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100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen

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Elite ohne Frauen?<br />

Spekulationen über die Zukunft des <strong>Frauenstudium</strong>s<br />

2004 <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> nach <strong>der</strong> ersten ordentlichen Einschreibung<br />

von Studentinnen studieren <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> 12.340 Frauen und 9.900<br />

Männer. Dies entspricht einem Studentinnen<strong>an</strong>teil<br />

von 56 %.<br />

Was bringt die Zukunft?<br />

Szenario 1: Tatsächliche Ch<strong>an</strong>cengleichheit<br />

2020 Bildung gewinnt aufgrund <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Entwicklung immer mehr Bedeutung. Nach einer<br />

kurzen Phase einer auf tradierte Muster<br />

zurückgreifenden „Eliteför<strong>der</strong>ung“ wird erk<strong>an</strong>nt,<br />

dass die Erschließung <strong>der</strong> intellektuellen Potenziale<br />

nur durch tatsächliche Ch<strong>an</strong>cengleichheit<br />

im Bildungswesen hergestellt werden k<strong>an</strong>n.<br />

2050 Die Geschlechterdifferenz beim Studienfachwahlverhalten<br />

ist nicht mehr existent. Die traditionellen<br />

Geschlechterrollen verlieren immer<br />

mehr <strong>an</strong> Bedeutung.<br />

2075 Frauen können ihre Bildungsabschlüsse genau<br />

so gut in beruflichen Positionen verwerten wie<br />

Männer. Die Familienarbeit wird partnerschaftlich<br />

zwischen den Eltern aufgeteilt. Auch die<br />

Familienstrukturen gestalten sich offener und<br />

flexibler.<br />

2104 Endlich – 200 <strong>Jahre</strong> nach <strong>der</strong> ersten Zulassung<br />

von Frauen zum Studium – ist auch bei den<br />

Professuren in Deutschl<strong>an</strong>d Geschlechterparität<br />

eingetreten – 20 <strong>Jahre</strong> später als in <strong>an</strong><strong>der</strong>en vergleichbaren<br />

Län<strong>der</strong>n.<br />

Szenario 2: Stagnation und Restauration<br />

2020 Die Ausdifferenzierung <strong>der</strong> Studiengänge führt<br />

zu neuen Benachteiligungsmech<strong>an</strong>ismen.<br />

Frauen werden in materiell schlechter gestellte<br />

Fachrichtungen und Karrierewege abgedrängt.<br />

In den sogen<strong>an</strong>nten „Eliteinstitutionen“ sind<br />

Studentinnen deutlich unterrepräsentiert.<br />

<strong>100</strong><br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

„Es ist <strong>an</strong> <strong>der</strong> Zeit, umzudenken, und ich glaube aufrichtig,<br />

dass hierbei die Frauen den Ton <strong>an</strong>geben müssen.<br />

Ich gehöre nicht zu den Feministinnen <strong>der</strong> ersten<br />

Stunde, was mir meine Freundinnen in Fr<strong>an</strong>kreich oft<br />

vorgehalten haben. L<strong>an</strong>ge Zeit glaubte ich, wir hätten<br />

dieses Problem hinter uns gelassen, es mehr o<strong>der</strong><br />

min<strong>der</strong> geregelt, und überhaupt sei das ein Problem<br />

früherer Generationen gewesen, habe d<strong>an</strong>n aber feststellen<br />

müssen, dass das keineswegs so ist.“<br />

Edith Cresson im Jahr 1999; ehemaliges EU-<br />

Kommissionsmitglied, zuständig für Wissenschaft,<br />

Forschung und Entwicklung<br />

„Alle Optionen in Wissenschaft und Forschung sollten<br />

künftig für beide Geschlechter offenstehen, um auf<br />

<strong>der</strong> Grundlage individueller Entscheidung eine Vielfalt<br />

von Studien- und Weiterqualifizierungswünschen,<br />

beruflichen Entwicklungsperspektiven und Lebensentwürfen<br />

zu realisieren. Dadurch sollte die traditionelle<br />

Aufteilung <strong>der</strong> Sphären und Ver<strong>an</strong>twortlichkeiten<br />

unter den Geschlechtern zugunsten einer partnerschaftlich<br />

geteilten und gemeinsam zu ver<strong>an</strong>twortenden<br />

Familienarbeit überwunden werden.“<br />

Aus den Empfehlungen des Wissenschaftsrats<br />

zur Ch<strong>an</strong>cengleichheit von Frauen im Jahr 1998<br />

2050 Es gibt immer weniger Arbeitplätze. Die hohe<br />

Arbeitslosigkeit führt zur Verdrängung von Frauen<br />

aus dem Arbeitsleben.<br />

2075 Der Anteil <strong>der</strong> Professorinnen stagniert seit<br />

Jahrzehnten bei 20 %. Die Arbeitsstrukturen und<br />

Rekrutierungsformen in <strong>der</strong> Wissenschaft haben<br />

sich nicht verän<strong>der</strong>t.<br />

2104 Es fällt <strong>der</strong> Wissenschaft immer schwerer, zur<br />

Lösung <strong>der</strong> zahlreichen Zivilisationsprobleme<br />

beizutragen, da sie 50 % des intellektuellen<br />

Potenzials nur marginal ausschöpft.<br />

Frauen- und Männer<strong>an</strong>teile in den verschiedenen Stadien <strong>der</strong><br />

wissenschaftlichen Laufbahn <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> 2003<br />

55,5<br />

44,5<br />

51,2<br />

48,8<br />

51,0<br />

49,0<br />

56,0<br />

44,0<br />

Studierende Graduierte ungepr. Hiwis gepr. Hiwis BAT-Stellen Promotionen C1-Stellen Habilitationen C3-<br />

Professuen<br />

65,2<br />

34,8<br />

63,0<br />

37,0<br />

Frauen<strong>an</strong>teil Männer<strong>an</strong>teil<br />

75,0<br />

25,0<br />

82,0<br />

18,0<br />

Was lehrt die Geschichte?<br />

Der Rückblick auf <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Frauenstudium</strong> macht vor<br />

allem eines deutlich: Es waren immer die Frauen<br />

selbst, die sich ihr Recht auf Bildung, Studium und<br />

gesellschaftliche Teilhabe erkämpfen mussten. In dieser<br />

Hinsicht wurde ihnen nichts „geschenkt“. Klar wird<br />

aber auch, dass Menschen etwas erreichen können,<br />

wenn sie sich für ihre Interessen einsetzen.<br />

Eine weitere Lehre können wir aus <strong>der</strong> Geschichte ziehen:<br />

Es gibt keinen Automatismus hin zur Gleichstellung<br />

von Frauen und Männern. Je nach gesellschaftlicher<br />

und politischer Situation gab es immer wie<strong>der</strong><br />

Rückschläge o<strong>der</strong> Phasen <strong>der</strong> Stagnation.<br />

Wo stehen wir heute?<br />

Frauen haben sich - <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n nach ihrer Zulassung<br />

zum Studium - zwar die Hälfte <strong>der</strong> Studienplätze erkämpft.<br />

Damit ist auf <strong>der</strong> Ebene des Studienzug<strong>an</strong>gs<br />

die Ch<strong>an</strong>cengleichheit faktisch umgesetzt. Von einer<br />

Ch<strong>an</strong>cengleichheit im Hinblick auf die wissenschaftliche<br />

Laufbahn sind Frauen jedoch nach wie vor weit<br />

entfernt. Frauen stellen heute mehr als die Hälfte <strong>der</strong><br />

Abiturienten und machen im Durchschnitt die besseren<br />

Abschlüsse. Zeitgleich entwertet die Politik aktuell<br />

das Abitur für die Zulassung zum Studium und führt<br />

neue Auswahlverfahren ein, die subjektive Bewertungen,<br />

z.B. durch persönliche Auswahlgespräche, wie<strong>der</strong><br />

mehr betonen können. Welche Auswirkungen wird<br />

dies auf den Frauen<strong>an</strong>teil bei <strong>der</strong> Studienzulassung in<br />

Zukunft haben?<br />

Ein ungenutzter Gewinn<br />

Angesichts <strong>der</strong> L<strong>an</strong>gsamkeit, mit <strong>der</strong> die <strong>Universität</strong> in<br />

den letzten <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n den Gleichstellungsged<strong>an</strong>ken<br />

aufgenommen hat und umsetzt, muss konstatiert werden,<br />

dass sie das intellektuelle Potenzial, das ihr durch<br />

das <strong>Frauenstudium</strong> zugewachsen ist, bisl<strong>an</strong>g noch<br />

nicht wirklich nutzt. Die aktuellen hochschulpolitischen<br />

Debatten und Maßnahmen lassen im Gegenteil sogar<br />

befürchten, dass die Angst vor „Verweiblichung“ <strong>der</strong><br />

Wissenschaft wie<strong>der</strong> zu impliziten Männerquoten - vor<br />

allem in den <strong>der</strong>zeit favorisierten sogen<strong>an</strong>nten „Eliteeinrichtungen“<br />

führen könnte. Eine Elite, die sich überwiegend<br />

aus nur einem Geschlecht rekrutiert, wäre<br />

jedoch keine intellektuelle Leistungselite.<br />

Was muss sich verän<strong>der</strong>n?<br />

Die Strukturen <strong>der</strong> <strong>Universität</strong>, des Arbeitslebens und<br />

<strong>der</strong> Politik haben sich in den letzten <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n - im<br />

Gegensatz zu den Frauen - wenig verän<strong>der</strong>t. Sie zwingen<br />

Frauen häufig noch immer, sich zwischen Beruf<br />

und Familie zu entscheiden. Nicht zufällig sind aktuell<br />

40% <strong>der</strong> Akademikerinnen in Deutschl<strong>an</strong>d kin<strong>der</strong>los -<br />

Tendenz steigend. Sol<strong>an</strong>ge Familienarbeit noch fast<br />

ausschließlich in den Ver<strong>an</strong>twortungsbereich <strong>der</strong> Frauen<br />

abgeschoben wird und bedarfsgerechte Kin<strong>der</strong>betreuungs<strong>an</strong>gebote<br />

M<strong>an</strong>gelware bleiben, ist tatsächliche<br />

Ch<strong>an</strong>cengleichheit in <strong>der</strong> Wissenschaft, in Beruf<br />

und Gesellschaft nicht zu erreichen. Eine mo<strong>der</strong>ne und<br />

demokratische Gesellschaft wird es ohne tatsächliche<br />

Ch<strong>an</strong>cengleichheit ihrer Mitglie<strong>der</strong> jedoch nicht geben.<br />

2001 Im Hochschulrahmengesetz wird festgelegt, dass nach 12 <strong>Jahre</strong>n „Qualifikationsphase“ keine befristete Weiterbeschäftigung <strong>an</strong> einer deutschen Hochschule o<strong>der</strong> Forschungseinrichtung<br />

mehr möglich ist. Auf diese 12- <strong>Jahre</strong>s- Grenze werden alle Arbeitsverhältnisse mit mehr als 25% Umf<strong>an</strong>g und auch Stipendien <strong>an</strong>gerechnet. Dies führt zu einer<br />

massiven Benachteiligung von aus familiären Gründen in Teilzeit arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.<br />

2006 Das Hochschul- und Wissenschaftsprogramm läuft aus. Damit entfallen die Mittel, die Bund und Län<strong>der</strong> seit 1990 für spezielle Frauenför<strong>der</strong>programme eingesetzt haben.<br />

87,3<br />

12,7<br />

96,1<br />

3,9<br />

C4-<br />

Professuren

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