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100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen

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1972 In <strong>Tübingen</strong> wird ein erstes Frauenzentrum eröffnet.<br />

1975 Der Frauen-Treff, ein Vortragsclub, in dem<br />

sich vor allem die Ehefrauen Tübinger Professoren<br />

zusammenschließen, wird gegründet.<br />

1977 Ruth-Eva Schulz-Seitz, eine <strong>der</strong> Mitorg<strong>an</strong>isatorinnen<br />

des Frauen-Treffs, gibt die feministischkritische<br />

Zeitschrift „Wissenschaft und Zärtlichkeit“<br />

heraus. Im gleichen Jahr ist <strong>der</strong> AStA zum<br />

ersten Mal nur mit Frauen besetzt.<br />

Eine Uni-Frauengruppe erarbeitet <strong>an</strong>lässlich <strong>der</strong><br />

Feier zum 500jährigen Bestehen <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

eine Ausstellung zum <strong>Frauenstudium</strong>.<br />

Eine weitere Ausstellung zum Thema § 218<br />

findet im Tübinger Schloss statt.<br />

1978 Gründung <strong>der</strong> Tübinger Frauenakademie.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> ersten Tübinger Ernst-Bloch-<br />

Tage thematisieren Frauen des Sozialistischen<br />

Zentrums den Zusammenh<strong>an</strong>g von „Naturbeherrschung<br />

und Frauenunterdrückung“, eine<br />

<strong>der</strong> frühen feministischen Analysen im Kontext<br />

<strong>der</strong> undogmatischen Linken.<br />

1979 Eröffnung des Frauenbuchladens Thalestris.<br />

Frauen aus Freiburg und Berlin berichten über<br />

ihre Projekte „Frauen lernen gemeinsam“ und<br />

„FFBIZ – Frauenforschungs-, -bildungs- und<br />

informationszentrum“. Im Brecht-Bau tagt regelmäßig<br />

ein AK Women Studies.<br />

1980 Die Frauengruppe <strong>der</strong> Alternativen Liste ruft zur<br />

Gründung eines Frauenforums auf.<br />

1981 Erste - von Studentinnen org<strong>an</strong>isierte - Frauen-<br />

Ringvorlesung ohne fin<strong>an</strong>zielle Unterstützung<br />

durch die <strong>Universität</strong>.<br />

1983 Erste Ringvorlesung zum Thema „Frauenforschung“<br />

im offiziellen Studium Generale.<br />

Aus dem Beitrag <strong>der</strong> Uni-Frauengruppe im „Schwarzheft“,<br />

in dem das 500-<strong>Jahre</strong>-Jubiläum <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong> 1977 kritisch kommentiert wird:<br />

„Dass studierende Frauen sich in <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> auf<br />

einem ihnen fremden Territorium bewegen, dass ihre<br />

Erfahrungsformen und Sprechweisen quer zu denen<br />

des Wissenschaftsbetriebes liegen, dass die weibliche<br />

Sozialisation <strong>der</strong> Anpassung <strong>an</strong> die herrschenden<br />

Formen <strong>der</strong> Wissens<strong>an</strong>eignung und –vermittlung produktiv<br />

und unproduktiv im Wege steht, läßt sich nicht<br />

in einer Sprache darstellen, aus <strong>der</strong> diese Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

bereits herausgefiltert sind. Wir wollen nicht von<br />

oben herab in fertigen Sätzen und scheinbarer Verfügung<br />

über den Gegenst<strong>an</strong>d darstellen, was wir als<br />

Ambivalenz tagtäglich am eigenen Leib und Kopf erfahren.<br />

Vielmehr versuchen wir in den Texten, das<br />

Unfertige, Tastende und Sperrige – aber auch das Angepaßte!<br />

– solcher Aufbruchserfahrungen in Abgrenzung<br />

zu den herrschenden wissenschaftlichen St<strong>an</strong>dards<br />

und ohne allzugroße Zugeständnisse <strong>an</strong> die<br />

verordnete Diktion zu dokumentieren. In die Texte ist<br />

daher nur eingeg<strong>an</strong>gen, wie wir selbst unsere Situation<br />

wahrnehmen: unser Unbehagen, unser Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d,<br />

unsere Vorstellungen, die unmittelbaren, gemeinsam<br />

verarbeiteten und vorsichtig verallgemeinerten Erfahrungen,<br />

die studierende Frauen <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

machen.“<br />

Mit leidenschaftlichem Interesse<br />

Neue Frauenbewegung und Wissenschaftskritik<br />

Exponat <strong>der</strong> Ausstellung <strong>der</strong> Uni-Frauengruppe<br />

in <strong>der</strong> Neuen Aula <strong>an</strong>lässlich <strong>der</strong> Feiern zum<br />

500jährigen Bestehen <strong>der</strong> Tübinger “Alma mater”<br />

im Jahr 1977<br />

„Wir haben außerhalb <strong>der</strong> Uni in den örtlichen Frauennetzwerken<br />

erst autonome Frauenpolitik gemacht und<br />

sind d<strong>an</strong>n wie<strong>der</strong> in die Uni rein. So war <strong>der</strong> Weg bei<br />

uns. Nicht <strong>an</strong><strong>der</strong>srum.“<br />

„An die Diskussion über die erste Frauenringvorlesung<br />

k<strong>an</strong>n ich mich noch gut erinnern: In <strong>der</strong> Fachschaftsräte-Vollversammlung<br />

haben die Männer gefragt,<br />

wieso sie nicht dazu dürfen. Es gab Riesendebatten<br />

wieso die Männer da nicht hindürfen und die Frauenringvorlesung<br />

wurde dadurch überall bek<strong>an</strong>nt. Wir<br />

hatten d<strong>an</strong>n ja auch immer 300 Frauen da. Das waren<br />

für’s erste Mal, da dies <strong>an</strong> <strong>der</strong> Uni bis dahin kein<br />

Thema war, ziemlich viele. Ich bin <strong>der</strong> Überzeugung,<br />

es ging nur so gut mit Hilfe dieser Provokation. Wir<br />

haben dies als ‘Marketing-Mittel’, würde m<strong>an</strong> heute<br />

sagen, eingesetzt, und es ist voll aufgeg<strong>an</strong>gen. Und<br />

d<strong>an</strong>n waren bei den Vorlesungen immer drei, vier Männer<br />

und die durften auch bleiben, weil uns das eigentlich<br />

wurscht war.“<br />

Irene Scherer, ehemalige Studentin <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong>, Mitarbeiterin <strong>der</strong> Frauenakademie<br />

und spätere studentische Vertreterin in <strong>der</strong><br />

Senatsfrauenkommission<br />

Studentinnen und die Neue Frauenbewegung<br />

Der Aufbruch <strong>der</strong> Frauen in die <strong>Universität</strong> in den 60er<br />

und 70er <strong>Jahre</strong>n wurde auch zum politischen Aufbruch.<br />

Bisl<strong>an</strong>g hatten Studentinnen die Strukturen <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

und die Lehrinhalte nicht hinterfragt, son<strong>der</strong>n<br />

waren froh, überhaupt Zug<strong>an</strong>g zum Studium bekommen<br />

zu haben. Im gesellschaftlichen Klima <strong>der</strong> Revolte<br />

<strong>der</strong> 60er <strong>Jahre</strong> än<strong>der</strong>te sich dies schlagartig. Studentinnen<br />

org<strong>an</strong>isierten sich und gaben erste Impulse<br />

für die Neue Frauenbewegung. Diese Massenbewegung<br />

<strong>der</strong> Frauen, die sich zu Beginn <strong>der</strong> 70er <strong>Jahre</strong><br />

im Zuge des Kampfes gegen den § 218 entwickelte,<br />

machte wie<strong>der</strong>um vielen Studentinnen erst bewusst,<br />

dass ihre persönliche Situation <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> mit<br />

ihrem Status als Frau in <strong>der</strong> Gesellschaft verknüpft war.<br />

Studentinnen und junge Wissenschaftlerinnen radikalisierten<br />

die linke Kritik <strong>an</strong> <strong>der</strong> „bürgerlichen Wissenschaft“<br />

aus feministischer Perspektive und schufen sich<br />

selbstbestimmte Orte und Foren, um ihr leidenschaftliches<br />

Interesse <strong>an</strong> Erkenntnis zu verfolgen.<br />

Autonome Bildungs(t)räume<br />

Solche selbstbestimmten Orte waren zum Beispiel die<br />

Mitte <strong>der</strong> 70er <strong>Jahre</strong> beginnenden Sommeruniversitäten<br />

für Frauen in Berlin. Die Berliner Ver<strong>an</strong>staltungen,<br />

denen später noch viele weitere auf regionaler<br />

Ebene folgen sollten, gehörten zu den ersten herausragenden<br />

Öffentlichkeiten, die Frauen ausdrücklich für<br />

Frauen herstellten.<br />

Auch Frauen aus <strong>Tübingen</strong> reisten einzeln o<strong>der</strong> in<br />

g<strong>an</strong>zen Studien- und Projektgruppen nach Berlin und<br />

waren dort mit eigenen Angeboten vertreten. Einige<br />

<strong>der</strong> in Berlin auftretenden Referentinnen gehörten zu<br />

den Begrün<strong>der</strong>innen <strong>der</strong> Tübinger Frauenakademie -<br />

einem Bildungsprojekt jenseits etablierter Institutionen<br />

und „männlich beherrschter Wissenschaft“, das einige<br />

<strong>Jahre</strong> l<strong>an</strong>g im Tübinger Frauenzentrum in <strong>der</strong> Haaggasse<br />

34 verwirklicht wurde. Die Tübinger Frauenakademie<br />

war bundesweit einer <strong>der</strong> ersten Versuche,<br />

außerhalb <strong>der</strong> etablierten Institutionen Bildungsprozesse<br />

für Frauen in einem selbstbestimmten und<br />

nichthierarchischen Zusammenh<strong>an</strong>g zu ermöglichen.<br />

Innovationsfeindliche Institution<br />

Dass sich Studentinnen vor allem außerhalb <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

org<strong>an</strong>isieren mussten, um ihrem Erkenntnisinteresse<br />

nachzugehen, lag <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>an</strong>fänglichen Unfähigkeit<br />

<strong>der</strong> Institution, die innovativen Impulse <strong>der</strong><br />

feministischen Wissenschaftskritik aufzunehmen. Erst<br />

l<strong>an</strong>gsam gel<strong>an</strong>g es den Studentinnen z.B. durch die<br />

Org<strong>an</strong>isation von Ringvorlesungen, die neuen Erkenntnisse<br />

in die <strong>Universität</strong> hineinzutragen. Die Kritik am<br />

wissenschaftlichen Androzentrismus hat sich in den<br />

letzten 20 <strong>Jahre</strong>n stark ausdifferenziert und brachte<br />

in fast allen wissenschaftlichen Disziplinen neue Erkenntnisse.<br />

Der wissenschaftliche Mainstream in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d nimmt die Gen<strong>der</strong>-Forschung, wie sie inzwischen<br />

gen<strong>an</strong>nt wird, jedoch immer noch eher sporadisch<br />

zur Kenntnis. Im Gegensatz zu den USA, wo<br />

bereits in den 70er <strong>Jahre</strong>n Gen<strong>der</strong> Studies ihren Weg<br />

<strong>an</strong> die Hochschulen f<strong>an</strong>den, ist dies <strong>an</strong> deutschen <strong>Universität</strong>en<br />

bisl<strong>an</strong>g eine Ausnahme geblieben. Die <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong> verfügt heute über zwei Professuren,<br />

die den Gen<strong>der</strong> Studies gewidmet sind.<br />

1968 Auf einer Tagung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in Fr<strong>an</strong>kfurt stellt eine Vertreterin des Berliner „Aktionsrats zur Befreiung <strong>der</strong> Frau“ fest, dass die<br />

spezifische Ausbeutung von Frauen durch Männer dadurch tabuisiert werde, dass m<strong>an</strong> einem bestimmten Bereich des Lebens den Namen „Privatleben“ gebe. Da die<br />

Männer auf das Anliegen <strong>der</strong> Frauen nicht eingehen, kommt es zum legendären Tomatenwurf: Eine Studentin bewirft einen SDS-M<strong>an</strong>n mit einer reifen Tomate.<br />

1976 In Berlin findet die erste Sommeruniversität für Frauen zum Thema „Frau und Wissenschaft“ statt. Die Frauenzeitschrift „Courage“ wird gegründet. Im Redakteurinnen-Team<br />

sitzen die Grün<strong>der</strong>innen <strong>der</strong> „Weiberräte“ und des Sozialistischen Frauenbunds, ehemals „Aktionsrat zur Befreiung <strong>der</strong> Frau“.

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