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100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen

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1869 Maria von Linden wird am 18. Juli auf Schloss<br />

Burgberg bei Heidenheim/Brenz geboren.<br />

1875 Besuch <strong>der</strong> Dorfschule.<br />

1883 Wechsel auf das private Victoria-Pensionat in<br />

Karlsruhe. Neben dem regulären Unterricht<br />

nimmt sie Privatunterricht in Mathematik und<br />

Latein.<br />

1887 Rückkehr ins Elternhaus und Beginn <strong>der</strong> Abiturvorbereitungen<br />

im Selbststudium.<br />

1888 Erste Anfrage auf Promotion <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong>.<br />

1891 Abitur mit Son<strong>der</strong>genehmigung am Realgymnasium<br />

für Knaben in Stuttgart.<br />

1892 Beginn des Studiums mit Son<strong>der</strong>genehmigung<br />

<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong>. Sie belegt die<br />

Fächer Mathematik, Physik, Bot<strong>an</strong>ik und Zoologie<br />

und hört noch <strong>an</strong><strong>der</strong>e naturwissenschaftliche<br />

Vorlesungen.<br />

1895 Promotion zum Doctor rer. nat. in <strong>Tübingen</strong>.<br />

1896 Vertretung des Assistenten am Zoologischen<br />

Institut in Halle für ein Semester.<br />

1897 Assistentenstelle am Zoologischen Institut <strong>der</strong><br />

<strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong>.<br />

1899 Wechsel <strong>an</strong> die <strong>Universität</strong> Bonn.<br />

Antwort des K<strong>an</strong>zlers Rümelin auf die Anfrage des<br />

Großonkels von Maria von Linden, ob seine Nichte<br />

<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> promovieren könne:<br />

„<strong>Tübingen</strong>, 17. III. 1888<br />

Euer Excellenz, k<strong>an</strong>n ich auf Ihre hochgeehrte Zuschrift<br />

lei<strong>der</strong> nicht die Antwort geben, die meiner<br />

Neigung, den Wünschen von Damen stets entgegen<br />

zu kommen, entsprechen würde. (...)<br />

Ich wäre übrigens immer <strong>der</strong> Meinung, daß für<br />

ein Fräulein, das Lust hat, Doktorin gen<strong>an</strong>nt zu<br />

werden, das Mittel, einem Doktor ihre H<strong>an</strong>d zu<br />

bieten, jedenfalls viel leichter und bequemer wäre,<br />

als ein Examen rigorosum zu bestehen.<br />

Verehrungsvoll u. mit wärmster Empfehlung Euer<br />

Excellenz g<strong>an</strong>z ergebenster G. Rümelin“<br />

Antwort Maria von Lindens <strong>an</strong> ihren Großonkel<br />

nach dem abschlägigen Bescheid des K<strong>an</strong>zlers<br />

hinsichtlich ihrer Promotion:<br />

„Schloß Burgberg, 21. III. 1888<br />

Lieber Onkel! Für Deine freundlichen Zeilen sowie<br />

für den Brief des Herrn K<strong>an</strong>zlers nebst Einlagen,<br />

d<strong>an</strong>ke ich vielmals. Das Schreiben des Letzteren<br />

scheint ja gerade nicht zu Gunsten <strong>der</strong><br />

Durchführbarkeit meines Pl<strong>an</strong>es zu sprechen. (...)<br />

Letzterer scheint überhaupt mein Streben als Ausfluß<br />

kleinlicher Eitelkeit <strong>an</strong>zusehen, während ich<br />

nur die Befriedigung meines wissenschaftlichen<br />

Ehrgeizes darin suche. Überhaupt geht mein Streben<br />

dahin, mir das Diplom zu verdienen und es<br />

nicht <strong>der</strong> Liebenswürdigkeit <strong>der</strong> Fakultät zu verd<strong>an</strong>ken,<br />

noch mich mit fremden Fe<strong>der</strong>n zu<br />

schmücken.“<br />

Maria Gräfin von Linden<br />

Die erste Studentin <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong><br />

Maria von Linden<br />

oben auf einem Bild von 1902<br />

unten: mit Kollegen vor dem Zoologischen Institut<br />

<strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong><br />

„In <strong>Tübingen</strong> gab es im Jahr des Heils 1892 <strong>an</strong> Kultursensationen:<br />

einen Gepäckträger, eine Droschke und, nachdem<br />

ich nun glücklich in die <strong>Universität</strong>sstadt eingezogen<br />

war, auch noch eine Studentin. Der guten Dinge waren es<br />

also drei geworden, und ich darf wohl diese letzte Sensation<br />

ohne Überhebung als die fürnehmste bezeichnen, denn<br />

Gepäckträger und Droschken gab es damals in vielen größeren<br />

Städten des Schwabenl<strong>an</strong>des, aber Studentin war ich<br />

die erste und einzige im g<strong>an</strong>zen Königreich. (...)<br />

Allein, trotz dieser großen Fortschritte nach <strong>der</strong> liberalen<br />

Seite und trotz meiner entschieden verbesserten Stellung<br />

gehörte ich genau besehen doch nicht zu den legitimen Kin<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Alma mater Eberhardina Carolina, denn es fehlte<br />

die st<strong>an</strong>desamtliche Eintragung, die Immatriculation. Im<br />

Grund genommen war es ein je<strong>der</strong> Gerechtigkeit hohnsprechendes<br />

Messen mit zweierlei Maß. Ich gehöre aber glücklicherweise<br />

nicht zu den Menschen, die sich nur im Schema<br />

F wohlfühlen können und so ließ ich mir auch über diese<br />

Unvollkommenheit des Lebens keine grauen Haar wachsen,<br />

son<strong>der</strong>n freute mich des Erreichten und dachte im Stillen:<br />

Schr<strong>an</strong>ken sind da, um übersprungen zu werden.“<br />

Aus den Lebenserinnerungen Maria von Lindens<br />

Die Tübinger Pionierin<br />

12 <strong>Jahre</strong> bevor Frauen sich als ordentliche Studierende<br />

einschreiben konnten, erkämpfte sich Maria von<br />

Linden ein außerordentliches Studium <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong>. Wie <strong>an</strong><strong>der</strong>e Pionierinnen war auch sie<br />

privilegierter Herkunft und musste dennoch auf dem<br />

Weg zum <strong>Frauenstudium</strong> zahlreiche Schwierigkeiten<br />

überwinden.<br />

Der schwierige Weg zum Abitur<br />

Bereits von Kindheit <strong>an</strong> zeigte Maria von Linden ein<br />

beson<strong>der</strong>es Interesse <strong>an</strong> Naturwissenschaften. Wie<br />

<strong>an</strong><strong>der</strong>en Mädchen ihrer Zeit und gesellschaftlichen<br />

Stellung st<strong>an</strong>d ihr jedoch lediglich <strong>der</strong> Besuch einer<br />

höheren Töchterschule offen. Durch das dortige Lehr<strong>an</strong>gebot<br />

nicht ausreichend gefor<strong>der</strong>t, nahm sie zusätzlich<br />

Privatunterricht. Um studieren zu können, war aber<br />

das Abitur erfor<strong>der</strong>lich. Nach l<strong>an</strong>gem Kampf und nur<br />

durch Vermittlung ihres Großonkels Josef Freiherr von<br />

Linden, Staatsminister in Württemberg, erhielt sie die<br />

Erlaubnis, die Reifeprüfung als Externe am Stuttgarter<br />

Realgymnasium für Knaben abzulegen. Sie best<strong>an</strong>d<br />

im Juli 1891 die Abiturprüfung, ein Ereignis, das großes<br />

öffentliches Aufsehen in Württemberg erregte.<br />

Zulassung zum Studium<br />

Bereits 1888 hatte Maria von Linden <strong>an</strong>gefragt, ob eine<br />

Promotion <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> möglich sei.<br />

Nach längerer Ausein<strong>an</strong><strong>der</strong>setzung und intensiver Vermittlung<br />

ihres Großonkels Freiherr von Linden wurde<br />

die Anfrage prinzipiell bejaht, eine entsprechende Vorbildung<br />

jedoch vorausgesetzt. Nach best<strong>an</strong>dener Reifeprüfung<br />

stellte sie 1892 beim württembergischen Ministerium<br />

des Kirchen- und Schulwesens den Antrag,<br />

zum Studium zugelassen zu werden. Der Minister<br />

empfahl ihre Zulassung, ein Wunsch, dem <strong>der</strong> Senat<br />

<strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> in einer denkbar knappen<br />

Abstimmung von 10 zu 8 Stimmen und unter ausdrücklicher<br />

Betonung, dass dies kein Präzedenzfall sein<br />

sollte, entsprach.<br />

Im Dezember 1892 konnte Maria von Linden mit dieser<br />

Son<strong>der</strong>genehmigung das Studium <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong> aufnehmen. Sie war damit die erste Studentin<br />

<strong>der</strong> alma mater eberhardina carolina, allerdings<br />

ohne immatrikuliert zu sein. Eine Son<strong>der</strong>stellung, die<br />

sie als ungerecht empf<strong>an</strong>d.<br />

Willenskraft und Protektion vorausgesetzt<br />

Maria von Lindens Beispiel zeigt eindrücklich die<br />

Schwierigkeiten, die Frauen auf dem Weg zum Studium<br />

zu überwinden hatten. Die <strong>an</strong> <strong>der</strong> höheren Töchterschule<br />

erworbene Bildung ließ sich nur mit einer höchste<br />

Motivation und Willenskraft voraussetzenden privaten<br />

Vorbereitung so erweitern, dass es für die Hochschulreife<br />

ausreichte. Die Berechtigung, diese <strong>an</strong> einem<br />

Knabengymnasium ablegen zu dürfen, erfor<strong>der</strong>te<br />

darüber hinaus einen l<strong>an</strong>gen zähen Kampf, <strong>der</strong> nur<br />

mit einflußreichen Fürsprechern zu gewinnen war.<br />

Die <strong>Universität</strong> selbst erklärte sie zum Einzelfall ohne<br />

weitere Bedeutung und räumte den einzelnen Dozenten<br />

die Entscheidung über Maria von Lindens Zug<strong>an</strong>g<br />

zu den Lehrver<strong>an</strong>staltungen ein.<br />

1899 Maria von Linden ist <strong>an</strong> verschiedenen Instituten <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> Bonn tätig, bis sie schließlich 1908 mit <strong>der</strong> Leitung des Laboratoriums des Hygienischen Instituts betraut<br />

wird. Sie bemüht sich vergeblich um eine Son<strong>der</strong>genehmigung zur Habilitation. 1910 wird ihr eine Titularprofessur verliehen, die Lehrbefugnis und eine ordentliche Professur<br />

bleiben ihr jedoch verwehrt.<br />

1933 Aufgrund des Gesetzes zur Wie<strong>der</strong>herstellung des Berufsbeamtentums wird sie in den vorzeitigen Ruhest<strong>an</strong>d versetzt. Maria von Linden stirbt am 25. August 1936 in<br />

Scha<strong>an</strong>/Liechtenstein. Sie hinterlässt ein wissenschaftliches Werk von mehreren Monographien und fast <strong>100</strong> Aufsätzen in Fachzeitschriften.

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