MARKTVIEW CRT-<strong>MONITOR</strong>E 98 monitor 7-8/<strong>2001</strong>
Meine Freunde, die Leprechauns, sind eigentlich keine Leisetreter. Sie <strong>können</strong> jedoch so schnell erscheinen, sich auf meiner Tastatur so plötzlich materialisieren, dass es wirkt, als hätten sie die letzte Stunde dort verbracht. Und heute waren die Leprechauns wieder einmal auf einen Schlag präsent, so dass mich Mister Radiants erste Frage völlig unvorbereitet erwischte. Abgesehen davon ärgerte ich mich ein wenig, dass er, wie es Fabelwesen oft tun, meine Gedanken gelesen hatte. Evan Mahaney Übersetzt aus dem Amerikanischen von Reinhard Gantar Internet - wohin ? In seiner unverblümten Art fragte Mister Radiant: „Wie ist das nun, O Feinschmekker der Knusperkringel, denkt Ihr, dass das Internet jemals zu seinem ursprünglichen Konzept zurückfinden wird?“ Natürlich stellte Mister Radiant damit eine sehr gescheite Frage. Seit einiger Zeit beklage ich mich darüber, dass das Internet mit Haut und Haaren in die Kontrolle der Unternehmen übergegangen ist - den großen Weltkapitalverband, wie die Leprechauns das einmal nannten. Firmeninteressen und -steuerung mögen nicht nur schlecht sein, aber der zugehörige Menschenschlag, mit all seinen profanen Talenten, weiß noch immer nicht so recht, was er mit dem Internet eigentlich tun soll. Sie halten den Tiger am Schweif und wissen nicht, ob sie loslassen oder ob und wie sie sich weiter vorwagen sollen. Und so vermisse ich die schrullige kleine Welt der nicht am Gewinn interessierten Individualisten rund um den Globus, die einmal die treibende Kraft hinter dem Internet waren. Wir schickten einander Nachrichten - von Europa nach Amerika nach Israel nach Südafrika nach Neuseeland nach Brasilien... weltbewegendes stand natürlich EVAN MAHANEYS LEPRECHAUNS MONISKOP nicht darin, es war meistens nicht mehr als „Hallo Neuseeland! Ist das nicht toll? Wir haben hier herrliches Wetter in den USA. Wie ist das bei Euch?“ Wir waren ja so eloquent in den alten Tagen. Es gab ein halbes Dutzend Gratisprogramme für E-Mail. Eudora war damals der Marktführer; wir hatten ja keine Ahnung, dass die Firma in Verbindung mit Qualcomm eines Tages ein Wall Street-notierter Markenname sein würde. Steve Doner, Eudoras Gründer, beantwortete seine elektronische Post in jenen unschuldigen Tagen noch persönlich. Mit Hilfe der Leprechauns schrieb ich eine Kolumne mit der These, dass das Internet zu groß, zu individualistisch, zu unabhängig werden würde, um jemals von der Geschäftswelt vereinnahmt zu werden. Frau Donner, eine meiner liebsten Leprechauns, klopfte mir auf einen Finger und erklärte: „Seht her, auch wir vermissen manchmal die Idylle der alten Tage, aber es ist doch nicht das Ende der Welt...“ Ich stimmte ihr zu. Es ist nicht das Ende der Welt. Mein Problem ist, dass es gerade die Mitte ist, und ich lieber genau wüsste, wie dieses Spiel noch endet. Jetzt, da die Herren in Schlips und Kragen totale Kontrolle darüber haben, was wir einst das World Wide Web nannten - was werden sie damit anstellen? Ich wandte mich an Mr. Mature, einen der erfahrensten Leprechauns, und fragte ihn, ob er mir fünf Firmen nennen könne, die aus ihrer Web-Präsenz Gewinne lukrierten. Er lächelte ein wenig - es war ein ironisches Lächeln - und ich ahnte, dass sich in seinem Geist eine Spitzbüberei zusammenbraute. „Well“, brummte er, „es gibt da diese Pornosites. <strong>Die</strong> scheffeln Tonnen von Geld.“ Er grinste und fuhr fort: „Aber ich weiß natürlich worauf Ihr hinauswollt, O Kenner der böhmischen Cremegolatschen; die Firmen pumpen Millionen von Dollars in das Internet - für nichts. Unsere fröhliche Schar der Leprechauns haben erst vor kurzem die Zeitungen und Magazine am Internet durchsucht. Es waren wirklich viele gute darunter, aber keine dieser Publikationen arbeitet mit Gewinn. „<strong>Die</strong> meisten reinen Internet-Zeitschriften - beispielsweise Salon oder Slate, die keine gedruckte Fassung bieten - bluten Geld wie ein torpedierter Walfisch. Salon bekennt sich zu monitor 7-8/<strong>2001</strong> 99