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100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen

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Die unordentlichen Anfänge des <strong>Frauenstudium</strong>s<br />

<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong><br />

1873 Erste Anfrage einer Frau bezüglich Immatrikulation<br />

<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> von <strong>der</strong> Züricher<br />

Studentin Alex<strong>an</strong>dra Popowa. Im selben<br />

Jahr folgen weitere Anfragen von Sinaida<br />

Okounekoff und Luise Dubinski. Die Gesuche<br />

werden abgelehnt.<br />

1874 Erfolglose Anfrage von Lydia von Karg<strong>an</strong>off.<br />

1876 Der Amerik<strong>an</strong>er Dr. Julius Berghaus bemüht<br />

sich um Zulassung seiner Tochter zum Studium.<br />

Erst <strong>an</strong>lässlich dieser Anfrage beschließt<br />

die <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> die prinzipielle Ablehnung<br />

<strong>der</strong> Zulassung von Frauen zum Studium.<br />

Kurz darauf wird ein weiteres Gesuch von Lina<br />

Berger abgelehnt.<br />

1882 Anonyme Denunziation, dass Prof. Eimer eine<br />

Zuhörerin in seiner Vorlesung geduldet habe.<br />

Das Ministerium für Kirchen- und Schulwesen<br />

rügt die <strong>Universität</strong> wegen des Vorfalls.<br />

1888 Die Petition des Frauenvereins Reform, in <strong>der</strong><br />

u.a. die Zulassung von Frauen zum Studium<br />

aller Fächer gefor<strong>der</strong>t wird, wird im Senat beh<strong>an</strong>delt<br />

und abschlägig beschieden.<br />

Eine Anfrage Maria Gräfin von Lindens auf Zulassung<br />

zur Promotion wird abgelehnt.<br />

1892 Dem Gesuch Maria von Lindens auf Zulassung<br />

zum außerordentlichen Studium <strong>der</strong> Mathematik<br />

und <strong>der</strong> Naturwissenschaften wird stattgegeben.<br />

Sie ist damit die erste Frau, die in <strong>Tübingen</strong><br />

studiert.<br />

1895 Maria von Linden promoviert als erste Frau <strong>an</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong>.<br />

1896 Die in Bern zur Dr. med promovierte Karoline<br />

Breitinger bittet, um in Württemberg als Ärztin<br />

praktizieren zu dürfen, um Zulassung zu den<br />

Staatsexamensfächern <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong>.<br />

Dies wird mit <strong>der</strong> Begründung, sie habe<br />

kein Reifezeugnis, abgelehnt.<br />

1897 Der Antrag auf Immatrikulation von Maria Gleiss<br />

wird abgelehnt. Die ersten drei Hörerinnen werden<br />

zugelassen. Bis 1904 erfolgt die Zulassung<br />

von 17 weiteren Frauen als Hörerinnen, eine<br />

Frau wird abgewiesen.<br />

„Hochgeehrter Herr Rector,<br />

Da in Folge des russischen Ukas den russischen Damen<br />

das Studium <strong>an</strong> <strong>der</strong> Züricher Hochschule untersagt<br />

ist, sind wir gezwungen Zürich zu verlassen.<br />

Euer Hochwohlgeboren werden zugeben, dass es für<br />

Frauen, welche bereits mehrere <strong>Jahre</strong> mit allem Ernst<br />

einem Lebensziel nachgestrebt haben, schwer ist dasselbe<br />

aufzugeben, desshalb wage ich <strong>an</strong> Euer Hochwohlgeboren<br />

die Bitte mir mitzutheilen, ob <strong>der</strong> hochlöbliche<br />

Senat <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> <strong>Tübingen</strong> geneigt wäre<br />

einige <strong>der</strong> hier immatrikulierten russischen Frauen als<br />

Studenten aufzunehmen.<br />

Wir sind bereit Zeugnisse und Dokumente, falls es<br />

erwünscht scheint, beizubringen und erlauben uns<br />

schließlich die Bemerkung, dass wenn <strong>der</strong> hochlöbliche<br />

Senat eine strenge Auswahl zu treffen für gut findet,<br />

es für die Aufgenommenen nur vortheilhaft sein<br />

k<strong>an</strong>n.<br />

Wollen Euer Hochwohlgebohren mir wo möglich eine<br />

definitive Antwort auf meine Bitte senden, so werde<br />

ich dieselbe meinen Colleginnen mittheilen.<br />

In tiefster Ehrfurcht<br />

ergebenst<br />

Alex<strong>an</strong>dra Popowa<br />

„Das akademische Rektoramt <strong>an</strong><br />

Fräulein Alex<strong>an</strong>dra Popowa in Zürich.<br />

Zürich, 22. Juli 1873<br />

Im Namen des akademischen Senats theile ich Ihnen<br />

auf Ihre Anfrage vom 22. d. M. mit, dass die Org<strong>an</strong>isation<br />

unserer <strong>Universität</strong> sowie die äußeren Verhältnisse<br />

die Zulassung von Frauen zum Besuche <strong>der</strong> Vorlesungen<br />

nicht ermöglichen, weßhalb auf Ihr Gesuch<br />

nicht eingeg<strong>an</strong>gen werden k<strong>an</strong>n.<br />

<strong>Tübingen</strong> den 7. Aug. 1873<br />

Saexinger“<br />

Tübinger Bedenken gegen das <strong>Frauenstudium</strong><br />

„Im weiteren erkennt Herr Referent zwar den Anspruch<br />

<strong>der</strong> Frauen auf eine höhere Bildung als ein Naturrecht<br />

<strong>der</strong>selben <strong>an</strong>, doch sei das Wohl unserer Hochschule<br />

zunächst ins Auge zu fassen und dies würde unter<br />

allen Umständen einen seperaten Unterricht verl<strong>an</strong>gen;<br />

ein gemeinschaftlicher Unterricht sei ohne Schaden<br />

<strong>der</strong> Hochschule nicht durchführbar. (...)<br />

Für jetzt habe in Deutschl<strong>an</strong>d das Bedürfnis <strong>der</strong> Eröffnung<br />

<strong>der</strong> <strong>Universität</strong>en für Frauen sich noch nicht geltend<br />

gemacht; sollte dieses Bedürfnis je hervortreten,<br />

so werde <strong>der</strong> Staat für weibliche Gymnasien und weibliche<br />

Hochschulen zu sorgen haben.<br />

Wenn die Statuten <strong>der</strong> hiesigen <strong>Universität</strong> die<br />

Theilnahme von Frauen auch nicht geradezu verbieten,<br />

so seien doch überall Männer vormals gesetzt und<br />

jene für Frauen also <strong>an</strong> sich ausgeschlossen.(...) “<br />

Aus dem Senatsprotokoll vom 7. August 1873 zur<br />

Debatte über das Gesuch <strong>der</strong> Alex<strong>an</strong>dra Popowa<br />

„Und über diesen bleiben die Bedenken über das Zusammensein<br />

bei<strong>der</strong> Geschlechter zumal in einer kleinen<br />

<strong>Universität</strong>sstadt unüberwindlich, auch wenn wir<br />

von den beson<strong>der</strong>s üblen Erfahrungen absehen wollen,<br />

welche hierüber in <strong>der</strong> Schweiz gemacht worden<br />

sind. Unseres Erachtens könnte es sich in Württemberg,<br />

wenn für gewisse Fächer ein akademischer Unterricht<br />

für Frauen eingerichtet werden wollte, um eine<br />

Gründung beson<strong>der</strong>er Anstalten h<strong>an</strong>deln.<br />

Auf diese Frage aber glauben wir nicht eingehen zu<br />

sollen. M<strong>an</strong> könne nun nicht umhin darauf aufmerksam<br />

zu machen, welchen großen Zudr<strong>an</strong>g und zwar<br />

vielleicht bedenklicher Elemente, das einseitige Vorgehen<br />

eines einzelnen Staates in dieser noch so unreifen<br />

Sache zur Folge haben müsste.“<br />

Aus dem Bericht des Senatsreferenten vom 22. November<br />

1888 zur Petition des Frauenvereins Reform<br />

Erste Anfrage<br />

396 <strong>Jahre</strong> <strong>Universität</strong>sgeschichte vergingen, bevor sich<br />

die alma mater eberhardina carolina tuebingensis erstmals<br />

nachweislich mit <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Zulassung von<br />

Frauen zum Studium zu beschäftigen hatte.<br />

Mit einem Brief vom 22. Juli 1873 fragte Alex<strong>an</strong>dra<br />

Popowa beim Tübinger Rektoramt <strong>an</strong>, ob es ihr und<br />

weiteren Russinnen möglich wäre, ihr in Zürich begonnenes<br />

Medizinstudium <strong>an</strong> <strong>der</strong> hiesigen <strong>Universität</strong> zu<br />

beenden. Der Senat votierte einstimmig gegen die<br />

Anfrage.<br />

Allgemeine Regelung<br />

Die im Fall Alex<strong>an</strong>dra Popowa getroffene Entscheidung<br />

wurde 1876 - inzwischen gab es fünf weitere Anfragen<br />

zum Thema <strong>Frauenstudium</strong> - verallgemeinert.<br />

Ab d<strong>an</strong>n hieß es klar: Frauen werden <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

<strong>Tübingen</strong> prinzipiell nicht zum Besuch von Vorlesungen<br />

zugelassen. Mit Verweis auf diese Entscheidung<br />

wurde d<strong>an</strong>n auch 1888 eine Petition des Frauenvereins<br />

Reform mit <strong>der</strong> Bitte um Zulassung von Frauen<br />

zum Studium ohne weitere Diskussion vom Senat<br />

abgelehnt.<br />

Analysiert m<strong>an</strong> die Berichte und Protokolle zu den<br />

Senatssitzungen hinsichtlich <strong>der</strong> vorgebrachten Argumente<br />

gegen das <strong>Frauenstudium</strong>, so ist festzustellen,<br />

dass nicht vorr<strong>an</strong>gig mit einer prinzipiellen Unfähigkeit<br />

<strong>der</strong> Frauen zum Studium argumentiert wurde. Statt<br />

dessen wurden formale Gründe <strong>an</strong>geführt, <strong>der</strong>en<br />

Grundtenor hieß: Wir sind nicht zuständig. Statt dessen<br />

müsse <strong>der</strong> Staat eine Regelung finden – am besten<br />

eine, die die <strong>Universität</strong> selbst nicht betrifft – und<br />

im übrigen seien speziell die Tübinger Bedingungen<br />

ungeeignet für das <strong>Frauenstudium</strong>.<br />

Hörerinnen<br />

Klar ist: Studentinnen wollte m<strong>an</strong> keine, aber Hörerinnen?<br />

Als solche konnte m<strong>an</strong> sich Frauen zumindest<br />

am Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts auch in <strong>Tübingen</strong> vorstellen.<br />

1897 stellten drei Lehrerinnen <strong>der</strong> Tübinger<br />

Mädchenschule erfolgreich den Antrag auf Besuch<br />

einer Vorlesung des Historikers Prof. Busch. Bis zum<br />

Ende des Wintersemesters 1903/04 waren es insgesamt<br />

20 Frauen, die einzelne Vorlesungen <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />

besucht hatten.<br />

Wichtig war für die Zulassung als Hörerin weniger eine<br />

nachweisbare Vorbildung als das persönliche Wohlwollen<br />

<strong>der</strong> Professoren. Die Zulassung als Hörerin war<br />

je<strong>der</strong>zeit wi<strong>der</strong>rufbar und das Einverständnis des Dozenten<br />

Bedingung.<br />

Fazit<br />

Festzuhalten bleibt, dass es stets nur einzelne Professoren<br />

waren, die sich vehement und kompromisslos<br />

gegen Frauen <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> aussprachen. Der<br />

Mehrheit <strong>der</strong> Professoren ging es zumindest seit Ende<br />

des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts nicht mehr darum, die Frauen<br />

vollständig auszuschließen, son<strong>der</strong>n darum, die Kontrolle<br />

über ihren Zug<strong>an</strong>g zu behalten. Und diese hatten<br />

sie - bis 1904.<br />

1872 Der Münchner Prof. Dr. med. Theodor von Bischoff vertritt in seiner vielbeachteten Schrift „Das Studium und die Ausübung <strong>der</strong> Medizin durch Frauen“ die Meinung, Frauen<br />

seien Männern geistig unterlegen und daher zum Studium im allgemeinen und zum Studium <strong>der</strong> Medizin im beson<strong>der</strong>en untauglich.<br />

1873 Ein Ukas (Erlass) des russischen Zaren droht allen Russinnen, die <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Universität</strong> Zürich studieren, Berufsverbot in Russl<strong>an</strong>d <strong>an</strong>. Viele russische Studentinnen wenden<br />

sich daraufhin - erfolglos - mit <strong>der</strong> Bitte um Immatrikulation <strong>an</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>e deutschsprachige <strong>Universität</strong>en, wie z.B. <strong>Tübingen</strong>, Freiburg o<strong>der</strong> Heidelberg.

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