Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...
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Morgens von sieben bis acht sowie von zehn bis elf Uhr las er Rousseau, von acht<br />
bis neun Uhr befasste er sich mit der Ode. Von neun bis fünfzehn Uhr folgten seine<br />
Studien in der Universität als auch im Friedrichskolleg. Von fünfzehn bis sechzehn<br />
Uhr lernte er Geschichte, schließlich ging er bis neunzehn Uhr Handlungssachen<br />
nach und war ab dann – zur Winterzeit wohlgemerkt stets unter schummrigem<br />
Kerzenlicht - in der Bibliothek zu finden.<br />
Neben theologischen Vorlesungen besuchte er auch andere Fakultäten, wobei er es<br />
angeblich verschmäht haben sollte, die damals für Studenten übliche Perücke zu<br />
tragen.<br />
Kirchengeschichtliche Vorlesungen hörte er bei Daniel Heinrich Arnoldt, der seit<br />
1734 Professor der Theologie und Hofprediger in Königsberg war;<br />
Sprachwissenschaft bei Georg David Kypke, einem in Pommern geborenen<br />
protestantischen Theologen, Philologen, Professor für orientalische Sprachen,<br />
Alttestamentler sowie Inspektor der Synagoge von Königsberg, und Dogmatik bei<br />
Theodor Christoph Lilienthal, ebenfalls Professor der Theologie und Autor <strong>einer</strong><br />
umfangreichen Abhandlung über die Offenbarungen des alten und neuen<br />
Testaments.<br />
Am 21. August 1762 erlebte <strong>Herder</strong> erstmals eine Vorlesung von Immanuel Kant,<br />
bei dem er Astronomie, Logik, Metaphysik, Moralphilosophie, Mathematik und<br />
physische Geografie besuchte. In den "Humanitätsbriefen" schrieb er später:<br />
"Ich habe das Glück gehabt, einen Philosophen zu kennen, der mein Lehrer war. Er in<br />
seinen blühensten Jahren hatte die fröhliche Munterkeit eines Jünglings. Seine<br />
offene, zum Denken gebaute Stirn war ein Sitz unzerstörbarer Heiterkeit und Freude;<br />
die gedankenreichste Rede floß von seinen Lippen; Schmerz und Witz und Laune<br />
standen ihm zu Gebote, und sein lehrender Vortrag war der unterhaltendste Umgang.<br />
Mit eben dem Geist, mit dem er Leibnitz, Wolff, Baumgarten, Crusius, Hume prüfte<br />
und die Naturgesetze Keplers, Newtons, der Physiker verfolgte, nahm er auch die<br />
damals erscheinenden Schriften Rousseaus, seinen Emil und seine Heloise, sowie<br />
jede ihm bekannt gewordene Neuentdeckung auf, würdigte sie und kam immer<br />
wieder zurück auf unbefangene Kenntnis der Natur und auf moralischen Wert des<br />
Menschen. Menschen-, Völker-, Naturgeschichte, Naturlehre, Mathematik und<br />
Erfahrung waren die Quellen, aus denen er seinen Vortrag und Umgang belebte;<br />
nichts Wissenswürdiges war ihm gleichgültig; keine Kabale, keine Sekte, kein Vorteil,<br />
kein Namenehrgeiz hatte je für ihn den mindesten Reiz gegen die Erweiterung und<br />
Aufhellung der Wahrheit. Er munterte auf und zwang angenehm zum Selbstdenken.<br />
Despotismus war seinem Gemüt fremd. Dieser Mann, den ich mit größter Dankbarkeit<br />
und Hochachtung nenne, ist Immanuel Kant: sein Bild steht angenehm vor mir."<br />
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