Weblink...(PDF) - Dr. Stephan Rosiny
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eigene Position bestätigende Rechtsgelehrte selektiv ausgewählt werden, um einen vermeintlichen<br />
Konsens zu behaupten. Hinzu kommt der Analogieschluss, bei dem es wiederum<br />
vom Ermessen der Rechtsgelehrten abhängt, ob ein im Koran oder Hadīth bewerteter<br />
Präzedenzfall vergleichbar zu einem aktuellen Streitfall sei. So verbieten manche Rechtsgelehrte<br />
zum Beispiel <strong>Dr</strong>ogen, die zu Zeiten des Propheten noch nicht bekannt waren, weil sie<br />
wie der verbotene Alkohol berauschen und die Sinne trüben.<br />
Der Umgang mit diesen Quellen und Methoden der Rechtsableitung unterscheidet sich nach<br />
Rechtsschule und Konfession. Bereits klassische Gelehrte haben in Anlehnung an die rationale<br />
griechische Philosophie weitere Methoden der Rechtsfindung entwickelt, die bis heute<br />
gültig sind und die eine flexible Anpassung an veränderte Umstände erlauben. Mit der islamischen<br />
Reformbewegung im 19. Jahrhundert begann zudem eine methodische Neuorientierung.<br />
Die starren Grenzen der Rechtsschulen wurden aufgebrochen, und die selbständige<br />
Rechtsfindung (Ijtihād), eine Höherbewertung des Verstandes anstelle der bloßen Imitation<br />
überlieferter Rechtsvorstellungen (Taqlīd), fand wieder stärkere Berücksichtigung.<br />
Weitere Methoden der Rechtsfindung<br />
Das Erlaubnisprinzip (Ibāha asliyya) besagt, dass ursprünglich alles grundsätzlich erlaubt ist,<br />
was nicht ausdrücklich verboten wurde. Da beispielsweise das Zigarettenrauchen in Koran<br />
und Sunna nicht explizit erwähnt ist, kann es bei Anwendung dieses Rechtsprinzips als erlaubt<br />
gelten, solange es keinen anderen Geboten widerspricht. Neuerdings argumentieren<br />
Rechtsgelehrte jedoch, dass Rauchen gesundheitsschädlich und deshalb islamrechtlich abzulehnen<br />
sei, weil der Koran verbietet, sich selbst Schaden zuzufügen, so in Koran 2:195:<br />
„Und stürzt euch nicht (mit eigener Hand) ins Verderben!” Denn wenn Vorschriften und Maximen<br />
inhaltlich kollidieren, müssen sie in der jeweiligen Situation gegeneinander abgewogen<br />
werden. Sollte die Befolgung einer verpflichtenden Regel unerlaubte Konsequenzen<br />
nach sich ziehen, wird sie ausgesetzt. Wenn etwa ein Fastender im Monat Ramadān krank<br />
wird, muss er das Fasten abbrechen, um sich keinen gesundheitlichen Schaden zuzufügen.<br />
Nach dem Rechtsfindungsprinzip der Darūra ist in einer Notsituation islamisch erlaubt, was<br />
normalerweise verboten wäre, etwa dringende Arznei während des Fastens oder Alkohol als<br />
medizinischen Zusatzstoff zu sich zu nehmen, wenn es hierzu keine Alternativen gibt. Nach<br />
dem Prinzip der Maslaha (Interesse) ist das Wohl der Gläubigen und ihr Glück in dieser Welt,<br />
modernistisch verstanden als das „Gemeinwohl“ (al-Maslaha al-'Āmma), eines der Prinzipien<br />
der Rechtsfindung. So darf die Regierung Gesetze (Qānūn) erlassen, die an die Zeitumstände<br />
angepasst sind.<br />
Die „Gründe der Offenbarung” (Asbāb an-Nuzūl) zu berücksichtigen, d. h. die Anlässe, zu<br />
denen Muhammad eine Offenbarung erhielt, ist eine weitere Methode des Fiqh, mit der sich<br />
einige strenge und unzeitgemäße Vorschriften wie die militanten Jihād-Verse relativieren<br />
lassen. So argumentieren Reformtheologen, die Gewaltverse bezögen sich ausschließlich<br />
auf die für die frühislamische Gemeinde existentielle Bedrohung durch die heidnischen Mekkaner,<br />
die die junge muslimische Gemeinde boykottiert, vertrieben und verfolgt hatten. Unter<br />
heutigen Bedingungen, in denen die Existenz des Islams nicht mehr bedroht sei und Kriege<br />
vorwiegend um Macht und politische Interessen ausgetragen würden, seien sie nicht mehr<br />
anwendbar.<br />
Der Koran hebt immer wieder hervor, dass die gute Absicht (Niyya) und die Anstrengung<br />
zählen, nicht notwendigerweise der Erfolg. Dies kommt auch in den zahlreichen Wegmetaphern<br />
zum Ausdruck: Scharī'a ist der „Weg zur Wassertränke”. Die Gläubigen sind angehalten,<br />
dem „aufrechten Weg” (as-Sirāt al-Mustaqīm) zu folgen, und der Jihād fī sabīli-llāh bezeichnet<br />
die „Anstrengung auf dem Wege Gottes”. Wenn der Gläubige das Ziel nicht erreicht,<br />
bietet Gott ihm Ersatz- und Sühnehandlungen an, oder er verzeiht ihm letztendlich. „Gott will<br />
euch Erleichterung gewähren. Der Mensch ist (ja) von Natur schwach” (Koran 4:28). Mit Ausnahme<br />
der 9. Sure beginnen alle 114 Suren des Korans mit der Formel: „Im Namen des<br />
barmherzigen und gnädigen Gottes”.<br />
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