Weblink...(PDF) - Dr. Stephan Rosiny
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Religiöse Motive des Antisemitismus<br />
Oft führt allerdings schon der viel verwendete Begriff vom „muslimischen“ oder „islamischen“<br />
Antisemitismus in die Irre – schließlich wird hier suggeriert, dass Antisemitismus von Muslimen<br />
seine Wurzeln in der Religion habe und es sich bei seinen Vertretern hauptsächlich um<br />
religiöse Menschen oder um Islamisten handle. Tatsächlich gibt es viele Suren im Koran, die<br />
Hass auf die Juden (und Christen) nahe zu legen scheinen. Diese Suren gehen zurück auf<br />
die Zeit, als sich der Prophet Muhammad gegen andere Stämme und Gemeinschaften sowohl<br />
als religiöser wie auch als politischer Führer erst durchsetzen musste. In diesem Prozess<br />
verweigerten ihm jüdische Stämme die Gefolgschaft. Im Koran wird dies aufgegriffen,<br />
und in entsprechenden Suren ist unter anderem von den Juden als Vertragsbrüchigen und<br />
Verrätern (u.a. Koran 2:100) sowie als Prophetenmördern und Fälschern der heiligen Schrift<br />
die Rede (2:61, 5:13 u. 41, 4:46). Zur Strafe für ihren Frevel habe Gott sie (wie auch die<br />
Christen) in Affen und Schweine verwandelt (2:63-66, 5:59-63, 7:163-166). Gleichzeitig sprechen<br />
andere Suren eine andere Sprache: Hier gilt zwar die Überlegenheit des Islams als<br />
„letzte“ der von Gott offenbarten Religionen, es ist aber auch von Akzeptanz und Toleranz<br />
gegenüber Juden und Andersgläubigen die Rede. Betont wird zudem, dass es in der Religion<br />
keinen Zwang geben dürfe. 55<br />
Tatsächlich spielten Juden und Judenhass in der weiteren islamischen Geschichte keine<br />
große Rolle mehr. Anders als in Europa wurden Andersgläubige im islamischen Herrschaftsbereich<br />
nur selten zu Konversionen gezwungen, konnten von ihnen doch höhere Steuern<br />
verlangt werden als von muslimischen Untertanen. Nichtmuslime hatten einen spezifischen<br />
Status als Schutzbefohlene (dhimmi). Als solche waren sie den Muslimen nicht gleichgestellt,<br />
genossen jedoch meist einen weitgehend sicheren Stand mit eigenen Rechten und Pflichten.<br />
Insbesondere gilt das für die Angehörigen der "Buchreligionen" (ahl al-kitab), dem Judenund<br />
Christentum. Als es im Zuge der Reconquista zu Verfolgungen kam, flüchteten viele<br />
Juden ins islamische Nordafrika und ins Osmanische Reich.<br />
In den vormodernen arabisch-islamischen Gesellschaften existierte demnach bis ins 19.<br />
Jahrhundert kein Antisemitismus im Sinne einer tief verwurzelten und emotional aufgeladenen<br />
Feindseligkeit gegenüber Juden. Verbreitung fanden die modernen und europäisch geprägten<br />
antisemitischen Stereotypen und Verschwörungstheorien erst später, vor allem im<br />
Zusammenhang von Kolonialismus und der Einwanderung von Juden nach Palästina. Heute<br />
tauchen in der Region antisemitische Stereotypen und Verschwörungstheorien sowohl im<br />
Alltagsdiskurs als auch in vermeintlich seriösen Medien immer wieder auf – und zwar meist,<br />
aber nicht nur, im Kontext der Auseinandersetzung um den Nahostkonflikt. Religiös legitimiert<br />
werden sie jedoch fast ausschließlich durch Vertreter islamistischer Ideologien. 56<br />
Die Rolle des Nahostkonflikts<br />
d<br />
Auch unter deutschen Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus dem Nahen und Mittleren<br />
Osten wird selten der Islam herangezogen, um radikale und pauschale Stellungnahmen gegen<br />
Israel und/oder die Juden zu legitimieren. 57 Die wirklichen Motive ihrer wie eingangs<br />
55 Vgl. zu entsprechenden Koransuren <strong>Stephan</strong> <strong>Rosiny</strong> in diesem Band (Kapitel 2.2) und Ferid Heider<br />
im Interview (Kapitel 2.4).<br />
56 Siehe zu Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus in der Region: Jochen Müller, Eine Frage<br />
der Existenz, in: Wolfgang Benz (Hrg.), Der Hass gegen die Juden, 2008.<br />
57 Natürlich ist – darauf wird immer wieder verwiesen – Kritik an israelischer Politik legitim. Es gilt aber<br />
zu trennen zwischen politischer Kritik und solchen Positionen, die zwar als israel-kritisch verstanden<br />
werden wollen, tatsächlich aber pauschale Verurteilungen und Diffamierungen bishin zu antisemitischen<br />
Überzeugungen enthalten. Die iranische Staatspropaganda gegen Israel und den Zionismus<br />
bietet aktuelle Beispiele dafür. Für den Eingang antisemitischer Behauptungen und Theoreme in die<br />
Kritik an Israel und dem Zionismus ist der Begriff vom „Neuen Antisemitismus“ geprägt worden (s.<br />
dazu auch Pkt. 9 unten im Text).<br />
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