Weblink...(PDF) - Dr. Stephan Rosiny
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eschrieben gewissermaßen „spontan“ erfolgenden antisemitischen Äußerungen sind vielfältig.<br />
Meist - und insbesondere bei Jugendlichen – dient die Beschimpfung als Jude „lediglich“<br />
dazu, andere abzuwerten. Oft spielt zudem das Gefühl eine zentrale Rolle, ungerecht behandelt<br />
zu werden. Dabei kann es sich um persönlich erfahrene Ungerechtigkeiten handeln,<br />
aber auch um Ungerechtigkeiten, die als Unrecht an einer Gruppe betrachtet werden, der<br />
man sich zugehörig fühlt. Dabei kann die Gruppe religiös, sprachlich, ethnisch oder/und national<br />
definiert sein. Verantwortlich für die „Ungerechtigkeiten“ sind jeweils „die anderen“ –<br />
also Lehrer, Deutsche, Politiker, Amerikaner, Israelis oder eben Juden. Vor diesem Hintergrund<br />
stellen der Hass auf Israel sowie antisemitische Äußerungen und Positionen nicht zuletzt<br />
Ventile dar, mit denen sich Zorn, Unmut und Weltschmerz in aggressiver und – insbesondere<br />
in Deutschland – provokativer Weise zum Ausdruck bringen lassen.<br />
Ein wesentlicher Bestandteil dieser empfundenen „Ungerechtigkeit“ ist vor allem für Jugendliche<br />
arabischer bzw. palästinensischer und libanesischer Herkunft der Nahostkonflikt. Fast<br />
immer geben sie die Geschichte und Gegenwart dieses Konflikts an, wenn sie nach den Motiven<br />
ihrer Äußerungen gefragt werden. Schließlich, so eine sehr häufig erfolgende Behauptung,<br />
würden die Juden/Israelis/Zionisten – die Begriffe werden oft synonym verwendet –<br />
doch heute mit den Palästinensern das machen, was die Nazis damals mit ihnen gemacht<br />
hätten. Daraus spricht nicht nur historische Unkenntnis über Judenverfolgung und Holocaust,<br />
sondern auch eine kollektive Identifizierung mit den arabisch-palästinensischen Opfern des<br />
Nahostkonfikts, die – so berichten vor allem Jugendarbeiter – immer dann Konjunkturen erfährt,<br />
wenn der Konflikt in besonderer Intensität ausgetragen wird. Tatsächlich identifizieren<br />
sich viele Jugendliche auch in der zweiten oder dritten Generation stark mit der Herkunftsregion<br />
ihrer Eltern und Großeltern, obwohl sie über den Konflikt selbst sowie über die Herkunft<br />
und die Lebensgeschichte ihrer Eltern und Großeltern oft kaum etwas Konkretes wissen.<br />
Beispielhaft dafür steht die Auseinandersetzung um den israelischen Libanonfeldzug im<br />
Sommer 2006. Im mittlerweile abgeschalteten Internetforum Rache-Engel, das sich überwiegend<br />
an Jugendliche libanesischer Herkunft unterschiedlicher politischer Couleur wandte,<br />
ließ sich das nachvollziehen: Das Spektrum der Nutzer dieses virtuellen „globalisierten Klassenzimmers“<br />
reichte von radikal-islamistischen bis zu säkularen anti-imperialistischen Einstellungen.<br />
Zutage tritt dabei zunächst eine einseitige Wahrnehmung von Geschichte und<br />
Gegenwart des Nahostkonflikts: Israelische Perspektiven kommen darin nicht vor – und<br />
wenn dann als Verzerrung. So erörtern die Jugendlichen, dass Israel im Südlibanon Flugblätter<br />
abgeworfen habe, um die Menschen aus den Häusern zu locken und dann gezielt bombardieren<br />
zu können. Dazu „M-K-Special“ aus Kiel (25): „Das ist typisch für diese Tiere, weil<br />
kein Mensch sowas machen würde. Ich bin Libanese und stolz darauf!!! Wir sterben lieber<br />
aufrecht stehend, als auf den Knien zu leben“. Unterstützt wird er von „Sayyed Kassem“ (15):<br />
„Was heißt hier Tiere Tiere sind sogar besser als die. Die existieren nicht mal für mich. Die<br />
sind nichts als Staub der rumwedelt.“<br />
Im Mittelpunkt stehen hier nicht ein antisemitisches Weltbild und der Hass auf „die Juden“,<br />
sondern gerade bei männlichen Jugendlichen die Wahrung einer als infrage gestellt gesehenen<br />
kollektiven Würde und eine starke Empathie für die Opfer des Nahostkonflikts in Vergangenheit<br />
und Gegenwart. Mit ihnen identifizieren sie sich. So rief der Libanonkrieg bei vielen<br />
in Deutschland lebenden Jugendlichen starke Betroffenheit und sehr emotionale Reaktionen<br />
hervor – ging es doch um das Leben ihrer Familien und Freunde im Libanon. So nachvollziehbar<br />
und verständlich diese Reaktionen sein mögen, zeichneten die Jugendlichen dabei<br />
jedoch meist ein Schwarz-Weiß-Bild eines aggressiven Militärapparats im Kampf gegen<br />
unbeteiligte Frauen und Kinder - ein Bild von Ohnmacht und Übermacht, Opfern und Tätern,<br />
Recht und Unrecht sowie Unschuld, Schuld und verletzter Ehre, das dem komplexen Konfliktgeschehen<br />
nicht gerecht wird.<br />
Bestärkt wird dieses an sich noch nicht antisemitische Bild durch Berichte von Eltern und<br />
Großeltern, die ihre Erfahrungen mit Krieg, Flucht und Vertreibung schildern. Hinzu kommt<br />
die oft einseitige Medienberichterstattung einiger arabischer Satellitenkanäle wie dem auch<br />
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