Weblink...(PDF) - Dr. Stephan Rosiny
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in Deutschland populären Sender der Hizbullah, Al-Manar. Auf diese Weise entsteht bei Vielen<br />
auch noch in der zweiten und dritten Einwanderergeneration ein Feindbild von Israel.<br />
Und dies gilt auch, wenn in den Einwandererfamilien nie jemand direkt vom Nahostkonflikt<br />
betroffen war. Denn in dem weit verbreiteten arabisch-nationalistischen und religiösen Gemeinschaftsdenken<br />
steht das Schicksal der Palästinenser in den Augen vieler stellvertretend<br />
für die gesamte Gruppe der Araber und Muslime.<br />
Der Konflikt als Projektionsfläche<br />
Die Familiengeschichten von Flucht und Vertreibung im Nahen Osten verbinden sich dabei in<br />
spezifischer Weise mit der für viele andauernden Situation der Marginalisierung in der deutschen<br />
Einwanderungsgesellschaft. So wird der Nahostkonflikt für viele Jugendliche zur Projektionsfläche,<br />
hinter der eigentlich persönliche Erfahrungen mit Rassismus, Marginalisierung,<br />
Perspektivlosigkeit und „Ungerechtigkeit“ stehen.<br />
„Wie lange noch“ fragt etwa der in Berlin als Sohn eines Ägypters und einer Niederländerin<br />
geborene Scarabeuz in seinem gleichnamigen unter Jugendlichen sehr populären Musikvideo<br />
über den Libanonkrieg, „ist alles so ungerecht… wie lange sieht die Welt noch zu, wie im<br />
Libanon die Kinder sterben“. Dann setzt er fort: „Und wie lange noch wird hier jeder Muslim<br />
angeguckt wie ein Terrorist, wisst ihr nicht, dass das für uns wie Psychoterror ist Wie lange<br />
noch braucht mein Vater, um hier deutsch zu sein Wieviele Pässe braucht er, um einer von<br />
euch zu sein Wieviel Steuern muss man zahlen, um akzeptiert zu werden … Wie lange<br />
dauert es noch, bis hier einer mit uns redet“<br />
Im Mittelpunkt steht hier die Klage von Jugendlichen, nicht genügend angehört und anerkannt<br />
zu werden: Zum einen kritisieren viele Migranten arabischer und muslimischer Herkunft,<br />
dass ihre „arabische Perspektive“ des Nahostkonflikts in Deutschland und der Welt<br />
nicht genügend wahrgenommen würde. Zum anderen würden sie als Araber und Muslime<br />
gesellschaftlich nicht akzeptiert und respektiert. Diese zumindest in Teilen berechtigten Perspektiven<br />
und verständlichen Emotionen sind eine Ursache dafür, dass sich viele arabische<br />
(aber auch Jugendliche mit türkischem Hintergrund) nicht als Deutsche definieren können<br />
oder wollen. 58 Ihre Sicht auf den Nahostkonflikt dient ihnen dabei als Bestätigung, einer insgesamt<br />
diskriminierten Gruppe anzugehören. Mehr noch: Unterdrückt zu werden, nicht zu<br />
zählen und nicht gehört zu werden, erscheinen geradezu als konstitutive Merkmale dieser<br />
Gruppe.<br />
Hass auf Israel und antisemitische Äußerungen können vor diesem Hintergrund ein Ventil<br />
für Zorn und Empörung über Frustrationserfahrungen darstellen, die Jugendliche hier in<br />
Deutschland erleben. Dabei verbinden sich individuelle, authentische Empfindungen und<br />
reale Erfahrungen von Leid und Diskriminierung (im Herkunftsland und in Deutschland) mit<br />
ihrer pauschalen und ideologisch geprägten Interpretation. Wenn Israel, „die Juden“ oder<br />
58 Dabei können national geprägte Identitäten (Palästinenser, Libanesen) neben umfassendere arabisch<br />
oder islamisch definierte Zugehörigkeitsgefühle treten. Das gemeinsame Feindbild Israel und die<br />
Erörterung von Unrecht, dass ihre Familien als Palästinenser, Libanesen, Araber oder Muslime erlitten<br />
haben, konstituieren dieses Gemeinschaftsgefühl. Dies verweist nicht zuletzt darauf, dass es an alternativen<br />
Angeboten von Zugehörigkeit mangelt. So beschreibt Nicola Tietze (Gemeinschaftsnarrationen<br />
in der Einwanderungsgsesellschaft, in: Neue Judenfeindschaft 2006, S.94ff), wie die Denunziation<br />
anderer Gruppen durch die Schwierigkeit gefördert wird, sich weder als Palästinenser noch als<br />
Deutscher definieren zu können. Mangelnde Integration, fehlende Anerkennung und Aufenthaltsrechte<br />
sowie ein niedriges Bildungsniveau erschweren eine distanzierte sachliche Auseinandersetzung mit<br />
dem Nahostkonflikt und erhöhen die Attraktivität von Feindbildern. Das dürfte auch ein Grund dafür<br />
sein, dass sich viele Jugendliche türkischer Herkunft mit israelfeindlichen und teils antisemitischen<br />
Positionen solidarisieren.<br />
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