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Die komplette MONITOR-Ausgabe 7-8/2001 können

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Cyberspace <strong>2001</strong>: Überall auf dem<br />

Globus stehen dot.coms vor dem Ende.<br />

Das Geld der Investoren ist verbrutzelt,<br />

die Hoffnungen ruiniert, die Kassen leer,<br />

die Kurse im Keller. In ihrer Not beschließen<br />

viele Cyber-Startups, ihre<br />

<strong>Die</strong>nste zu vergebühren - in den meisten<br />

Fällen ein sehr zweifelhaftes und vergebliches<br />

Unterfangen. Meine Augen<br />

richten sich auf Babylon.com. <strong>Die</strong> finden<br />

für die Vergebührung von über Internet<br />

angebotenen <strong>Die</strong>nstleistungen ideale<br />

Bedingungen vor. Wenn die es nicht<br />

schaffen, schafft es keiner. Daher: Investieren<br />

Sie nichts in Internet-Startups, bevor<br />

klar ist, ob Babylon abhebt.<br />

Reinhard Gantar<br />

Babylon traut sich<br />

Babylon ist eine „Übersetzungs- und Informationsplattform“<br />

und den meisten Übersetzern<br />

wahrscheinlich wohlbekannt. Der Gedanke,<br />

Wörterbücher und Übersetzungsdienstleistungen<br />

am Internet anzubieten, ist<br />

nicht gerade radikal, aber meiner Beobachtung<br />

nach schaffte es erst Babylon, die Versprechen<br />

der Vorzüge der neuen Technologie<br />

für geplagte Sprachschaffende einzulösen. <strong>Die</strong><br />

Wörterbücher sind vollständig und nicht nur<br />

nach Sprachen, sondern auch nach Fachgebieten<br />

geordnet; Jargon- und Slang-Dictionaries<br />

helfen bei rätselhaften Dialogen, und<br />

auf ungewohntem Terrain kann man sich<br />

dank Babylon auch noch in der Nacht vor Ultimo<br />

über die eine oder andere Bildungslükke<br />

hinwegschummeln. Soweit meine persönlichen<br />

und positiven Erfahrungen mit der<br />

Übersetzungs- und Informationsplattform.<br />

Falls Sie Übersetzer sind oder sonst einen Bedarf<br />

nach (auch obskuren) Glossaren und<br />

Wörterbüchern haben: Babylon ist mehr als<br />

einen Besuch wert. Mir sind die von dort<br />

downgeloadeten Heinzelmännchen inzwischen<br />

unentbehrlich geworden.<br />

Mich überraschte vor kurzem die Entdekkung,<br />

daß Babylon die Vergebührung seiner<br />

Services eingeführt hat. Seit einiger Zeit kosten<br />

die Services 20 Dollar für zwei Jahre.<br />

Nach dem kurzen Ärger über die Notwendigkeit,<br />

meine Kreditkarte hervorkramen zu<br />

müssen, entdeckte ich aber, daß man als zahlender<br />

Kunde keine Werbebanner mehr betrachten<br />

muß - ein Vorzug, den man erst bemerkt,<br />

nachdem dieser Nagel aus dem Schuh<br />

ÜBERSETZUNG IM INTERNET E-WORLD<br />

ist. Weiters halte ich Babylon für eine interessante<br />

Fallstudie für die Vergebührung von<br />

Services am Internet, und zwar aus folgenden<br />

Gründen.<br />

Als Übersetzer bin ich es gewöhnt, für<br />

Wörterbücher und Glossare viel Geld auszugeben.<br />

<strong>Die</strong> Bereitstellung der kanonisierten<br />

englischsprachigen Begriffe für obenliegende<br />

Nockenwelle ist ein Minderheitenprogramm,<br />

dessen Kosten auf nur wenige Menschen verteilt<br />

werden <strong>können</strong>.<br />

Andere Übersetzer, besonders jene mit<br />

Fachgebieten wie Luftfahrt, Recht oder Pharma<br />

haben kleine Vermögen in ihren Bücherschränken<br />

stehen. In anderen Worten:<br />

Babylons Zielgruppe sind Profis, die sehr<br />

genau wissen, daß man Geld ausgeben muß,<br />

um Geld zu verdienen. <strong>Die</strong>sen Vorteil hat<br />

Yahoo beispielsweise nicht. Yahoo richtet sich<br />

an Massen von Normalverbrauchern, die ihre<br />

20 Dollar für ihren Service nicht von der Steuer<br />

absetzen <strong>können</strong>.<br />

Ein zweiter Grund ist die Tatsache, daß<br />

Babylon die eigene Technologie zum Verkauf<br />

anbietet. Das Schaffen von Wörterbüchern<br />

ist eine eigene Kunst mit langer Tradition<br />

und erfordert komplexe Tools, die auch in<br />

Firmen zur „Verzettelung“ - so nennen das<br />

die Lexikographen - ihres eigenen Wissens<br />

verwendet werden <strong>können</strong>.<br />

<strong>Die</strong>ses Modell wird zwar auch von Suchmaschinenbetreibern<br />

verwendet, ist aber erstens<br />

zu spezialisiert und zweitens zu trivial,<br />

um in wirklich lukrative Produkte verwandelt<br />

werden zu <strong>können</strong>. Yahoo kann seine<br />

Suchmaschinensoftware an die Betreiber von<br />

Intranets verkaufen, aber da es bessere<br />

Technologie (ähnlich wie Unix oder Apache)<br />

gratis gibt, ist es ein Hard Sell. Babylon ist<br />

im Augenblick nicht in Gefahr, gelinuxt zu<br />

werden, und Instrumente für Wissensmanagement<br />

sind sehr teuer und sehr gefragt.<br />

Babylon hat trotz der neuen 20 Dollar-<br />

Gebühr einen interessanten Mix aus<br />

Geschenken, Sponsoring und Gebühren. Eingeschränkte<br />

Fassungen der computerisierten<br />

Wörterbücher sind weiterhin gratis und kommen,<br />

wie ich weiß, viel herum.<br />

Jede freundschaftlich erzeugte Kopie ist<br />

eine Reklame für Babylon. Daneben gibt es<br />

für frischgefangene Besucher Banner-Ads und<br />

„sponsored dictionaries“, mit freundlichen<br />

Widmungen von Amazon, CNET oder<br />

Encyclopedia Britannica. Niemand weiß,<br />

wieviel Geld dadurch hereinkommt, aber bei<br />

zehn Millionen Babylon-Benutzern wären es<br />

bei den üblichen Werbekosten bedeutende<br />

Beträge.<br />

Und sie sind vermutlich besser investiert<br />

als in Banner-Werbungen.<br />

Executive Summary: Auch wenn Sie kein<br />

Übersetzer sind, bietet Babylon eine Drosophilia<br />

für Betrachtungen zur neuen net.economy.<br />

Zweifel an der Tragfähigkeit an<br />

Dot.Com-Firmen sind berechtigt, aber manche<br />

Services sind gleicher.<br />

Lukrative Nischenoperationen wie Babylon<br />

könnten erfolgreich und so zu lehrreichen<br />

Vorbildern werden - das Aspirin für den Kater<br />

nach der Dot.Com-Party. ❏<br />

monitor 7-8/<strong>2001</strong> 63

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