Weblink...(PDF) - Dr. Stephan Rosiny
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Hat nicht der Leistungsdruck, auf eine buchstabengetreue Erfüllung religiöser Regeln zu achten,<br />
in den letzten Jahren zugenommen<br />
HEIDER: Ja, es gibt diese Tendenzen, aber ich finde nicht, dass das jetzt buchstabengetreu<br />
ist.<br />
ROSINY: Auf der Internetseite des Interkulturellen Zentrums heißt es: „Es kommt darauf an,<br />
die Prinzipien der islamischen Ethik zu vollziehen, und nicht den Buchstaben.“ Der Ramadan<br />
wird als ein Mittel zur Erlangung von Selbstbeherrschung begründet. Deshalb stellt sich doch<br />
die Frage: Was ist eigentlich wichtiger: Die Erfüllung der Fastenpflicht oder die Erlangung<br />
von Selbstbeherrschung<br />
HEIDER: Beides ist wichtig.<br />
ROSINY: Wenn das Ziel des Fastens die Selbstdisziplinierung und Selbstperfektionierung<br />
ist, kann dann nicht das Lernen als eine Methode der Selbstdisziplinierung als Ersatzhandlung<br />
gelten, so dass Schüler, besonders zu Prüfungszeiten, das Fasten aussetzen können<br />
HEIDER: Nein, so kann man das nicht sehen. Es gibt bei uns den Fiqh al-Aulauiyat, die Prioritätenleiter,<br />
eine Art Pyramide, und an oberster Stelle stehen die fünf Säulen [rituellen Pflichten].<br />
Darunter kommt dann das andere. Islamisch kann ich das nicht rechtfertigen. Außerdem<br />
erlerne ich ja durch das Fasten Selbstdisziplin, d.h., ich lerne, mich zu beherrschen,<br />
mich an den Schreibtisch zu setzen und zu lernen. Ich faste beispielsweise heute freiwillig für<br />
einen Tag, das ist kein Pflichtfasten. Und trotzdem war ich an der Uni, habe all meine Sachen<br />
erledigt, und ich führe gerade dieses Interview mit Ihnen. Ich glaube nicht, dass das<br />
Fasten mich vom Lernen abgehalten hat oder mir meine Zukunft verbaut hat. Im Gegenteil,<br />
ich glaube sogar, dass es mir eher die Disziplin gegeben hat, um mich wirklich anzustrengen.<br />
Meiner Meinung nach sehen das viele Lehrer und Nichtmuslime übertrieben kritisch. Ich<br />
glaube, die Kinder, die schlecht in der Schule sind, die sind nicht schlecht, weil sie fasten,<br />
sondern die sind allgemein schlecht. Ich kenne viele gute Schüler, die fasten im Ramadan<br />
und beten fünfmal am Tag. Und die sagen mir: Gerade im Ramadan versuche ich, mir mehr<br />
Mühe zu geben, damit ich dem Lehrer zeige, dass ich mich trotz des Fastens wirklich anstrengen<br />
kann, dass ich trotz des Fastens konstant bleibe oder noch besser werde als normal.<br />
Wenn ich ab der fünften Stunde vielleicht nicht mehr ganz so viel aufnehmen konnte wie<br />
normalerweise, dann kann ich das ja am Abend nachholen. Wenn ich wirklich ein guter<br />
Schüler bin, dann tue ich das.<br />
ROSINY: Aber selbst Erwachsene lassen doch deutlich an Leistung nach. Außerdem geben<br />
selbst Muslime zu, dass die Aggressivität unter den Menschen in dieser Zeit zunimmt.<br />
HEIDER: Es ist richtig, dass die Leistungen, insbesondere am Ende des Tages nachlassen,<br />
was jedoch nicht heißt, dass die Aggressivität zunimmt, auch wenn dies bei vereinzelten<br />
Personen, welche nicht unbedingt den Sinn des Fasten verstanden haben, so sein mag.<br />
Denn gerade durch das Fasten soll ich als Muslim Selbstdisziplin erlernen: Obwohl ich mich<br />
schwach fühle und ich körperlich geschwächt bin, beherrsche ich mich trotzdem. Das ist ja<br />
der Sinn des Fastens, was ich durch das Fasten erlernen soll, diese Selbstdisziplin. D.h.,<br />
obwohl ich schwach bin, gebe ich trotzdem Acht darauf, was ich sage, versuche ich trotzdem,<br />
mich zu beherrschen, versuche ich dennoch, nicht bei jeder kleinsten Bemerkung<br />
gleich zu explodieren und auszurasten, damit ich nach dem Ramadan das noch viel eher<br />
praktizieren kann, weil ich dann ausgeglichener bin. Dann fällt es mir natürlich noch viel einfacher,<br />
ruhig zu bleiben, konzentriert zu sein und ein gutes Verhalten an den Tag zu legen<br />
als im Ramadan.<br />
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