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100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen

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1930 Der Leiter des Nationalsozialistischen Deutschen<br />

Studentenbundes (NSDStB), Reichsstudentenführer<br />

Baldur von Schirach, verfügt,<br />

dass keine Studentinnen mehr für den NSDStB<br />

für Hochschulgremien k<strong>an</strong>didieren dürfen. Für<br />

die Studentinnen wird die Arbeitsgemeinschaft<br />

Nationalsozialistischer Studentinnen (ANSt) als<br />

eigene Unterorg<strong>an</strong>isation des NSDStB geschaffen.<br />

1932 Gründung <strong>der</strong> ANSt in <strong>Tübingen</strong>.<br />

1933 Verabschiedung des „Gesetzes gegen die Überfüllung<br />

deutscher Schulen und Hochschulen“,<br />

konkretisiert wird dieses Gesetz durch einen<br />

Erlass des Reichsinnenministeriums. Der Erlass<br />

schränkt die Zahl <strong>der</strong> Studierenden auf reichsweit<br />

15 000 ein, <strong>der</strong> Frauen<strong>an</strong>teil dar<strong>an</strong> darf 10%<br />

nicht übersteigen.<br />

1934 Ein sechsmonatiger Arbeitsdienst wird für Studentinnen<br />

- nicht aber für Studenten - Immatrikulationsvoraussetzung.<br />

1935 Es beginnt sich ein Akademikerm<strong>an</strong>gel abzuzeichnen.<br />

1936 Der Reichserziehungsminister erläßt, dass jede<br />

Studentin ihr Pflichtenheft mit dem Nachweis <strong>der</strong><br />

Teilnahme <strong>an</strong> Sportpflichtstunden und am<br />

Frauendienst vor Anf<strong>an</strong>g des 6. Semesters vorzulegen<br />

hat. Der Frauendienst ist ein Äquivalent<br />

zum Wehrdienst, eine Vorbereitung auf den<br />

Kriegsfall.<br />

Eine persönliche Entscheidung Hitlers verbietet<br />

Frauen die Ausübung des Richter- und<br />

Anwaltsberufs.<br />

1938 Aufgrund des Akademikerm<strong>an</strong>gels wird <strong>der</strong><br />

Hochschulzug<strong>an</strong>g für „Begabte ohne Reifezeugnis“<br />

geöffnet.<br />

1939 Der sechsmonatige Pflichtdienst muss nicht<br />

mehr vor dem Studium, son<strong>der</strong>n k<strong>an</strong>n studienbegleitend<br />

absolviert werden. In <strong>der</strong> vorlesungsfreien<br />

Zeit ist es für alle Studentinnen Pflicht,<br />

Fabrik- o<strong>der</strong> L<strong>an</strong>ddienst abzuleisten.<br />

1944 Anordnung des Reichserziehungsministers, alle<br />

Studierenden zum Kriegseinsatz zu mobilisieren.<br />

Ausnahmen gelten vor allem für Studierende<br />

„kriegswichtiger“ Fächer.<br />

Studentinnen im ersten klinischen Semester vor <strong>der</strong><br />

Frauenklinik <strong>der</strong> <strong>Universität</strong>, März 1938<br />

Erst unerwünscht, d<strong>an</strong>n Lückenbüßerin<br />

Studentinnen im Nationalsozialismus<br />

„Wir wollen <strong>an</strong> dem augenblicklichen politischen Geschehen<br />

teilnehmen, weniger, um aktiv dar<strong>an</strong> mitzuwirken, als<br />

um ein richtiges Verständnis dafür zu bekommen. Dieses<br />

wirkt sich d<strong>an</strong>n in <strong>der</strong> Haltung und im H<strong>an</strong>deln <strong>der</strong> Einzelnen<br />

aus. Denn „politisch“ leben nicht nur die Menschen,<br />

die aktiv Entscheidungen für das Volk herbeiführen. Das<br />

ist fast ausschließlich Aufgabe <strong>der</strong> Männer.“<br />

Erika Kunst, Führerin <strong>der</strong> ANSt <strong>Tübingen</strong>, Son<strong>der</strong>nummer<br />

2 des Mitteilungsblatts und Anordnungen des<br />

Studentenführers, 17.-19.6.1938<br />

Studentinnen lesen in <strong>der</strong> Leseecke „Mein Kampf“<br />

„Unsere Zeit stellt 3 For<strong>der</strong>ungen <strong>an</strong> die Studentin: 1. Ihre<br />

wissenschaftliche Leistung muss <strong>der</strong> des M<strong>an</strong>nes gleichwertig<br />

sein, damit das Niveau <strong>der</strong> Hochschule nicht gefährdet<br />

wird. Im studentischen Reichsberufswettkampf hat die Frau<br />

schon in <strong>der</strong> verschiedensten Weise ihre Gleichwertigkeit<br />

gezeigt. 2. Ihre politische Einstellung, die sie schon durch<br />

die Erziehung im BDM erhalten hat, beweist sie als Studentin<br />

durch ihren Einsatz im L<strong>an</strong>d- und Fabrikdienst und<br />

durch ihre Mithilfe im NSV. 3. D<strong>an</strong>eben darf die Studentin<br />

nicht die <strong>der</strong> Frau durch ihre Natur zugewiesene kulturelle<br />

Aufgabe vernachlässigen: Diese Gefahr besteht in den<br />

<strong>Jahre</strong>n ihres Studiums in denen sie geistig das gleiche Betätigungsfeld<br />

hat wie <strong>der</strong> M<strong>an</strong>n. Später im Beruf scheiden<br />

sich die Aufgaben von M<strong>an</strong>n und Frau von selbst.“<br />

Roswitha von Möller, Leiterin des Amtes Studentinnen<br />

<strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong>, Son<strong>der</strong>nummer 3 des Mitteilungsblatts<br />

und Anordnungen des Studentenführers,<br />

29.6.-2.7.1939<br />

„Es galt ja als höchste Ehre und einziger Beruf <strong>der</strong> Frau<br />

Kin<strong>der</strong> zu gebären und großzuziehen. Da sind solche Frauen,<br />

wie wir das waren, die einen geistigen Beruf ergriffen<br />

haben, in zunehmendem Maße diffamiert worden. M<strong>an</strong> hat<br />

vor allem im Hinblick auf Lehrerinnen, auf unverheiratete<br />

Frauen, diesen wirklich diskriminierenden Begriff <strong>der</strong> ‚Intelligenzbestie’<br />

geprägt. Wir haben oftmals schlucken müssen<br />

bei öffentlichen Kundgebungen, (...) Da steht m<strong>an</strong> da,<br />

arbeitet für diese jungen Leute und – d<strong>an</strong>n wird m<strong>an</strong> so<br />

heruntergesetzt, das war schlimm. (...) Wir sind immer abgezogen<br />

nach einer solchen Sache wie begossene Pudel, und<br />

haben kaum darüber gesprochen. Wissen Sie, das war wie<br />

eine Wunde für uns.“<br />

Aus den Erinnerungen einer Lehrerin, Jg. 1917, die -<br />

vorher bereits berufstätig - während des Zweiten Weltkrieges<br />

in <strong>Tübingen</strong> studiert und promoviert hat<br />

Die Frau als Gehilfin des M<strong>an</strong>nes<br />

Von 1933 bis 1945 waren auch die Studentinnen <strong>an</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> konfrontiert mit einem Frauenbild,<br />

in dem die akademische Frau keinen Platz f<strong>an</strong>d.<br />

Folgerichtig ergriff <strong>der</strong> Staat Maßnahmen zur Einschränkung<br />

des <strong>Frauenstudium</strong>s.<br />

Maßnahmen gegen Studentinnen<br />

Nach <strong>der</strong> Machtübernahme <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />

wurde die Zahl <strong>der</strong> zu vergebenden Hochschulzug<strong>an</strong>gsberechtigungen<br />

für das Jahr 1934 auf reichsweit<br />

15.000 festgesetzt. Der Anteil <strong>der</strong> Frauen dar<strong>an</strong> sollte<br />

10 % nicht übersteigen. Der beginnende Akademikerm<strong>an</strong>gel<br />

führte jedoch bereits ein Jahr später dazu, dass<br />

die Begrenzung des Frauen<strong>an</strong>teils wie<strong>der</strong> aufgehoben<br />

wurde. Unmittelbare Auswirkungen des Gesetzes o<strong>der</strong><br />

dessen Aufhebung auf den Studentinnen<strong>an</strong>teil <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> lassen sich nicht feststellen, da<br />

dieser bis 1939 steten Schw<strong>an</strong>kungen um die 12%<br />

unterlag. Insgesamt läßt sich aber sagen, dass <strong>der</strong> kontinuierliche<br />

Anstieg des Studentinnen<strong>an</strong>teils in dieser<br />

Zeit gebrochen war.<br />

Org<strong>an</strong>isierte Studentinnen<br />

Die Nationalsozialisten legten wenig Wert auf die Teilnahme<br />

von Frauen <strong>an</strong> <strong>der</strong> Hochschulpolitik. Die in <strong>Tübingen</strong><br />

1932 gegründete Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer<br />

Studentinnen, eine Unterabteilung<br />

des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes<br />

wollte Studentinnen zwar nationalsozialistisches<br />

Ged<strong>an</strong>kengut nahebringen, die aktive Politik jedoch<br />

wurde im Einkl<strong>an</strong>g mit <strong>der</strong> herrschenden Ideologie den<br />

männlichen Studenten überlassen. Die Aktivitäten beschränkten<br />

sich somit im wesentlichen auf Gruppenabende,<br />

bei denen diskutiert, gesungen und vorgelesen<br />

wurde.<br />

Studentinnen im Zweiten Weltkrieg<br />

Mit dem Ausbruch des Krieges ließ sich die Frauenideologie<br />

<strong>der</strong> Nationalsozialisten in <strong>der</strong> Praxis noch<br />

weniger durchsetzen. Wie in <strong>an</strong><strong>der</strong>en Bereichen<br />

mussten auch <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> Frauen die zum<br />

Kriegsdienst eingezogenen Männer ersetzen. Demzufolge<br />

verän<strong>der</strong>te sich im Laufe <strong>der</strong> Kriegsjahre das<br />

Geschlechterverhältnis <strong>der</strong> Studierenden dramatisch.<br />

Der Frauen<strong>an</strong>teil stieg und erreichte im Sommersemester<br />

1944 einen Höchstst<strong>an</strong>d von 53,6 %. Dies lag<br />

nicht dar<strong>an</strong>, dass die absolute Zahl <strong>der</strong> männlichen<br />

Studierenden s<strong>an</strong>k, vielmehr verzehnfachte sich die<br />

Zahl <strong>der</strong> Studentinnen.<br />

Fazit<br />

We<strong>der</strong> das von den Nationalsozialisten propagierte<br />

Frauenbild noch die Regelungen zur Begrenzung des<br />

<strong>Frauenstudium</strong>s konnten die Bildungsmotivation <strong>der</strong><br />

Frauen nachhaltig verringern. Der Bedarf <strong>an</strong> Fachkräften<br />

und <strong>der</strong> zunehmende Ausfall <strong>der</strong> Männer durch<br />

den Krieg führten vielmehr dazu, dass die Frauen nicht<br />

nur ihren Anteil <strong>an</strong> den Studierenden halten konnten,<br />

son<strong>der</strong>n 1944 sogar die Mehrzahl <strong>der</strong> Studierenden<br />

stellten. Mit Ende des Krieges sollte sich dies aber<br />

schlagartig wie<strong>der</strong> än<strong>der</strong>n.<br />

1938 Das Mutterkreuz wird eingeführt, in Form und Art dem Orden <strong>der</strong> Soldaten (Eisernes Kreuz) nachgebildet. Das Bronzene Mutterkreuz wird für vier bis fünf Kin<strong>der</strong> verliehen,<br />

das Silberne Mutterkreuz gibt es für sechs bis sieben Kin<strong>der</strong> und das Goldene Mutterkreuz für acht und mehr Kin<strong>der</strong>. Voraussetzung ist „Deutschblütigkeit“ und „Würdigkeit“<br />

<strong>der</strong> gesamten Familie.<br />

1943 Durch die „Verordnung über die Meldung von Männern und Frauen für Aufgaben <strong>der</strong> Reichsverteidigung“ können von nun <strong>an</strong> nicht erwerbstätige Frauen im Alter zwischen<br />

17 und 50 <strong>Jahre</strong>n zu Arbeitseinsätzen her<strong>an</strong>gezogen werden.

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