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Paul Pawlowitsch – eine Skizze - Rotes Antiquariat

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Seite 2 I Januar 2011<br />

erfassen <strong>–</strong> wenn auch aus <strong>eine</strong>m sehr fragwürdigen Blickwinkel. Immerhin sind uns<br />

dadurch u. a. einige Angaben zur Person überliefert, die zumindest amüsant sind:<br />

„1. Größe: 1 m 65 cm. 2. Gestalt: kräftig. 3. Haare: schwarz. 4. Bart: kl<strong>eine</strong>r<br />

schwarzer Schnurrbart. 5. Augenbrauen: schwarz. 6. Gesichtsbildung: voll. 7.<br />

Gesichtsfarbe: gesund. 8. Augen: braun. 9. Stirn: hoch. 10. Nase: klein, breit und<br />

flach. 11. Mund: gewöhnlich, dicke Lippen. 12. Zähne: unvollständig. 13. Kinn:<br />

spitz. 14. Sprache: deutsch. 15. Besondere Kennzeichen: Auf der rechten<br />

Wange und der Stirn Narben, linker Arm tätowiert:„Herz, P.P., Schlüssel, Kranz,<br />

Totenkopf“. Kleidung: gewöhnlich im Arbeitsanzug.“<br />

Aus den selben Akten lässt sich auch entnehmen, dass <strong>Pawlowitsch</strong> zur Zeit s<strong>eine</strong>s<br />

Zuzugs von Berlin nach Neu-Weissensee 1892 bereits dreimal vorbestraft ist (5 Tage<br />

Haft wegen Bettelei, 6 Wochen Gefängnis wegen schwerer Körperverletzung und <strong>eine</strong><br />

Woche wegen Kuppelei).<br />

S<strong>eine</strong> Laufbahn als Anarchist begann <strong>–</strong> nach Erkenntnissen der Politischen Polizei <strong>–</strong> zu<br />

Beginn der 90er Jahre, nachdem er zunächst Mitglied der Unabhängigen Sozialisten<br />

gewesen war. Im wahrscheinlich von Ende 1898 datierenden „Personalblatt <strong>Pawlowitsch</strong>“<br />

ist vermerkt:<br />

„<strong>Pawlowitsch</strong> ist schon vor s<strong>eine</strong>m Zuzug nach Neu-Weissensee in Berlin als<br />

Anarchist bekannt gewesen. In Neu-Weissensee in anarchistischen Versammlungen<br />

als Redner aufgetreten.“<br />

Mit öffentlichen Reden und Artikeln macht der Metallarbeiter preußischer Staatsangehörigkeit<br />

sich nicht nur bei den Behörden schnell <strong>eine</strong>n Namen. Als Folge verbringt<br />

<strong>Pawlowitsch</strong> das Jahr 1894 größtenteils im Knast. Auf <strong>eine</strong> Verurteilung zu 3 Monaten<br />

Gefängnis Mitte Februar wegen des Artikels „Visionen“ im „Sozialist“ vom 23.12.1893<br />

(Jg. 3, Nr. 52 <strong>–</strong> Nummer des „Sozialist“, die <strong>Pawlowitsch</strong> als Redakteur verantwortlich<br />

zeichnete), folgt k<strong>eine</strong> zwei Wochen später <strong>eine</strong> Verurteilung zu 9 Monaten wegen<br />

<strong>eine</strong>r Versammlungsrede vom 1.2.1894. Am 5.3. wird <strong>Pawlowitsch</strong> auf dem Wege zur<br />

Arbeit verhaftet. Noch während er s<strong>eine</strong> Strafen absitzt, wird ihm ein Monat Zusatzstrafe<br />

„wegen Aufreizung“ während <strong>eine</strong>r Anarchistenversammlung vom 11.11.1892<br />

aufgebrummt. Kaum wieder auf freiem Fuße, wird er am 30.5.1894 noch mal zu 14<br />

Tagen wegen Beleidigung des Berliner Polizeipräsidiums verurteilt.<br />

Neben Agitationsreden und Wortbeiträgen in politischen Debatten hält <strong>Pawlowitsch</strong><br />

immer wieder auch Vorträge zu angekündigten Themen. Im Mittelpunkt stehen Fragen<br />

des Anarchismus sowie politische Repression im Ausland. 1897 geht sein Blick vor<br />

allem nach Spanien. Auf zahlreichen Veranstaltungen referiert er unter variierenden<br />

Überschriften über die Massenverhaftungen und Folter von Anarchisten 1892 in<br />

Barcelona, die er als „Inquisition in Spanien am Ende des XIX. Jahrhunderts“ charakterisiert.<br />

<strong>Pawlowitsch</strong> ist offensichtlich nicht nur als Verleger, sondern auch als Agitator <strong>eine</strong><br />

Schlüsselfigur in der anarchistischen Szene und ein regelrechter Publikumsmagnet. Er<br />

spricht u. a. in Berlin, Stuttgart und München, z.T. vor Tausenden von Zuhörern.<br />

Auch in den Augen der Politischen Polizei ist <strong>Pawlowitsch</strong> mehr noch als Adolf Löhr<br />

der Wortführer, um den sich die „Radikalen“ scharen, als im Oktober 1895 die Auseinandersetzung<br />

mit den Befürwortern der Genossenschaftsidee um Landauer eskaliert.<br />

Dass eben Landauer und <strong>Pawlowitsch</strong> im Sommer 1896 als Delegierte der Berliner<br />

Anarchisten zum Internationalen Sozialistenkongreß nach London entsandt werden,<br />

spricht ebenfalls für deren Rolle als Sprachrohr ihrer jeweiligen Fraktionen.

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