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100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen

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Die allergnädigste Genehmigung von 1904<br />

Zulassung von Frauen zum ordentlichen Studium in Württemberg<br />

4. J<strong>an</strong>uar 1904:<br />

Zwei Monate vor ihrer Abiturprüfung bitten drei Schülerinnen<br />

des Stuttgarter Mädchengymnasiums den Senat<br />

<strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> um Zulassung zum Studium.<br />

7. J<strong>an</strong>uar 1904:<br />

Das Rektoramt <strong>an</strong>twortet, dass ihre Immatrikulation<br />

<strong>der</strong>zeit nicht möglich sei, <strong>der</strong> Senat aber demnächst<br />

über geän<strong>der</strong>te Zulassungsbedingungen für Frauen<br />

beraten werde.<br />

4. Februar 1904:<br />

In einer Senatssitzung wird eine Neuregelung zur Zulassung<br />

von Hörerinnen beschlossen. Auf die Zulassung<br />

von Frauen zum ordentlichen Studium wird nicht<br />

eingeg<strong>an</strong>gen.<br />

11. Februar 1904:<br />

Der Minister für das Kirchen- und Schulwesen fragt<br />

beim <strong>Universität</strong>sk<strong>an</strong>zler <strong>an</strong>, welche Gründe gegen<br />

eine Immatrikulation von Frauen sprächen.<br />

18. Februar 1904:<br />

Der K<strong>an</strong>zler <strong>an</strong>twortet, dass eine Immatrikulation mit<br />

dem Grundsatz, dass kein Dozent dazu gezwungen<br />

werden dürfe, Frauen in seinen Vorlesungen und<br />

Übungen zu dulden, unvereinbar sei.<br />

22. Februar 1904:<br />

Der Minister genehmigt den vom Senat gefassten<br />

Beschluss zur Zulassung von Hörerinnen.<br />

25. Februar 1904:<br />

Der Rektor teilt den Stuttgarter Schülerinnen mit, dass<br />

eine Immatrikulation nicht möglich sei, sie jedoch als<br />

Hörerinnen Zulassung zu allen Vorlesungen erhalten<br />

würden, <strong>der</strong>en Dozenten damit einverst<strong>an</strong>den seien.<br />

27. Februar 1904:<br />

Der die Abiturientinnen unterstützende Verein Frauenbildung<br />

– <strong>Frauenstudium</strong> wendet sich daraufhin mit<br />

einem Brief gleichzeitig <strong>an</strong> den Senat <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

und <strong>an</strong> das Ministerium und for<strong>der</strong>t die Immatrikulation<br />

von Frauen.<br />

28. Februar 1904:<br />

Das Akademische Rektoramt lehnt die For<strong>der</strong>ung mit<br />

Verweis auf „die <strong>der</strong>zeitigen Gepflogenheiten“ ab.<br />

7. März 1904:<br />

Das Ministerium verl<strong>an</strong>gt eine Stellungnahme <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

zur Eingabe des Vereins Frauenbildung –<br />

<strong>Frauenstudium</strong>.<br />

24. März 1904:<br />

Das Rektoramt schreibt <strong>an</strong> das Ministerium zurück,<br />

dass die Frage auf <strong>der</strong> letzten Senatssitzung des Semesters<br />

nicht mehr besprochen werden konnte.<br />

28. März 1904:<br />

Das Ministerium ordnet die gastweise Aufnahme <strong>der</strong><br />

drei Abiturientinnen <strong>an</strong> und for<strong>der</strong>t eine Entscheidung<br />

des Senats zur Immatrikulation von Frauen.<br />

5. Mai 1904:<br />

Der Senat <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> beschließt die Immatrikulation<br />

von Frauen, da es zwecklos sei, „die Bedenken<br />

des akademischen Senats gegen die Zulassung<br />

ferner geltend zu machen. Eine Remonstration<br />

sei völlig aussichtslos, weil <strong>der</strong> Herr Staatsminister jedenfalls<br />

unter einem gewissen Druck geh<strong>an</strong>delt habe,<br />

<strong>der</strong> weiter bestehe.“<br />

17. Mai 1904:<br />

Mit dem Erlass des württembergischen Königs wird<br />

die Entscheidung rechtskräftig.<br />

7. Juni 1904:<br />

Die ersten drei Frauen immatrikulieren sich <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong>.<br />

„Seine königliche Majestät haben am 16. d. M. allergnädigst<br />

zu genehmigen geruht, daß reichs<strong>an</strong>gehörige<br />

weibliche Personen unter den gleichen Voraussetzungen<br />

und in <strong>der</strong> gleichen Weise, wie männliche Personen<br />

<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> als ordentliche (...)<br />

Studierende immatrikuliert werden.“<br />

Erlass Nr. 3157 vom 17. Mai 1904<br />

Anna Stettenheimer und Gertrud Stockmayer<br />

Zwei <strong>der</strong> ersten drei Tübinger Studentinnen<br />

„Endlich kam <strong>der</strong> große Tag, <strong>an</strong> dem die ersten weiblichen<br />

Studierenden immatrikuliert wurden.<br />

Der damalige Rektor <strong>der</strong> <strong>Universität</strong>, <strong>der</strong> Theologe Professor<br />

Haering, gestaltete den Akt beson<strong>der</strong>s weihevoll.<br />

(...) In Talar und Barett nahm er in Gegenwart des damaligen<br />

<strong>Universität</strong>srats Bach und des würdigen<br />

Oberpedellen Walker, <strong>der</strong> später die Studentinnen mit<br />

einer Mischung aus väterlichem Wohlwollen und gütiger<br />

Herablassung betreute, die feierliche H<strong>an</strong>dlung vor.<br />

Die weißgekleideten jungen Mädchen erschienen unter<br />

<strong>der</strong> Führung des blaubefrackten Oberpedellen im<br />

Rektoratszimmer, von dessen Wänden die Bil<strong>der</strong> alter<br />

Tübinger Professoren in Perücke und Zopf herabblickten.<br />

Professor Haering hielt eine zu Herzen gehende Rede<br />

(...). Er fing damit <strong>an</strong>, was wohl die alten, eingerahmten<br />

Herren da oben sagen würden... D<strong>an</strong>n las <strong>der</strong> Pedell<br />

die Namen vor, und <strong>der</strong> Rektor gratulierte mit einem<br />

Händedruck: „Und jetzt, meine Damen, wünsche<br />

ich Ihnen von Herzen Glück.“ Es war allen sehr feierlich<br />

zumute.<br />

In einem <strong>an</strong><strong>der</strong>en Zimmer trugen die jungen Studentinnen<br />

ihre Namen in ein Album ein, jede erhielt einen<br />

Ausweis und die Immatrikel, und d<strong>an</strong>n zogen sie strahlend<br />

mit ihren „Rollen“ nach Hause.<br />

Damit war die „Straßenwalze <strong>der</strong> Frauenbewegung“<br />

in Betrieb gesetzt, wie ein Professor sich im Scherz äußerte.<br />

Dieser Ausdruck machte den Mädchen solchen<br />

Spaß, daß sie sich von da <strong>an</strong> über ihre g<strong>an</strong>ze Studienzeit<br />

„die Straßenwalze“ n<strong>an</strong>nten.“<br />

Aus <strong>der</strong> Biographie Margarete v. Wr<strong>an</strong>gells, erste<br />

Ordinaria Deutschl<strong>an</strong>ds und Tübinger Hörerin<br />

Der Wi<strong>der</strong>spenstigen Zähmung<br />

Die Übersicht über die komplizierten Ereignisse, die<br />

zur Zulassung von Frauen führten, macht deutlich, dass<br />

die <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> selbst alles <strong>an</strong><strong>der</strong>e als die<br />

treibende Kraft in dieser Sache war. Erst nachdem das<br />

Ministerium deutlich signalisiert hatte, dass es die Immatrikulation<br />

von Frauen wünscht, beugte sich die <strong>Universität</strong>.<br />

Einfluß <strong>der</strong> Frauenbewegung<br />

Es darf dar<strong>an</strong> gezweifelt werden, dass das Ministerium<br />

ein eigenes Interesse dar<strong>an</strong> hatte, das <strong>Frauenstudium</strong><br />

durchzusetzen. Die Aussage über den „gewissen<br />

Druck“, unter dem <strong>der</strong> Staatsminister bei <strong>der</strong><br />

Durchsetzung <strong>der</strong> Immatrikulation von Frauen geh<strong>an</strong>delt<br />

habe, zeugt davon, dass dem nicht so war.<br />

Jener Druck ging im wesentlichen von <strong>der</strong> Stuttgarter<br />

Ortsgruppe des Vereins Frauenbildung - <strong>Frauenstudium</strong><br />

aus. Laut Gertrud Stockmayer haben aber<br />

auch die l<strong>an</strong>gjährigen För<strong>der</strong>innen des Mädchengymnasiums,<br />

die Palastdame Olga von Üxküll-Gyllenb<strong>an</strong>d<br />

und Königin Charlotte Druck auf den sich zunächst<br />

weigernden König Wilhelm II. ausgeübt.<br />

Wirkung zeigten aber vermutlich auch die Bemühungen<br />

<strong>der</strong> Frauenbewegung, die jahrzehntel<strong>an</strong>g mit bewun<strong>der</strong>nswerter<br />

Ausdauer eine Diskussion über die<br />

Frauenbildung in G<strong>an</strong>g gehalten hatten, während sich<br />

gleichzeitig einzelne Frauen auf vielerlei Wegen ihre<br />

eigene Bildung erkämpften. Jedenfalls war <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d<br />

<strong>der</strong> <strong>Universität</strong> trotz <strong>der</strong> klaren Ablehnung des<br />

ordentlichen <strong>Frauenstudium</strong>s letztlich nicht so groß,<br />

als dass gegen die Anordnung des Ministeriums weiter<br />

opponiert worden wäre.<br />

Festzuhalten bleibt: Ohne den hartnäckigen Einsatz<br />

engagierter Frauen wäre es nicht zur Einführung des<br />

<strong>Frauenstudium</strong>s gekommen.<br />

Günstige Rahmenbedingungen<br />

1904 war die Situation in Württemberg günstig für die<br />

Öffnung des Studiums für Frauen.<br />

Erstens hatten die Vorkämpferin Maria Gräfin von Linden<br />

und die nun schon routinemäßig, jedoch nicht in<br />

allzu großer Anzahl, <strong>an</strong> Vorlesungen teilnehmenden<br />

Hörerinnen dafür gesorgt, dass Frauen <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong> nicht mehr gänzlich neu und unvorstellbar<br />

waren.<br />

Zweitens legten im März 1904 die ersten vier Schülerinnen<br />

des Mädchengymnasiums ihr Abitur erfolgreich<br />

ab, so dass nun vier Württembergerinnen ohne Son<strong>der</strong>genehmigung<br />

und auf einem regulären, institutionalisierten<br />

Weg, auf dem ihnen viele weitere Frauen<br />

folgen würden, die Hochschulreife erl<strong>an</strong>gt hatten.<br />

Und drittens war Württemberg mit Baden und Bayern<br />

von zwei deutschen Teilstaaten umgeben, die Frauen<br />

bereits zum ordentlichen Studium zugelassen hatten.<br />

Alle diese Bedingungen zusammen ermöglichten es,<br />

dass sich Gertrud Stockmayer, Anna Stettenheimer<br />

und Martha Vollmöller am 7. Juni 1904 als erste Frauen<br />

<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> immatrikulieren konnten.<br />

1900 Das Großherzogtum Baden ermöglicht als erster deutscher Teilstaat die Zulassung von Frauen zum Studium <strong>an</strong> den <strong>Universität</strong>en Freiburg und Heidelberg, nachdem im<br />

Jahr 1899 die ersten Abiturientinnen das Mädchengymnasium in Karlsruhe verließen. Dabei gilt die <strong>Universität</strong> Freiburg aufgrund einer Rückdatierung von Immatrikulationen<br />

von Frauen ins Wintersemester 1899/1900 als die erste <strong>Universität</strong> in Deutschl<strong>an</strong>d, <strong>an</strong> <strong>der</strong> sich Frauen ordentlich immatrikulieren konnten.<br />

1903 Das Königreich Bayern folgte als zweiter Teilstaat. Zum Wintersemester 1903/1904 konnten sich erstmals 30 Frauen <strong>an</strong> den bayrischen <strong>Universität</strong>en Erl<strong>an</strong>gen, München<br />

und Würzburg immatrikulieren. Das Abitur mussten Frauen aber - nach kostspieligem Privatunterricht - als Externe <strong>an</strong> einem Knabengymnasium abgelegen.

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