Weblink...(PDF) - Dr. Stephan Rosiny
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esonders in der zweiten und dritten Generation auf, bei denen die traditionelle, auf Respekt<br />
und die Anerkennung von Autorität ausgerichtete Erziehung an Einfluss verliert. Väter bieten<br />
ihren Söhnen kein Vorbild mehr, etwa wenn sie arbeitslos werden, sich mit einer minderwertigen<br />
„Schmutzarbeit“ begnügen müssen, die deutsche Sprache noch immer nicht beherrschen<br />
und als „Underdog“ der Gesellschaft angesehen werden. Die Jungmänner suchen<br />
sich die sie privilegierenden Versatzstücke der traditionellen Rollenaufteilung wie die „Vorrangstellung<br />
des Mannes“ aus, ohne die damit einhergehenden Verpflichtungen wie wirtschaftliche<br />
Verantwortung für die Familie und Anerkennung von Autoritäten anzunehmen.<br />
Diese selbstprivilegierende Position der Jungen führt im schulischen und gesellschaftlichen<br />
Umfeld indes zu einem Wettbewerbsnachteil. Denn das unverhältnismäßige Selbstbild des<br />
coolen Macho von Stärke und Überlegenheit verleitet ihn dazu, Lehrpersonen und Ausbildern<br />
keinen Respekt entgegenzubringen, was zu Verhaltensauffälligkeit, Disziplinlosigkeit<br />
und mangelhaften Leistungen führt. Das Selbstbild der jungen Männer ist gespalten zwischen<br />
der vermeintlich überlegenen Männlichkeit und der gesellschaftlichen Realität, in der<br />
sie sich durch ihr Verhalten den Zugang zu Chancen und Ressourcen verbauen. Mädchen<br />
und junge Frauen, denen in der Familie meist engere Grenzen gesteckt werden und die im<br />
Haushalt Aufgaben übernehmen müssen, fällt es hingegen leichter, Hierarchien anzuerkennen.<br />
Sie sind disziplinierter, ehrgeiziger und erfolgreicher in Schule und Ausbildung und fügen<br />
sich leichter in den Arbeitsalltag ein. Der Anteil von muslimischen Studentinnen übersteigt<br />
in Deutschland wie im Nahen und Mittleren Osten mittlerweile den der jungen Männer.<br />
Junge Frauen übernehmen deshalb zunehmend verantwortliche Positionen. Angesichts der<br />
hohen Arbeitslosigkeit unter Migranten wird die Berufstätigkeit von Frauen auch in Deutschland<br />
an Bedeutung zunehmen, was mittelfristig auch ihre Stellung in der Familie und Gesellschaft<br />
stärken wird. So könnte die Mädchendiskriminierung in der Familie indirekt zu einer<br />
gesellschaftlichen Rollenverschiebung zugunsten der Frauen beitragen. Teilweise wird diese<br />
Tendenz allerdings durch das Ressentiment gegen Kopftuch tragende Musliminnen am Ausbildungs-<br />
und Arbeitsplatz wieder ausgebremst. Viele Betriebe und Kleinunternehmen vermeiden<br />
es, verschleierte Frauen einzustellen, da sie aufgrund von Vorbehalten ihrer Kundschaft<br />
wirtschaftliche Nachteile befürchten. Manche Unternehmen erkennen indes in Kopftuchträgerinnen<br />
auch einen Wettbewerbsvorteil, neue Kunden unter muslimischen Migranten,<br />
besonders Frauen zu gewinnen.<br />
„Dem Islam“ werden mitunter pauschal Wissensfeindlichkeit und Fatalismus zugeschrieben.<br />
Armut und mangelnde Bildung sowie technologische und soziale Defizite in den Gesellschaften<br />
des Nahen und Mittleren Ostens sind vielmehr häufig das Produkt politischer Fehlentwicklungen<br />
und mangelhafter staatlicher Bildungsangebote. Muslimische Aktivisten und Reformer<br />
kritisieren diesen bestehenden Zustand auch mit „islamischen“ Argumenten. So nennen<br />
sie als Beleg für die hohe Wertigkeit von Wissenserwerb im Islam einen Ausschnitt aus<br />
dem Koran, Vers 20:114: „Und sag: Herr! Lass mich an Wissen zunehmen!“ Laut Koran<br />
13:19 wird die Offenbarung nur den Verständigen zuteil: „Ist denn etwa einer, der weiß, dass<br />
das, was (als Offenbarung) von deinem Herrn zu dir herab gesandt ist, die Wahrheit ist,<br />
gleich wie einer, der blind ist Doch nur diejenigen, die Verstand haben, lassen sich mahnen.“<br />
Wissenserwerb gilt ihnen als „Anstrengung „ (Jihād), nämlich als „Anstrengung des<br />
Wissenserwerbs“ (Jihād fī Talab al-'Ilm). Eine berühmte Sentenz von Alī bin Abī Tālib, dem<br />
Cousin und Schwiegersohn Muhammads, lautet: „Die Tinte der Gelehrten wiegt [beim Jüngsten<br />
Gericht] schwerer als das Blut der Märtyrer.“ Gegen Fatalismus richtet sich Koran 13:11:<br />
„Gewiss, Gott ändert die Lage eines Volkes nicht, ehe es nicht selbst das ändert, was in ihren<br />
Herzen ist.“ Mit solchen Belegstellen fordern muslimische Reformer ihre Glaubensgenossen<br />
auf, sich gesellschaftlich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen.<br />
Muslimische Vereine in Deutschland bieten heute fast alle Nachhilfeunterricht für Schülerinnen<br />
und Schüler und Alphabetisierungskurse für Mütter an, auch damit diese ihren Kindern besser<br />
in schulischen Dingen helfen können. Islamverbände ermahnen ihre Anhänger, ihren Kindern<br />
einen stabilen familiären Rahmen und einen regelmäßigen Lebenswandel zu bieten, um ein<br />
stabiles Lernumfeld zu schaffen.<br />
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