Paul Pawlowitsch – eine Skizze - Rotes Antiquariat
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Seite 6 I Januar 2011<br />
Von Seiten <strong>Paul</strong> Frauböses, Geschäftsführer der „Anarchistischen Föderation Deutschlands“,<br />
und des „Neuen Lebens“ wird im Juni 1903 <strong>eine</strong> Verschmelzung von „Neuem<br />
Leben“ und „Anarchist“ vorgeschlagen. Lange opponiert dagegen, wobei er aber über<br />
den „Anarchist“ überhaupt k<strong>eine</strong> Verfügungsgewalt haben will (diese Behauptung<br />
dient natürlich dazu, sich nicht juristisch für den Inhalt haftbar machen zu lassen).<br />
Gegen <strong>eine</strong> Aufgabe des Titels hätte er zwar nichts einzuwenden, auch nicht gegen<br />
den Druck der gemeinsamen Zeitung durch die Firma Lehmann (die <strong>Pawlowitsch</strong> gehört),<br />
er wolle nur voll und ganz rehabilitiert werden, um dann als allein befähigter<br />
Redakteur allgemein anerkannt und möglichst gut bezahlt zu werden, wie die<br />
Politische Polizei süffisant formuliert.<br />
Finanziell scheint „Der Anarchist“ zunächst soweit rentabel gewesen zu sein, denn ab<br />
Sommer 1904 wird der Erscheinungsrhythmus auf zwei Nummern pro Monat erhöht.<br />
Mit dem „Revolutionär“ von Frauböse erscheint ab Sommer 1905 ein weiteres anarchistisches<br />
Blatt in Berlin, sodass es mit dem „Neuen Leben“ jetzt derer drei sind. Finanzielle<br />
Engpässe auf irgend<strong>eine</strong>r Seite sind vorprogrammiert, wie es schon die Konstellation<br />
„Sozialist“,„Armer Konrad“ und „Neues Leben“ Ende der 1890er gezeigt hat.<br />
Der „Anarchist“ versucht sich nun auch als Buchverlag und veröffentlicht ab Oktober<br />
1905 mit „Acht Jahre im Zuchthaus“ die Erinnerungen des gerade haftentlassenen<br />
Sepp Oerter in einzelnen Lieferungen. Nach drei Lieferungen bleibt das Projekt Ende<br />
1905 wegen Geldmangels stecken 6. Das Werkchen erscheint dann erst 1908 vollständig<br />
im Verlag von Karl Schneidts „Tribüne“.<br />
Allgem<strong>eine</strong>r Geldmangel ist wohl auch der Grund, dass 1906 nur 17 von 24 angestrebten<br />
Nummern ersch<strong>eine</strong>n. Die Auflage beträgt zu dieser Zeit etwa 2000 Exemplare.<br />
1907 wird die Erscheinungsweise noch unregelmäßiger: von Juli bis September ersch<strong>eine</strong>n<br />
überhaupt k<strong>eine</strong> Nummern <strong>–</strong> zu viele Schulden und zu viele Außenstände.<br />
Im September 1907 kündigt Lange jedoch in <strong>eine</strong>m Zirkular an, dass das Blatt wieder<br />
14-tägig herauskommen solle. Es erscheint allerdings nur noch <strong>eine</strong> Nummer im<br />
Oktober 1907, dann wieder lange nichts.<br />
Im Januar 1908 findet Lange wieder Zugang zu den Fleischtöpfen, denn er wird in die<br />
Geschäftskommission der „Anarchistischen Föderation Deutschlands“ gewählt.Er leitet<br />
die Geschäftsstelle. Korrespondenzen, Geldsendungen und Bonsbestellungen sind<br />
fürderhin an ihn zu richten. 7 Diese Ergänzungswahlen waren notwendig geworden,<br />
weil fast sämtliche Mitglieder, die dem „Revolutionär“ (Berthold Cahn) und „Anarchist“<br />
(Otto Weidt und Fritz Wöckner) nahe gestanden hatten, aus der Geschäftskommission<br />
zurückgetreten waren. Ursprünglich waren von jeder der drei Zeitungsparteien:„Freier<br />
Arbeiter“, „Revolutionär“ und „Anarchist“ je zwei Mitglieder in der Kommission vertreten<br />
gewesen.<br />
Nur wenige Tage später teilt Mitte Januar 1908 ein Zirkular die Einstellung des „Anarchist“<br />
mit und empfiehlt, den „Freien Arbeiter“ als Ersatz zu abonnieren. In der Folge <strong>–</strong><br />
es muss fast nicht extra gesagt werden <strong>–</strong> dehnt Lange s<strong>eine</strong>n Einfluss beim „Freien<br />
Arbeiter“ konsequent aus. Revisionen s<strong>eine</strong>r Buchführung duldet er nicht. Als er wenige<br />
Wochen vor dem Ersten Weltkrieg stirbt, gilt er als der große Organisator der deutschen<br />
anarchistischen Bewegung.<br />
Tilman Leder<br />
6 Dass Lange damals von den 650 Mark, die für Oerter zu dessen Haftentlassung gesammelt worden<br />
waren, sofort 400 Mark zur Finanzierung des Druckes abgezweigt hatte und dafür nur drei Teillieferungen<br />
zustande brachte, sei hier nur am Rande erwähnt.<br />
7 FA V, 3 v. 18.1.1908, p.2-3