Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...
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trockne, allgemeine Sittenlehren; ja so fühle ich freilich nichts von der Wollust der<br />
Anschauung, denn das trockne Allgemeine gibt kein Bild. –“ [...]<br />
“Wie soll mir ferner Interesse fehlen, da jeder Zug, durch den die Idee sichtbar wird,<br />
mich schildert. Die ganze Moral wird Situation, die ich nicht verkennen kann. Hier ist<br />
mein Herz getroffen, es schlägt: der Vorfall ist aus m<strong>einer</strong> Lebensbahn gehoben; ich<br />
bin vertraut mit ihm, und muß es bis an mein Ziel des Lebens bleiben: in diesen<br />
Abdruck passet Niemand als ich. Ich eile meinem Bilde entgegen, ihm pocht mein<br />
Herz entgegen, es zu umarmen – kann hier Interesse fehlen?“<br />
In s<strong>einer</strong> unveröffentlichten „Archäologie des Morgenlandes“, die 1764 und 1765<br />
entstanden ist, kritisierte <strong>Herder</strong> sehr stark, dass der mosaische Schöpfungsbericht<br />
in der kirchlichen Überlieferung zum Dogma erstarrt sei, der nach <strong>Herder</strong>s<br />
Auffassung mit das schönste Zeugnis von morgenländischer Naturanschauung und<br />
Menschenbetrachtung darstelle. Für <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> war jegliche Enge auf<br />
religiösem Gebiet völlig undenkbar, durch seinen ganzheitlichen geschichtlichen<br />
Tiefblick war die Freiheit mit seinem Begriff der Religion nicht nur vereinbar,<br />
sondern förmlich notwendig und unvermeidbar. Er war darum bemüht, eine<br />
Gesamtschau der Geschichte des Orients zu geben, da er überzeugt war, dass diese<br />
Mythen die Anfänge unserer Geistesgeschichte und somit Zeugnisse der Anfänge<br />
des Menschengeschlechts seien.<br />
Hinter seinen vielfältigen Bekanntschaften und den ihm entgegengebrachten<br />
Sympathien fühlte sich <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> jedoch lebenslang isoliert und<br />
missverstanden, nicht für sein Jahrhundert geschaffen. Ein weiterer vergeblicher<br />
<strong>Versuch</strong> seine Augenkrankheit zu kurieren, verschlechterte seine Stimmung<br />
zusätzlich. Ihm war "zum Stampfen und Weinen; nur das letzte kann ich nicht“, [...]<br />
“mein Kopf möchte springen; alles ist mir zuwider."<br />
Im Jahr 1767 erschien in der "Deutschen Bibliothek der schönen Wissenschaften"<br />
obendrein ein Artikel, in welchem Friedrich Justus Riedel eine Schrift <strong>Herder</strong>s – die<br />
anonym erschienenen "Fragmente" - tadelte und seine Verfasserschaft lüftete.<br />
Christian Adolph Klotz, der Herausgeber der Zeitschrift und selbsternannte “Papst<br />
der Ästhetik“, war dafür verantwortlich; eine schweißtreibende Auseinandersetzung<br />
folgte.<br />
Die umgearbeitete zweite Fassung der "Fragmente" sollte 1769 veröffentlicht<br />
werden. Da Klotz allerdings ein Exemplar der zweiten Fassung der "Fragmente"<br />
durch seinen Schüler Riedel aus der Druckerei entwenden ließ, um diese bereits<br />
vor der Publizierung abfällig zu rezensieren, ließ <strong>Herder</strong> die neue Auflage gar nicht<br />
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