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100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen

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Im Wohnheim hatten etwa 26 Studenten Platz gefunden, fast alle in Doppelzimmern. Es gab<br />

eine Gemeinschaftsküche und getrennte S<strong>an</strong>itärräume und im Eing<strong>an</strong>gsbereich einen<br />

großen runden Tisch. Dort saß m<strong>an</strong>, wenn einem das Zimmer zu klein geworden war und<br />

m<strong>an</strong> Ansprache benötigte o<strong>der</strong> wollte. Von diesem Platz hatte m<strong>an</strong> den Überblick, wer einund<br />

ausging.<br />

Die zentrale Lage von 30/1 war absolut von Vorteil. Alles war gut zu Fuß zu erreichen, die<br />

Uni-Gebäude, Tengelm<strong>an</strong>n, Osi<strong>an</strong><strong>der</strong> und die Kneipen. Alle Feste im Clubhaus konnte m<strong>an</strong><br />

zunächst inspizieren und bei Gefallen ohne Eintritt durch die Hintertüre besuchen. Die Wiese<br />

mit den Bäumen hinter dem Haus war ruhig und die Ammer plätscherte vor sich hin, mal<br />

mehr, mal weniger. Im Sommer lagen wir hier und lernten o<strong>der</strong> saßen am Ufer und ließen die<br />

Füße ins Wasser baumeln.<br />

Im Wohnheim f<strong>an</strong>d ich meine ersten Freunde, die mir halfen, mich in <strong>der</strong> westlichen Welt und<br />

im Uni-Alltag zurecht zu finden. Sie alle hatten sich schnell <strong>an</strong> meine dummen Fragen<br />

gewöhnt und unterstützten mich. M<strong>an</strong>chmal war es mir echt peinlich.<br />

Hier trafen sich auch Typen, die m<strong>an</strong> nie vergisst: G., eine griechische Doktor<strong>an</strong>din<br />

philosophierte über Dinge, die ich nicht verst<strong>an</strong>d; ein chinesischer Kommilitone kochte stets<br />

um Mitternacht und zog deshalb oft den Unmut <strong>der</strong> restlichen Bewohner auf sich; W.<br />

studierte Alles und Nichts, lief immer im Schlurfschritt mit Hausp<strong>an</strong>toffeln herum und spielte<br />

zu unserer aller Freude ein Harmonium. Von ihm lernte ich die ersten schwäbischen<br />

Vokabeln, die er mich auch regelmäßig abfragte. M., Pfarrerssohn und Mathematikstudent<br />

teilte mit ihm in aller Freundschaft und Zuvorkommendheit das Zimmer. In einem Zimmer<br />

wohnte auch G., ehemaliger Jugendradmeister. Er war aus dem Osten abgeschoben worden<br />

und auch erst kurz da, studierte nun Medizin und machte viele Nachtwachen. Ich f<strong>an</strong>d ihn<br />

sehr symphatisch und suchte seine Nähe, weil ich dachte, dasselbe Schicksal trägt sich<br />

zusammen besser. Aber meine Zimmergenossin hatte mehr Glück bei ihm, was die<br />

Stimmung in unserem Zimmer nicht verbesserte.<br />

An m<strong>an</strong>chem lustigen Abend beschloss m<strong>an</strong> g<strong>an</strong>z spont<strong>an</strong>, entwe<strong>der</strong> gleich ins Elsass zum<br />

Essen zu fahren o<strong>der</strong> ein verlängertes Wochenende zum Baden nach Sp<strong>an</strong>ien. Zu viert o<strong>der</strong><br />

zu fünft besuchten wir sonntags diverse Eltern zum Mittagessen. Ich lernte auf einmal die<br />

Welt kennen und war so d<strong>an</strong>kbar für die Bereitschaft <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>en, mich mit einzubeziehen.<br />

Im Bert-Brecht-Bau beg<strong>an</strong>n ich mit dem Studium meiner beiden Fächer und zusätzlich mit<br />

<strong>der</strong> Latein-Büffelei. Ich musste das Kleine Latinum nachmachen, jeden Montagmorgen<br />

beg<strong>an</strong>n <strong>der</strong> Kurs um 7.15 Uhr im Hegelbau. Allerdings interessierte mich die Sprache<br />

überhaupt nicht (in <strong>der</strong> Schule hatte ich Russisch, Englisch und Fr<strong>an</strong>zösisch) und ich f<strong>an</strong>d<br />

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