innen, wird sie bald allein in der Klasse stehen. Dennoch kann sie ihre<br />

Autorität weder an das Wohlwollen der Eltern noch an dasjenige der Kolleginnen und Kollegen<br />

binden. Wenn letztere sie bitten, einen Brief an die muslimischen Eltern zu schreiben mit<br />

der Aufforderung, die Kinder nicht mitfasten zu lassen, wird sie das ebenso wenig tun wie sie<br />

einen Brief an die Eltern schreibt mit der Aufforderung, die Kinder in ihrem Bemühen, das<br />

Fasten zu üben, zu unterstützen. Sie wird versuchen, weder das Fasten noch das Nichtfasten<br />

der Schüler/innen grundsätzlich zu bewerten, sondern die Entscheidung jedes Kindes<br />

und seiner Eltern zu respektieren.<br />

Erweist sich eine Tradition aus dem Lebensumfeld der Kinder im Unterricht als hinderlich,<br />

werden die Lehrer/innen sie umgehen und auf diese Weise ihre Wirkung aufheben, anstatt<br />

sie offen anzugehen. Eine Lehrerin erläuterte mir dieses pragmatische Vorgehen anhand der<br />

Frage, wie die Schüler/innen an den Koran als Buch herangeführt werden können, ohne die<br />

Norm zu verletzen, dass der Koran nur im Zustand ritueller Reinheit berührt werden darf. In<br />

solchen Fällen befragen die Lehrer/innen zuerst einmal die Theologen nach den korrekten<br />

Regeln: Streng genommen sind Kinder vor dem Eintritt in die Geschlechtsreife und der damit<br />

verbundenen religiösen Mündigkeit nicht unrein und somit von der Pflicht zur rituellen Waschung<br />

nicht betroffen. Faktisch jedoch werden die Schüler/innen in vielen Fällen zuhause<br />

an diese Praxis herangeführt, und so sitzen sie dann im Unterricht mit den Ärmeln über die<br />

Hände gezogen, wenn sie den Koran anfassen sollen. Auf diese Weise ist das selbständige<br />

Blättern, Suchen, Finden und Lesen im Koran, das die Lehrer/innen anregen möchten, nicht<br />

möglich. Die praktische Lösung, die die Lehrer/innen gemeinsam für die Schule gefunden<br />

haben, sieht vor, im Unterricht mit einer deutschen Übersetzung zu arbeiten, die den arabischen<br />

Originaltext nicht mitführt, und so die Problematik der rituellen Reinheit zu umgehen<br />

und den Konflikt mit den Eltern und in den Kindern darüber, was religiös geboten ist, auszuhebeln.<br />

Der islamische Religionsunterricht in Berlin bietet muslimischen Kindern ein Forum, Ängste,<br />

Erfahrungen und Vorurteile zur Sprache zu bringen und zu bearbeiten:<br />

Lehrer A.: „Da kam ein <strong>Dr</strong>ittklässler und sagt er mir: 'Weißt du Herr A., was die Deutschen<br />

unserem Propheten dort in Mekka angetan haben' ((lacht)) 'Welche Deutschen'<br />

frage ich ihn zurück. 'Ja, die haben da unseren Propheten beschimpft, und<br />

ihm Leid zugefügt und so weiter!' 'Hey, welche Deutschen Da haben keine Deutschen<br />

gelebt!' habe ich ihm entgegnet. Er hat es aber ganz selbstverständlich benutzt<br />

und hat es immer noch weiter benutzt, obwohl ich darauf aufmerksam gemacht<br />

habe, dass es damals gar keine Deutschen in Mekka gab.“<br />

Der Lehrer erhellt hier an einem Beispiel, wie die islamische Geschichte für die Kinder mit<br />

Alltagserfahrungen verschmelzen kann. Es ist bekannt, dass der Prophet Muhammad mit<br />

seiner Lehre in Mekka auf Ablehnung und Aggression stieß. Die Kinder (oder ihre Eltern)<br />

haben offensichtlich ähnliche Grunderfahrungen in der deutschen Gesellschaft gemacht. Sie<br />

übertragen nun ihre Situation (unbewusst) auf das Leben des Propheten (Sīra) oder umgekehrt,<br />

die Sīra auf ihre Lebenssituation, so dass ganz „selbstverständlich“ aus den mekkanischen<br />

Gegnern Muhammads „die Deutschen“ werden. Diese Verknüpfung der Deutschen<br />

mit den Gegnern erweist sich als sehr stabil. Es reicht nicht, darauf hinzuweisen, dass es in<br />

Mekka zu Lebzeiten des Propheten keine Deutschen gegeben hat. Das Thema des Kindes<br />

ist an dieser Stelle die Erfahrung der Polarität des „Wir“ und „Ihr“. Diese Polarität will im islamischen<br />

Religionsunterricht bearbeitet werden.<br />

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