Paul Pawlowitsch – eine Skizze - Rotes Antiquariat
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Der zweite „Sozialist“<br />
(1895-1899)<br />
Seite 135<br />
Anarchistica I<br />
Nach der Einstellung des ersten „Sozialist“ im Januar 1895 vergehen die nächsten Monate<br />
mit den Planungen zur Gründung <strong>eine</strong>s Ersatzblattes, das entweder in London,<br />
Holland oder der Schweiz oder doch wieder in Deutschland und dort entweder in<br />
Berlin oder Stuttgart ersch<strong>eine</strong>n soll. Hauptakteur der Planung in Berlin ist der aus der<br />
Haft entlassene Adolf Löhr, Expedient des alten „Sozialist“, der aber so energisch die<br />
Fäden in der Hand behalten will, daß er s<strong>eine</strong>n Genossen nicht einmal angibt, wer das<br />
neue Blatt drucken und als Redakteur zeichnen soll. Unter diesen Umständen wollen<br />
die Berliner Genossen Löhr kein Geld für die Zeitung bewilligen und er läßt das Projekt<br />
erbost fallen. Das weitere Vorgehen bleibt bei Richard Weiß (ebenfalls ehemaliger<br />
Expedient des „Sozialist“) und dem früheren Redakteur Gustav Landauer, der zu dieser<br />
Zeit in Bregenz/Österreich wohnt. Bald stößt Wilhelm Spohr dazu, der am 3. Juli 1895<br />
nach über <strong>eine</strong>m Jahr Haft, die er wegen <strong>eine</strong>r aufreizenden Rede bei der Maikundgebung<br />
1894 erhalten hatte, aus dem Gefängnis entlassen wird. Wenige Wochen später<br />
kündigt ein von ihm unterzeichnetes Zirkular das erneute Ersch<strong>eine</strong>n des „Sozialist“<br />
an; als Redakteur steht Landauer und Spohr selbst als Expedient fest.<br />
Die erste Nummer dieses zweiten „Sozialist“ erscheint schließlich am 17. August 1895<br />
als Neue Folge des fünften Jahrgangs mit dem neuen Untertitel „Organ für Anarchismus-<br />
Sozialismus“. Als verantwortlicher Redakteur (und damit als juristisch belangbare Person)<br />
zeichnet der Berliner Zigarrenmacher Oskar Witzke, als Verleger Landauer, z.Zt. in<br />
Bregenz; defakto ist natürlich Landauer auch für die Redaktion zuständig, nur juristisch<br />
nicht so exponiert. Die Auflage dürfte wie geplant 5000 Exemplare betragen haben,<br />
von denen allerdings viele Hundert als unverkäuflich zurückkommen, wohl nicht zuletzt<br />
wegen des bewußt maßvoll gehaltenen Inhalts. Insgesamt stößt der Inhalt der ersten<br />
Nummer nicht auf sonderlich viel Gegenliebe, wie die Politische Polizei zu berichten<br />
weiß. Vielen Genossen stößt Landauers als zahm empfundene Schreibweise und<br />
s<strong>eine</strong> Propaganda für die Konsum-Genossenschaften sauer auf, zudem hält man es für<br />
<strong>eine</strong>n taktischen Fehler, daß gleich in der ersten Nummer die Sozialdemokratie angegriffen<br />
und verspottet wird. Als Resultat wird für die Genossenschaftsidee in der Folge<br />
erst einmal weniger offen Propaganda gemacht, die Bekämpfung der Sozialdemokratie<br />
tritt etwas zurück und die Zufriedenheit der Leserschaft steigt. Selbst die Beschlagnahme<br />
der Beilage zur Nr. 4 v. 14. September wegen Majestätsbeleidigung macht eher<br />
Werbung für das Blatt, das um diese Zeit herum bereits kostendeckend arbeiten soll.<br />
Beinahe zeitgleich mit der Neuherausgabe des „Sozialist“ bildet sich in Berlin im August<br />
1895 um Löhr die Gruppe „Centrum“ (die Polizei nennt sie <strong>eine</strong> „Geheimgruppe“,<br />
was bedeutet, daß sie nicht offiziell gemeldet ist, wie es das Vereinsgesetz fordert), in<br />
der sich mit <strong>Paul</strong> <strong>Pawlowitsch</strong>, Neft, <strong>Paul</strong> Petersdorf, Julius Müller, Korthals, Diesner und<br />
anderen vor allem Gegner der Genossenschaftsidee sammeln, denen die Herausgeber<br />
des „Sozialist“ ein Dorn im Auge sind. Löhr ist außerdem noch schwer gekränkt, daß er<br />
nicht wieder Expedient des „Sozialist“ geworden ist. Aus dem Umfeld dieser Gruppe<br />
gehen die nächsten Jahre beständig Angriffe gegen den „Sozialist“ und s<strong>eine</strong> Leiter<br />
hervor. Die Konsumgenossenschaften sind dabei das Dauerbrennerthema. Den ersten<br />
größeren Krach gibt es bereits im Oktober 1895 als <strong>eine</strong> anarchistische Versammlung<br />
mit dem Thema „Der sozialdemokratische Parteitag“ in <strong>eine</strong> erhitzte Diskussion zwischen<br />
Gegnern des „Krämer-Anarchismus“, wie <strong>Pawlowitsch</strong> die Verquickung von<br />
Anarchismus mit der Genossenschaftsidee nennt, und Gegnern des „Phrasen-<br />
Anarchismus“, den Wilhelm Wiese <strong>Pawlowitsch</strong> et al. attestiert, ausartet. Die Gegner der