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100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen

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Die Petitionspolitik <strong>der</strong> Bürgerlichen Frauenbewegung<br />

Mathilde Weber, Helene L<strong>an</strong>ge und <strong>der</strong> Frauenverein Reform<br />

1829 Mathilde Weber wird am 16. August in <strong>Tübingen</strong><br />

geboren.<br />

1848 Helene L<strong>an</strong>ge wird am 9. April in Oldenburg<br />

geboren.<br />

1888 Petition des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins<br />

mit <strong>der</strong> Bitte um Zulassung von Frauen<br />

zum Medizinstudium und zur wissenschaftlichen<br />

Lehrerinnenausbildung.<br />

Kurz darauf folgt eine Petition des Frauenverein<br />

Reform, in <strong>der</strong> die Zulassung von Frauen zum<br />

Abitur und zum Studium aller Fächer gefor<strong>der</strong>t<br />

wird.<br />

Beide Vereine wie<strong>der</strong>holen ihre Petitionen in den<br />

folgenden <strong>Jahre</strong>n bei verschiedenen staatlichen<br />

Stellen.<br />

1891 Erste Verh<strong>an</strong>dlung über das <strong>Frauenstudium</strong> im<br />

Deutschen Reichstag.<br />

1893 Massenpetition des Allgemeinen Deutschen<br />

Frauenvereins mit fast 60.000 Unterschriften <strong>an</strong><br />

den Reichstag. Noch im gleichen Jahr gehen<br />

die Frauen zur Tat über. Das Mädchengymnasium<br />

in Karlsruhe wird gegründet - nach positiven<br />

Reaktionen <strong>der</strong> Badischen Regierung auf<br />

die Petitionen - und Helene L<strong>an</strong>ge w<strong>an</strong>delt ihre<br />

seit 1889 bestehenden Realkurse für Frauen in<br />

Gymnasialkurse um.<br />

1901 Mathilde Weber stirbt und erlebt damit nicht<br />

mehr, dass 1904 Frauen in Württemberg zum<br />

ordentlichen Studium zugelassen werden.<br />

1923 Helene L<strong>an</strong>ge erhält die Ehrendoktorwürde <strong>der</strong><br />

<strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong>. Sie stirbt 1930.<br />

„Es ist die Pflicht aller erhalten<strong>der</strong> Elemente, <strong>der</strong><br />

jetzigen Gesellschaft, einer Umsturzpartei, wie<br />

sich die Frauenem<strong>an</strong>zipationspartei in ihren Konsequenzen<br />

darstellt, mit aller Macht entgegenzutreten,<br />

selbst wenn es nicht gelingen sollte, die<br />

Bewegung aufzuhalten, welche ebenso staatsgefährlich<br />

ist, und die jetzige Gesellschaft in gleichem<br />

Maße bedroht, wie die ähnliche Tendenzen<br />

verfolgenden Socialisten und <strong>der</strong> Nihilismus“.<br />

Gustav Walcher, 1890, Neffe von Mathilde Weber,<br />

Gynäkologe und Leiter <strong>der</strong> L<strong>an</strong>deshebammenschule<br />

in Stuttgart<br />

„Denn unerschüttert steht eins auch in <strong>der</strong> neuen Zeit:<br />

<strong>der</strong> Ged<strong>an</strong>ke, daß <strong>der</strong> höchste Beruf <strong>der</strong> Frau <strong>der</strong><br />

Mutterberuf ist, insofern er den Beruf <strong>der</strong> Erzieherin<br />

des her<strong>an</strong>wachsenden Geschlechts in sich schließt.<br />

Nur törichte o<strong>der</strong> böswillige Auffassung macht es <strong>der</strong><br />

Frauenbewegung zum Vorwurf, dass sie die Frau diesem<br />

höchsten Beruf entfremden wolle. Aber eben um<br />

ihm zu genügen, um dem Ausspruch Goethe’s zu entsprechen,<br />

wonach die vorzüglichste Frau die ist, die<br />

den Kin<strong>der</strong>n zur Not auch den Vater ersetzen k<strong>an</strong>n,<br />

eben darum soll eine <strong>an</strong><strong>der</strong>e, tiefgründigere Erziehung,<br />

eine bessere geistige Ausbildung, eine strengere Gewöhnung<br />

zur Pflichterfüllung im Berufsleben o<strong>der</strong> im<br />

Dienst <strong>der</strong> Allgemeinheit die Frau schulen“.<br />

Zitat aus dem Jahr 1893 von Helene L<strong>an</strong>ge, einer Vertreterin<br />

<strong>der</strong> gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung;<br />

sie erhielt 1923 die Tübinger Ehrendoktorwürde.<br />

Mathilde Weber<br />

Eine Tübinger Vertreterin <strong>der</strong><br />

gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung<br />

„Gewiss wären die Gesundheitsverhältnisse unserer jungen<br />

Frauen und Mädchen besser, wenn sie schon bei den leichtesten<br />

Anfängen von Frauenkr<strong>an</strong>kheiten sich sogleich Rat<br />

bei einer Ärztin holen könnten. (...) Deshalb gebe m<strong>an</strong> uns<br />

- weibliche Ärzte!“<br />

„Eine Dame, mit <strong>der</strong> ich namentlich im Anf<strong>an</strong>g meines Studiums<br />

sehr viel verkehrte und bei <strong>der</strong> ich sogar regelmäßig<br />

einmal in <strong>der</strong> Woche aß, war die bereits erwähnte Frau<br />

Professor Mathilde Weber, die Witwe des Nationalökonomen.<br />

(...) Frau Weber war g<strong>an</strong>z Frauenbewegung und versammelte<br />

in ihrem Haus nicht nur alle nach <strong>Tübingen</strong> gel<strong>an</strong>gten<br />

berufstätigen, gelehrten und politischen Frauen,<br />

son<strong>der</strong>n war auch unablässig bemüht, diese Frauen zu ehren<br />

und ihnen zu helfen. (...) Sie gehörte keineswegs <strong>der</strong><br />

extremen Richtung <strong>der</strong> Frauenbewegung <strong>an</strong>, sie wollte nur<br />

eine gerechtere Verteilung des Sonnenlichtes zwischen den<br />

Geschlechtern, und daß namentlich auch die akademische<br />

Sonne weibliche Wesen bescheinen sollte. Die Frau, die in<br />

das öffentliche Leben eintrat, sollte aber um Gotteswillen<br />

nichts vom „Blütenstaub“ verlieren und Urbild <strong>der</strong> Weiblichkeit<br />

bleiben. So sehr Frau Weber nun meine Pionierarbeit<br />

<strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nte, sie konnte sich nicht damit abfinden, daß<br />

ich, die doch so l<strong>an</strong>ge auf meine Bubwerdung gewartet hatte,<br />

eben doch stark zur Verkörperung des „dritten Geschlechts“<br />

neigte. Ich trug Jackenklei<strong>der</strong> mit steifem Kragen, Männerhüte,<br />

Schuhe, die in ihrer Massivität, Form und Größe ebenfalls<br />

<strong>an</strong> das Männliche grenzten, st<strong>an</strong>d in bester Kameradschaft<br />

mit den Kommilitonen, errötete nicht, wenn in den<br />

Vorlesungen von Männlein und Weiblein die Rede war,<br />

kurz – aus meinen Staubbeuteln war <strong>der</strong> Blütenstaub schon<br />

verflogen o<strong>der</strong> nie in denselben gebildet worden. Reden um<br />

Reden über dieses Thema ließ ich bei bestem Appetit über<br />

mich ergehen, denn alles dies entspr<strong>an</strong>g ja einer ideal gerichteten,<br />

grundgütigen Seele; aber <strong>an</strong> mir war eben Hopfen<br />

und Malz verloren.“<br />

Maria Gräfin von Linden über Matilde Weber<br />

Politik <strong>der</strong> Nadelstiche<br />

Einen wichtigen, vorbereitenden Schritt auf dem Weg<br />

zum <strong>Frauenstudium</strong> stellte die Petitionspolitik <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Frauenbewegung auch in Württemberg dar.<br />

Obwohl bereits 1873 <strong>der</strong> Berliner Letteverein im Bundesrat<br />

eine Petition zur Zulassung von Frauen zum<br />

Apothekerberuf einreichte, beg<strong>an</strong>n die Petitionspolitik<br />

erst richtig Ende <strong>der</strong> 80er <strong>Jahre</strong> des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts.<br />

Zwei bedeutende bürgerliche Frauenvereine wirkten<br />

dar<strong>an</strong> mit, wobei <strong>der</strong> Frauenverein Reform die radikalere<br />

und <strong>der</strong> Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF)<br />

die gemäßigtere Richtung vertrat.<br />

Die Petition des ADF<br />

Die bek<strong>an</strong>nteste Petition wurde 1888 vom Allgemeinen<br />

Deutschen Frauenverein eingereicht und war <strong>an</strong><br />

das preußische Abgeordnetenhaus gerichtet. Sie bat<br />

um Zulassung von Frauen zum Medizinstudium und<br />

zur wissenschaftlichen Lehrerinnenausbildung. Die<br />

Petition war mit zwei Begleitschriften versehen, die die<br />

Diskussion um das <strong>Frauenstudium</strong> stark beeinflussten.<br />

In <strong>der</strong> wegen ihres Einb<strong>an</strong>des gemeinhin als „Gelbe<br />

Broschüre“ bezeichneten Schrift „Die höhere Mädchenschule<br />

und ihre Bestimmung“ for<strong>der</strong>te Helene L<strong>an</strong>ge,<br />

die 1923 die Tübinger Ehrendoktorwürde erhielt, dass<br />

Mädchen in ethischen Schulfächern von Frauen unterrichtet<br />

werden sollten.<br />

Die zweite Schrift „Ärztinnen für Frauenkr<strong>an</strong>kheiten,<br />

eine ethische und s<strong>an</strong>itäre Notwendigkeit“ stammt von<br />

Mathilde Weber, einer Tübinger Vorkämpferin für<br />

Frauenbildung und Sozialreformen. Weber begründete<br />

die Notwendigkeit von Frauenärztinnen mit <strong>der</strong> <strong>an</strong>erzogenen<br />

Scham <strong>der</strong> Frauen, die dazu führte, dass<br />

Frauen oft <strong>an</strong> ihren Leiden starben, weil sie sich einem<br />

männlichen Arzt nicht <strong>an</strong>vertrauen wollten.<br />

Die Petition des Frauenvereins Reform<br />

Später im Jahr 1888 w<strong>an</strong>dte sich <strong>der</strong> Frauenverein Reform<br />

mit einer deutlich weitergehenden Petition <strong>an</strong> die<br />

Unterrichtsministerien Württembergs, Bayerns und<br />

Preußens. Hierin wurde nicht nur die Öffnung <strong>der</strong> <strong>Universität</strong>en<br />

für Frauen für die Medizin und das Lehramt<br />

verl<strong>an</strong>gt, son<strong>der</strong>n g<strong>an</strong>z generell die Zulassung von<br />

Frauen zum Abitur und zum Studium aller Fächer gefor<strong>der</strong>t.<br />

Auf Anweisung des württembergischen Ministeriums<br />

für das Kirchen- und Schulwesen wurde diese Petition<br />

vom Senat <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> auf die Tagesordnung<br />

gesetzt. Nach Verlesen des wenig positiven<br />

Berichtes des zuständigen Referenten wurde sie ohne<br />

weitere Diskussion abgelehnt.<br />

Die Wirkung <strong>der</strong> Petitionspolitik<br />

Die Frauenvereine setzten ihre Petitionspolitik auch in<br />

den 90er <strong>Jahre</strong>n des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts fort, schritten<br />

jedoch gleichzeitig zur Tat und schufen Einrichtungen,<br />

mit <strong>der</strong>en Hilfe Frauen das Abitur erl<strong>an</strong>gen konnten.<br />

Diese Strategie führte - zumindest in Baden, Bayern<br />

und Württemberg - bald zum Erfolg. Ein Erfolg, <strong>der</strong><br />

auf <strong>der</strong> bewusstseinsbildenden Wirkung <strong>der</strong> Debatten<br />

um die Petitionen aufbaute.<br />

1865 Der Allgemeine Deutsche Frauenverein (ADF) wird in Leipzig gegründet. Eines seiner Ziel ist, die Bildungsch<strong>an</strong>cen für Frauen zu verbessern. Der ADF ruft 1879 einen<br />

Stipendienfonds zur För<strong>der</strong>ung des <strong>Frauenstudium</strong> ins Leben. Aus diesem erhält durch Vermittlung von Mathilde Weber auch Maria Gräfin von Linden ein Stipendium.<br />

1888 Der Frauenverein Reform wird unter Leitung von Hedwig Kettler gegründet. 1893 initiiert <strong>der</strong> Verein das Karlsruher Mädchengymnasium, um dessen Leitung es 1895 zu<br />

Ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>setzungen innerhalb des Vereins kommt. Ein Teil <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> spaltet sich daraufhin ab und gründet den Verein Frauenbildung - <strong>Frauenstudium</strong>, <strong>der</strong> für die<br />

Einführung des <strong>Frauenstudium</strong>s in Württemberg wichtig werden sollte.

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