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100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen

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Mit beschränkter Aufenthaltsberechtigung<br />

Frauen <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> in <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

1945 Die <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> wird zum Wintersemester<br />

1945/46 wie<strong>der</strong>eröffnet. Für Studierende<br />

gibt es Zulassungsbeschränkungen, die insbeson<strong>der</strong>e<br />

Frauen ausschließen.<br />

1947 Die 1944 als erste Frau <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong><br />

habilitierte Anglistin Dr. Hildegard Gauger<br />

wird <strong>an</strong>lässlich eines Rufes auf eine Vertretung<br />

eines Ordinariats in Rostock zur außerpl<strong>an</strong>mäßigen<br />

Professorin ern<strong>an</strong>nt.<br />

1950 Prof. Dr. Hildegard Gauger erhält vom Kultusministerium<br />

mit Zustimmung <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong> ein Extraordinariat. Sie ist bis zu ihrer<br />

Emeritierung 1957 stellvertretende Direktorin<br />

des Englischen Seminars. Dr. Sophie Ehrhard<br />

wird von <strong>der</strong> medizinischen Fakultät habilitiert.<br />

1952 Dr. Maria Höfner, Dozentin für Orientalistik, wird<br />

von Wien nach <strong>Tübingen</strong> umhabilitiert.<br />

1953 Aufhebung <strong>der</strong> Zulassungsbeschränkungen.<br />

1957 Dr. Sophie Ehrhard wird zur außerpl<strong>an</strong>mäßigen<br />

Professorin ern<strong>an</strong>nt.<br />

1954 Dr. Maria Höfner wird zur außerpl<strong>an</strong>mäßigen<br />

Professorin ern<strong>an</strong>nt. 1960 wird sie wissenschaftliche<br />

Rätin und 1964 Ordinaria.<br />

Sitzung des Grossen Senats am 23. Juni 1945<br />

„2. „Wie<strong>der</strong>eröffnung“ <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

(...) Wichtig sei beson<strong>der</strong>s die Frage, wer zu diesem<br />

Semester zugelassen werden solle. Die Kriegsteilnehmer<br />

hätten grosse Lücken in ihrer Vorbildung. Er empfehle<br />

aber nicht, sie durch eine Aufnahmeprüfung zu<br />

sieben, son<strong>der</strong>n neben ihrem Studium zu versuchen,<br />

die Lücke mit Hilfe von höheren Lehrern auszufüllen<br />

und erst nach 2 Semestern eine Prüfung mit ihnen zu<br />

ver<strong>an</strong>stalten. Dagegen müsste das <strong>Frauenstudium</strong><br />

gedrosselt werden, da sonst <strong>der</strong> Andr<strong>an</strong>g zu gross<br />

würde. Wer nicht 2 <strong>Jahre</strong> durch den Krieg verloren<br />

habe, sollte nicht aufgenommen werden. (...)“<br />

Eine Tübinger Doktor<strong>an</strong>din wird nach best<strong>an</strong>denem<br />

Rigorosum im Doktorwagen um den Verkehrspolizisten<br />

am Schimpfeck gezogen<br />

Präparateherstellung für das Staatsexamen im<br />

Pharmakologisch-Chemischen Institut, 1958<br />

„Mein Doktorvater Hugo Kuhn, <strong>der</strong> Studentinnen genauso<br />

geför<strong>der</strong>t hat wie Studenten, <strong>der</strong> hat plötzlich, weil ich<br />

da großes Forschungsinteresse hatte, Sorge bekommen, ich<br />

könne <strong>an</strong> die Uni streben. D<strong>an</strong>n hat <strong>der</strong> einen unglaublichen<br />

Satz zu mir gesagt: „Knäblein, Sie wollen doch wohl<br />

nicht ein Leben l<strong>an</strong>g einem Ordinarius helfen, seine Bücher<br />

zu schreiben. Gehen Sie in die Schule, da sind Sie selbständig.“<br />

Mir wäre nicht im Traum eingefallen, <strong>an</strong> die Uni zu streben,<br />

weil ich wusste, das stehe ich gar nicht durch, diese<br />

l<strong>an</strong>ge Zeit g<strong>an</strong>z unbezahlter Stellen und diese Unsicherheit.<br />

Ich habe das da auch miterlebt in München, wie Frauen<br />

rausgegängelt wurden. Das schien mir damals auch normal.<br />

Es ist ja auch „normal“ geblieben. Ich habe damals<br />

keinen Anstoß dar<strong>an</strong> genommen, son<strong>der</strong>n hab eher <strong>an</strong><strong>der</strong>s<br />

herum gedacht: Ja, wie können die so töricht sein, über die<br />

Promotion hinaus <strong>an</strong> <strong>der</strong> Uni bleiben zu wollen.“<br />

Prof. Dr. Doris Knab, Pädagogik - Professorin und ehemalige<br />

Frauenbeauftragte <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong><br />

„Ich wollte gern bei <strong>der</strong> Wissenschaft bleiben. Mein Doktorvater<br />

hat mir auch gut zugeredet und mir sogar ein<br />

Forschungsstipendium verschafft. Da er aber als Apl. Professor<br />

kurz vor <strong>der</strong> Pensionierung st<strong>an</strong>d, wurde mir nicht<br />

nur die jahrel<strong>an</strong>g versprochene Assistentenstelle aus Rücksicht<br />

auf den Nachfolger verweigert, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Institutsleiter<br />

erklärte mir, dass er mich zwar für ebenso gut halte<br />

wie seine männlichen Assistenten, aber als Frau müsse ich<br />

dreimal so gut seit, und das wäre doch wohl nicht <strong>der</strong> Fall<br />

– was ich zugeben musste. (...)<br />

So habe ich schließlich bei <strong>der</strong> Pharmazeutischen Industrie<br />

eine mir <strong>an</strong>gebotene Stellung als Pharmakognostin in <strong>der</strong><br />

Phytoforschung <strong>an</strong>genommen. (...) Aber diese Begeisterung,<br />

die ich in <strong>Tübingen</strong> hatte, hatte ich lei<strong>der</strong> nicht mehr in dem<br />

Maße, wenn auch die Arbeit mir Freude machte.“<br />

Eine ehemalige Tübinger Pharmazie-Studentin<br />

Wie<strong>der</strong>eröffnung ohne Frauen?<br />

Nach dem Krieg öffnete die <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> als<br />

eine <strong>der</strong> wenigen unzerstörten <strong>Universität</strong>en in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d bereits zum Wintersemester 1945/46 ihre<br />

Pforten wie<strong>der</strong> für die Studierenden - allerdings nicht<br />

für alle gleichermaßen. Die Professoren waren sich -<br />

wie schon 1918 - einig, dass nun die Frauen für die<br />

kriegsheimkehrenden Männer zurückzustehen hatten.<br />

Beschränkung des <strong>Frauenstudium</strong>s<br />

Es wurden für die Studienzulassung Regelungen getroffen,<br />

die Frauen klar benachteiligten. Zugelassen<br />

wurde nur, wer aufgrund des Krieges mindestens zwei<br />

<strong>Jahre</strong> Studienzeit verloren hatte. Kriegsteilnehmer und<br />

Kriegsversehrte wurden bevorzugt und zum Sommersemester<br />

1946 wurden Frauen gar nicht neu zum Studium<br />

zugelassen.<br />

Ob es nun diese Maßnahmen waren, die Frauen von<br />

<strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> fern hielten o<strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>e Faktoren,<br />

Fakt ist, dass <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Studentinnen nach<br />

dem Krieg drastisch s<strong>an</strong>k. Bereits im letzten Kriegssemester<br />

war er aufgrund <strong>der</strong> allgemeinen Mobilmachung<br />

von gut 50 % auf 37 % gesunken, nach dem<br />

Krieg s<strong>an</strong>k er schnell auf fast 20 % ab. Die Zahlen<br />

blieben l<strong>an</strong>ge auf diesem niedrigen Niveau und stiegen<br />

erst Ende <strong>der</strong> 50er <strong>Jahre</strong> wie<strong>der</strong> l<strong>an</strong>gsam <strong>an</strong>. Wie<br />

bereits nach dem ersten Weltkrieg s<strong>an</strong>k <strong>der</strong> Studentinnen<strong>an</strong>teil<br />

jedoch nicht wie<strong>der</strong> auf das Vorkriegsniveau<br />

ab.<br />

Studium: vielleicht - Wissenschaft: nein<br />

Als Wissenschaftlerinnen waren Frauen <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

noch weniger willkommen wie als Studentinnen.<br />

Zwar erreichen in <strong>der</strong> Nachkriegszeit die ersten<br />

Frauen <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> die Habilitation und<br />

wurden sogar Professorinnen, jedoch war <strong>Tübingen</strong><br />

im Vergleich zu <strong>an</strong><strong>der</strong>en <strong>Universität</strong>en damit spät dr<strong>an</strong>.<br />

Zur Erinnerung: Bereits 1920 fiel das Habilitationsverbot<br />

für Frauen.<br />

Zudem wurden habilitierte Frauen <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong> keinesfalls auf reguläre Professuren berufen.<br />

Drei Frauen habilitierten sich bis Ende <strong>der</strong> 50er<br />

<strong>Jahre</strong> in <strong>Tübingen</strong>: Prof. Dr. Maria Höfner (Orientalistik),<br />

Prof. Dr. Hildegard Gauger (Anglistik) sowie die<br />

wegen ihrer nationalsozialistischen Forschung heftig<br />

kritisierte Prof. Dr. Sophie Ehrhard (Biologie). Alle drei<br />

wurden erst nach l<strong>an</strong>gjähriger Arbeit <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong> zu außerpl<strong>an</strong>mäßigen Professorinnen ern<strong>an</strong>nt.<br />

Kein Aufschwung für Studentinnen<br />

Für Studentinnen konnten die vereinzelten Wissenschaftlerinnen<br />

kein Vorbild sein, eher noch hatten sie<br />

eine abschreckende Wirkung. Und auch die sonstigen<br />

Signale <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>an</strong> sie waren deutlich: Mehr<br />

als eine beschränkte Aufenthaltsberechtigung hatten<br />

sie <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> in <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

nicht zu erwarten.<br />

1949 Die Juristin Elisabeth Selbert setzt mit Hartnäckigkeit und <strong>der</strong> Unterstützung von vielen Tausend Frauen die eindeutige Formulierung des Paragraphen 3 Absatz 2 „Frauen<br />

und Männer sind gleichberechtigt“ im Grundgesetz <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschl<strong>an</strong>d durch.<br />

1953 Mit <strong>der</strong> Verabschiedung eines neuen Bundesbeamtengesetzes fällt <strong>der</strong> § 63. Nun müssen Beamtinnen bei ihrer Eheschließung nicht mehr aus dem Beruf ausscheiden.

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