Paul Pawlowitsch – eine Skizze - Rotes Antiquariat

Seite 128 I Januar 2011
Unterstützung und Beschleunigung dieser Klassenkämpfe sollte die Vorbedingung
des Sozialismus,„die Beseitigung des Kleinbürger- und Kleinbauernthums“ 12, erreicht
werden.
Ein wesentlicher Aspekt, um sich von der SPD hinsichtlich des organisatorischen Aufbaus
abzugrenzen, lag in der vehementen Ablehnung jeder Form einer Zentralisierung
von Entscheidungsfindungen und Zuständigkeiten. So heißt es:„Innerhalb der
proletarischen Bewegung selbst werden wir jede zwangsweise Zentralisation bekämpfen,
weil durch diese Organisationsform die Machtbefugnisse sich in den Händen
Einzelner häufen und somit stets die Gefahr der Diktatur droht“ 13. Dieses Ideal einer
grenzenlos egalitären und libertären Struktur der Vereinigung wurde zu einem zentralen
Konfliktpunkt, der sich unmittelbar in den Blattinhalten des „Sozialist“ widerspiegeln
und zur Zerreißprobe der Redaktion führen sollte.
Neben der Herausarbeitung von programmatischen Grundsätzen musste der VUS
Überlegungen anstellen, wie er sich organisatorisch festigen und strukturell innerhalb
der sozialrevolutionären Strömung der proletarischen Bewegung verankern konnte.
In einer Art Organisationsportrait des VUS, welches auf einem Vertrauensmännersystem
beruhen sollte, finden wir eine Orientierung am lokalistisch-syndikalistischen Vorbild
der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften (FVdG). Auch wenn „das innere
Band bereits durch die Interessensolidarität gegeben ist“, sollen die eigenen Reihen organisiert
werden, da der politische Kampf „eine engere Verbindung aller notwendig
(macht)“ 14. Mit der Orientierung auf den Syndikalismus war klar, dass ein wie auch
immer zentralistisch und parlamentarisch-parteimäßiges Organisationsmodell verworfen
wurde.
Diese Reorganisierungsbemühungen des VUS in Richtung einer kämpferischen
Gewerkschaftsvereinigung werden im Frühjahr 1893 in mehreren Ausgaben des
„Sozialist“ prominent auf der Titelseite bekannt gemacht. Unter der direkten Anrede
„An alle revolutionären Arbeiter Berlins“ heißt es:„In letzter Zeit ist von verschiedenen
Seiten der Plan gefasst, neue rein sozialistische Gewerkschafts-Vereinigungen zu schaffen.“
15„In seiner letzten General-Versammlung“, so setzt der Artikel fort, „ist der ‘Verein
der unabhängigen Sozialisten’dahin reorganisirt worden, dass hauptsächlich die wirthschaftliche
Seite unserer Bewegung hervorgehoben wird und man ihn somit als allgemeinen
Arbeiterverein Berlins bezeichnen kann, welcher in erster Linie seine Aufgabe
darin sucht, die Klassengegensätze, welche die kapitalistische Produktionsweise geschaffen,
zu kennzeichnen, und damit auf dem Boden des Klassenkampfes geschulte,
durch die Solidarität verbundene und begeisterte Kämpfer zu erziehen, die bereit sind,
für die Sache des geknechteten Proletariats jedes Opfer zu bringen (...) Indem wir so
alle Kräfte in einer Vereinigung konzentriren, werden wir Mittel und Wege schaffen, die
uns in den Stand setzen, in nicht allzu langer Zeit eine Bewegung zu entfalten, die
allerdings nicht nach Geschmack des Führerthums der Sozialdemokratie, die aber insbesondere
auch nicht in den Ohren der herrschenden Klasse als Friedensschalmei erklingen
wird“. 16 Um eine Zersplitterung der Kräfte gar nicht erst aufkommen zu lassen,
ruft der VUS dazu auf, keine lokalistisch-syndikalistischen Vereinigungen neu zu gründen,
sondern sich dem VUS anzuschließen:„Eingedenk des Satzes:‘In der Einheit liegt
12 Ebd.
13 Ebd.
14 Der Sozialist. Organ der unabhängigen Sozialisten, 2. Jg., Nr. 16 vom 17. April 1892.
15 Der Sozialist. Organ der unabhängigen Sozialisten, 3. Jg., Nr. 10, 11. März 1893 / Nr. 16 vom 15. April
1893.
16 Ebd.