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eschrieben gewissermaßen „spontan“ erfolgenden antisemitischen Äußerungen sind vielfältig.<br />

Meist - und insbesondere bei Jugendlichen – dient die Beschimpfung als Jude „lediglich“<br />

dazu, andere abzuwerten. Oft spielt zudem das Gefühl eine zentrale Rolle, ungerecht behandelt<br />

zu werden. Dabei kann es sich um persönlich erfahrene Ungerechtigkeiten handeln,<br />

aber auch um Ungerechtigkeiten, die als Unrecht an einer Gruppe betrachtet werden, der<br />

man sich zugehörig fühlt. Dabei kann die Gruppe religiös, sprachlich, ethnisch oder/und national<br />

definiert sein. Verantwortlich für die „Ungerechtigkeiten“ sind jeweils „die anderen“ –<br />

also Lehrer, Deutsche, Politiker, Amerikaner, Israelis oder eben Juden. Vor diesem Hintergrund<br />

stellen der Hass auf Israel sowie antisemitische Äußerungen und Positionen nicht zuletzt<br />

Ventile dar, mit denen sich Zorn, Unmut und Weltschmerz in aggressiver und – insbesondere<br />

in Deutschland – provokativer Weise zum Ausdruck bringen lassen.<br />

Ein wesentlicher Bestandteil dieser empfundenen „Ungerechtigkeit“ ist vor allem für Jugendliche<br />

arabischer bzw. palästinensischer und libanesischer Herkunft der Nahostkonflikt. Fast<br />

immer geben sie die Geschichte und Gegenwart dieses Konflikts an, wenn sie nach den Motiven<br />

ihrer Äußerungen gefragt werden. Schließlich, so eine sehr häufig erfolgende Behauptung,<br />

würden die Juden/Israelis/Zionisten – die Begriffe werden oft synonym verwendet –<br />

doch heute mit den Palästinensern das machen, was die Nazis damals mit ihnen gemacht<br />

hätten. Daraus spricht nicht nur historische Unkenntnis über Judenverfolgung und Holocaust,<br />

sondern auch eine kollektive Identifizierung mit den arabisch-palästinensischen Opfern des<br />

Nahostkonfikts, die – so berichten vor allem Jugendarbeiter – immer dann Konjunkturen erfährt,<br />

wenn der Konflikt in besonderer Intensität ausgetragen wird. Tatsächlich identifizieren<br />

sich viele Jugendliche auch in der zweiten oder dritten Generation stark mit der Herkunftsregion<br />

ihrer Eltern und Großeltern, obwohl sie über den Konflikt selbst sowie über die Herkunft<br />

und die Lebensgeschichte ihrer Eltern und Großeltern oft kaum etwas Konkretes wissen.<br />

Beispielhaft dafür steht die Auseinandersetzung um den israelischen Libanonfeldzug im<br />

Sommer 2006. Im mittlerweile abgeschalteten Internetforum Rache-Engel, das sich überwiegend<br />

an Jugendliche libanesischer Herkunft unterschiedlicher politischer Couleur wandte,<br />

ließ sich das nachvollziehen: Das Spektrum der Nutzer dieses virtuellen „globalisierten Klassenzimmers“<br />

reichte von radikal-islamistischen bis zu säkularen anti-imperialistischen Einstellungen.<br />

Zutage tritt dabei zunächst eine einseitige Wahrnehmung von Geschichte und<br />

Gegenwart des Nahostkonflikts: Israelische Perspektiven kommen darin nicht vor – und<br />

wenn dann als Verzerrung. So erörtern die Jugendlichen, dass Israel im Südlibanon Flugblätter<br />

abgeworfen habe, um die Menschen aus den Häusern zu locken und dann gezielt bombardieren<br />

zu können. Dazu „M-K-Special“ aus Kiel (25): „Das ist typisch für diese Tiere, weil<br />

kein Mensch sowas machen würde. Ich bin Libanese und stolz darauf!!! Wir sterben lieber<br />

aufrecht stehend, als auf den Knien zu leben“. Unterstützt wird er von „Sayyed Kassem“ (15):<br />

„Was heißt hier Tiere Tiere sind sogar besser als die. Die existieren nicht mal für mich. Die<br />

sind nichts als Staub der rumwedelt.“<br />

Im Mittelpunkt stehen hier nicht ein antisemitisches Weltbild und der Hass auf „die Juden“,<br />

sondern gerade bei männlichen Jugendlichen die Wahrung einer als infrage gestellt gesehenen<br />

kollektiven Würde und eine starke Empathie für die Opfer des Nahostkonflikts in Vergangenheit<br />

und Gegenwart. Mit ihnen identifizieren sie sich. So rief der Libanonkrieg bei vielen<br />

in Deutschland lebenden Jugendlichen starke Betroffenheit und sehr emotionale Reaktionen<br />

hervor – ging es doch um das Leben ihrer Familien und Freunde im Libanon. So nachvollziehbar<br />

und verständlich diese Reaktionen sein mögen, zeichneten die Jugendlichen dabei<br />

jedoch meist ein Schwarz-Weiß-Bild eines aggressiven Militärapparats im Kampf gegen<br />

unbeteiligte Frauen und Kinder - ein Bild von Ohnmacht und Übermacht, Opfern und Tätern,<br />

Recht und Unrecht sowie Unschuld, Schuld und verletzter Ehre, das dem komplexen Konfliktgeschehen<br />

nicht gerecht wird.<br />

Bestärkt wird dieses an sich noch nicht antisemitische Bild durch Berichte von Eltern und<br />

Großeltern, die ihre Erfahrungen mit Krieg, Flucht und Vertreibung schildern. Hinzu kommt<br />

die oft einseitige Medienberichterstattung einiger arabischer Satellitenkanäle wie dem auch<br />

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