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Paul Pawlowitsch – eine Skizze - Rotes Antiquariat

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Seite 103<br />

Anarchistica I<br />

Im Juli 1898 meldet sich das „Neue Leben“ in neuer Folge zurück, amüsanterweise<br />

auch mit der neuen Rubrik „Gewerk- und Genossenschaftliches“, wo doch die Berichterstattung<br />

des „Sozialist“ über die Genossenschaften früher <strong>eine</strong>r der Hauptkritikpunkte<br />

gewesen war. Großer Erfolg ist dem „Neuen Leben“ auch in s<strong>eine</strong>m zweiten<br />

Anlauf nicht beschieden. Im Oktober 1898 benötigt das Blatt wöchentlich <strong>eine</strong>n<br />

Zuschuss von 15 Mark. Inzwischen gibt es sogar auf Seiten des „Neuen Lebens“ <strong>eine</strong><br />

große Zahl von Stimmen, die sich für <strong>eine</strong> Verschmelzung mit dem „Sozialist“ einsetzen.<br />

<strong>Pawlowitsch</strong>, Julius Müller und Löhr stellen allerdings die Bedingung, dass die<br />

Schulden des „Sozialist“ nicht übernommen werden und Spohr und Weidner auf k<strong>eine</strong>n<br />

Fall weiter dabei bleiben. Landauer dürfe bleiben, wenn er mit 30 Mark<br />

Wochenlohn zufrieden sei und sich sonst jeden Einflusses enthalte.<br />

Offenbar hat man selbst auf Seiten des „Neuen Lebens“ inzwischen eingesehen, dass<br />

ein routinierter Schriftsteller wie Landauer bei der Zusammenstellung <strong>eine</strong>r Zeitung<br />

nicht schaden kann. Mit der Verschmelzung wird es aber erst einmal nichts. Im April erklärt<br />

<strong>eine</strong> Korpora das „Neue Leben“ zum einzigen Organ der Berliner Bewegung, für<br />

den „Sozialist“ in s<strong>eine</strong>m Siechtum findet sich hier kein Fürsprecher mehr.<br />

Das „Neue Leben“ ist k<strong>eine</strong>swegs ein leuchtendes Beispiel. Intern gibt es auch dort regelmäßig<br />

Unfrieden. Im Zentrum davon steht des öfteren Rudolf Lange, der nach der<br />

Neugründung des Blattes in der Redaktion tätig ist. Nachdem er jedoch Julius Müller,<br />

<strong>eine</strong>m der Gründer des „Neuen Lebens“, die Frau ausgespannt hat und diese Ende<br />

1898 bei Lange eingezogen ist, ist das Verhältnis zu der „Neues Leben“-Gruppe gespannt,<br />

und Lange hält sich daher im persönlichen Umgang sehr zurück.<br />

Im Juli 1899 gären diese Streitigkeiten immer noch. Sie sollen dadurch geregelt werden,<br />

dass man über das Vorleben von Lange in London Erkundigungen einziehen will.<br />

Von Albert Weisheit wird Lange zudem der Spitzelei verdächtigt. In der Folge distanziert<br />

man sich erst einmal von Lange, indem man ihn <strong>–</strong> wie es so schön heißt <strong>–</strong> aus der<br />

inneren Bewegung ausschließt (Okt. 1899).<br />

Durch <strong>eine</strong>n früheren Aufenthalt in London hat Lange dorthin sehr gute Kontakte, und<br />

plötzlich ist auch der Londoner Communistische Arbeiter-Bildungs Verein (der auch<br />

als Wühler gegen den „Sozialist“ aufgetreten ist) nicht mehr mit dem „Neuen Leben“<br />

zufrieden. Die Politische Polizei rechnet damit, dass dies Lange bald bei s<strong>eine</strong>r<br />

Rehabilitierung helfen werde. Lange geht bald darauf erst einmal auf Agitationstour<br />

und kehrt erst Monate später wieder nach Berlin zurück. Die Wogen sind inzwischen<br />

etwas geglättet, und Lange darf wieder für das „Neue Leben“ schreiben, sofern er die<br />

Artikel mit s<strong>eine</strong>m Namen zeichnet. Fähige Artikelschreiber sind Mangelware beim<br />

„Neuen Leben“ und das sonstige Niveau ist eher niedrig angesiedelt. Anlässlich des<br />

Eingehens des „Armen Konrads“ zitiert der „Sozialist“ mit Genugtuung Johann Mosts<br />

Entrüstung in der „Freiheit“ über dieses Eingehen <strong>eine</strong>s Agitationsmittels erster Klasse,<br />

das die Segel habe streichen müssen:„und zwar vor <strong>eine</strong>m Conglomerat von Kafferismus,<br />

Stänkertum und grössenwahnsinnigem Häringssalat.“ Das Konkurrenzorgan<br />

„Neues Leben“, so sinngemäß Most, sei durchschnittlich nichts anderes als ein<br />

Ablagerungsplatz für Produzenten von sonst nirgends druckbarem Quatsch.<br />

Just in dem Moment als der „Arme Konrad“ eingestellt wird, kommt von <strong>Pawlowitsch</strong><br />

der Vorschlag zu <strong>eine</strong>r Verschmelzung von „Neuem Leben“ und „Sozialist“ zur Hebung<br />

der Zeitungskalamität. Dazu schlägt <strong>Pawlowitsch</strong> <strong>eine</strong> Konferenz in <strong>eine</strong>r größeren<br />

Stadt Mitteldeutschlands vor, wo entschieden werden solle, ob das „Neue Leben“ den<br />

„Sozialist“ als Monatsblatt mitvertreibe. Doch der „Sozialist“ wiegelt ab: So wie die Dinge<br />

lägen, werde <strong>eine</strong> solche Konferenz nur <strong>eine</strong>n geringen Nutzen bringen. Es läge<br />

eher daran, ob man den „Sozialist“ für gut und wichtig halte. Und das täten alle, selbst

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