ImFokus Nachdenken zahlt sich aus Francis. „Ich werde nicht müde zu betonen, dass es kein Refurbishment ist. In Wahrheit baut man auf oder in einen bestehenden Rohbau ein nigelnagelneues Haus“, betont 6B47-CEO Sebastian G. Nitsch. Das Gespräch führte: Michael Neubauer 134 ImmoFokus
Wenn man Ihre Studie „Bestehendes erhalten, Neues erschaffen“ auf einen Satz reduzieren muss, wäre die Quintessenz: „Abriss nur mehr in Ausnahmefällen“? Sebastian G. Nitsch: Die Quintessenz ist, dass es sich im Sinne der Nachhaltigkeit auf jeden Fall auszahlt, darüber nachzudenken. Ich glaube, dass Gebäude mit einer gewissen Trakt-Tiefe, mit einem gewissen Baujahr, mit gewissen Achsenbreiten, es wert sind, überprüft zu werden, ob man sie in Konversionsthemen nutzen kann – für dieselbe Assetklasse oder aber auch für eine andere Assetklasse. Diesem Thema wird in Zukunft sicher mehr Augenmerk geschenkt werden. Gib es eine Ziffer im Bericht, die Sie besonders überrascht hat? Mich hat fast jede Ziffer positiv überrascht. Dass es nachhaltig sein muss, war uns von Anfang an klar, aber wie nachhaltig es ist, hat mich überrascht. Wir sind schnell einmal Wanderprediger. Aber die Zeiten zeigen uns, gerade das Thema sollte man faktenbasiert analysieren. Mit Werner Sobek haben wir ein renommiertes deutsches Ingenieurbüro beauftragt, unser Projekt wissenschaftlich zu erheben und zu berechnen. Der Befund ist beeindruckend: 67 Prozent CO2-Ersparnis. Ein Ergebnis, das weiterführend leider kein Zertifizierungstool abdeckt. Das sind Bonuspunkte, die in keinem Zertifikat eine Würdigung finden. Sehr wohl aber bei Investoren, die sich – Stichwort EU-Taxonomie und ESG-Kriterien – zunehmend mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen müssen. Damit entwickeln, weit über alle Zertifizierungskriterien hinaus, das nachhaltigste Bürogebäude Wiens. Diesen Vorteil werden auch Investoren sicherlich schätzen, wenn es um Aspekte des Green-Deals und der EU- Taxonomie in deren Portfolios geht. Die Wahl fiel auf Werner Sobek … Unsere Technik-, Plan- und Bauabteilung hat in der Vergangenheit immer wieder Themen mit dem Team Sobek abgeklärt. Wir schätzen die professionelle Arbeit, da war es naheliegend, ihn damit zu beauftragen. Vor allem auch wegen der großen Expertise im Bereich Nachhaltigkeit. Sie haben angemerkt, dass die Zertifizierungssysteme diese CO2-Ersparnis nicht würdigen. Sind hier Nachschärfungen nötig – vor allem, wenn man im Bestand saniert? Das war nicht als Kritik an Zertifizierungsinstituten gemeint. Auch diese leben, so wie wir, in einem dynamischen Prozess. EU-Taxonomie, Zertifizierung, Green-Deal, ESG – oft wird alles in einen Topf geworfen. Die Zertifizierungsinstitute stehen in der Herausforderung, laufend daran zu arbeiten, diese neuen Entwicklungen in den bestehenden oder neuen Kriterien abzubilden. Ein dynamischer Prozess, der wahrscheinlich nie enden wird. Wir sind hier mit der ÖGNI in einem sehr offenen Dialog, in einem für beide positiven Wissens- und Know-how-Transfer. Ein Beispiel: Gerade im Bereich Energie poppen Start-ups wie Schwammerl im Frühling auf. Früher musste ich meine eigene Energie abgeben und über den Zähler wieder reinholen. Mittlerweile kann ich hinter dem Zähler schon sehr viele Energiekonzepte umsetzen. Das gibt es spannende Konzepte. Wird bei 6B47 ausschließlich nach ÖGNI zertifiziert? Unterschiedliche Zerifikate mit unterschiedlichem Fokus kamen zum Einsatz. Dass man zertifizieren muss, daran besteht nunmehr kein Zweifel mehr. Vor ein paar Jahren haben wir noch geglaubt, dass man mit Zertifikaten Sebastian G. Nitsch höhere Preise erzielen kann, mittlerweile brauchen Objekte ihre Zertifikate, um überhaupt verkauft werden zu können. Der Wohnbereich wurde bisher, was Zertifikate betrifft, stiefmütterlich behandelt. Seit das Interesse institutioneller Investoren an Wohnobjekten gewachsen ist, muss er nun auch nachziehen. Man merkt, dass das Thema bei den Projektentwicklern an Fahrt aufgenommen hat. Von der Konversion im Francis bis hin zum Thema Energie. Am Steingötterhof in Sankt Pölten errichten wir durch den Einsatz von Erdwärme und Solar ein energieautonomes Quartier. Auf den Punkt gebracht. Das rechnet sich – trotz steigender Baukosten? Es muss sich rechnen. Das ist ein Thema, das sich rechnen muss. Wir sind das der Natur und unserem Planeten schuldig. Ich glaube ebenfalls, dass der Investor mittlerweile nicht draufzahlt, sondern dass er mittel- bis langfristig davon profitiert. Bei einer Konversion wie beim Francis erspart man sich wirtschaftlich nichts. Es kommt spannenderweise fast gleich teuer wie ein Neubau. Es war für uns aber der einzige Weg, das Projekt Francis umzusetzen. Es ist aber ein einzigartiges Projekt. Das Grundgerüst des Gebäudes ermöglicht vieles, das sich im Neubau niemand mehr leisten Mit Sebastian G. Nitsch steht seit Anfang September 2020 ein neuer CEO an der Spitze der 6B47 Real Estate Investors AG. Der gebürtige Wiener ist bereits seit 2010 in der Geschäftsführung sowie seit 2013 im Vorstand für Corporate Finance und Investor Relations der 6B47 tätig. Seit 2016 zeichnet er als CFO der gesamten Unternehmensgruppe verantwortlich. Vor seinem Einstieg bei der 6B47 Real Estate Investors AG war Nitsch fünf Jahre lang in der Geschäftsführung der Dekron Gruppe, wo er vor allem Beteiligungen an Unternehmen im Bereich Merger & Acquisitions betreute sowie die Erstellung von Immobilienfonds und die Projektentwicklung von Gewerbe- und Handelsimmobilien vorantrieb. Davor startete er seine Karriere als Vorstand einer Vermögensverwaltungs AG und war dort neun Jahre lang tätig. Unter seiner Regie soll das aktuelle Investitionsvolumen von rund 1,6 Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren nahezu verdoppelt werden. <strong>Winter</strong> 2021 135