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Graf von Galen äußerte sich in einem Schreiben an "seinen Klerus" vom 15.
August 1935 skeptisch über das Verhältnis von Kirche und Staat und zog eine
kritische Zwischenbilanz. Er zeigte sich enttäuscht, daß die nationalsozialistischen
Machthaber den Willen der katholischen Bevölkerung "zur Mitarbeit und
zum Wiederaufbau unseres Volkslebens auf dem Felsengrund der Wahrheit und
der Sittlichkeit" nicht honorierten und in der kritischen Haltung der katholischen
Kirche nur einen "Kampf gegen die staatliche Obrigkeit" und einen "Beweis
parteipolitischen Machtstrebens" erkennen konnten:
"Ja, man wagt es, die kirchentreuen Katholiken und ihre geistigen Führer mehr oder
weniger offen als Staatsfeinde hinzustellen und als Menschen, bei denen ein heimliches
Zusammenwirken und Bündnis mit den Verfechtern des Kommunismus und Bolschewismus
nicht ausgeschlossen sei. Und doch haben unzählige treue Katholiken,
auch viele, die jetzt als Priester in unseren Reihen stehen, im Weltkrieg ihr Leben für
Deutschlands Recht und Ehre, für Volk und Vaterland eingesetzt! Und doch ist es
weltbekannt, daß gerade die katholische Kirche fast zuerst die Unwahrheit und Verderblichkeit
der marxistischen Falschlehren aufgedeckt und ohne Unterlaß verurteilt
und bekämpft hat. [...] Auch jene aus dem Klerus, welche in der Zeit der extremen
Demokratie und der Parteienherrschaft das katholische Volk in politischen Fragen
nach bestem Wissen beraten und vielleicht in Ermangelung des Einsatzes geeigneter
Laien in etwa geführt haben, werden vor Gott und der Geschichte rein dastehen von
dem Vorwurf, aus Selbstsucht oder aus Parteiegoismus die Interessen des eigenen Volkes
mißachtet und um internationaler Ziele willen verraten zu haben." 879
Galen unterstrich die historische Kontinuität und moralische Glaubwürdigkeit
des deutschen Katholizismus von 1918 bis zur Gegenwart des Jahres 1935 und
wies den Vorwurf als "eine kränkende Unwahrheit und eine uns tief verletzende
Beleidigung" zurück, "daß wir im Dienste eines sog. ‘politischen Katholizismus’
in verneinender Gegnerschaft zum heutigen Staate und seinem Führer
ständen, wenn man es uns zutraut, an Machenschaften zu seinem Sturze und zur
Vereitelung der Wiederaufbauarbeit teilzunehmen". Das Festhalten an den
kirchlich anerkannten katholischen Vereinen geschehe aus dem Anliegen der
Pastoral, denn "um der Seelsorge willen" seien die Vereine gegründet worden,
"nicht für parteipolitische Zwecke, auf deren Verfolgung sie keinen Anspruch
erheben". Selbst wenn der Kirche "die bewährten Hilfsorgane der Seelsorge"
gewaltsam, gegen Recht und Gesetz, genommen werden sollten, würden sie,
Bischöfe und Klerus, in ihrem Dienste fortfahren und ihre Gläubigen anhalten,
"in allem, was nicht Sünde ist, der Obrigkeit zu gehorchen", und ihnen darin ein
Beispiel geben, "auch wenn der Gehorsam einmal schwer wird".
879 Kirchliches Amtsblatt Jg. 69, Nr. 17, 21.8.1935, S. 113-115.