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Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...

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<strong>Herder</strong> war nun vom Prinzen getrennt, in ein eignes Quartier gezogen,“ [Anfang<br />

Oktober wechselte <strong>Herder</strong> zur „Auberge au grand Louvre“ in die Salzmannsgasse<br />

Ecke Maikäfergässchen] „der Entschluß war gefaßt, sich durch Lobstein operieren zu<br />

lassen. Hier kamen mir jene Übungen gut zustatten, durch die ich meine<br />

Empfindlichkeit abzustumpfen versucht hatte; ich konnte der Operation beiwohnen<br />

und einem so werten Manne auf mancherlei Weise dienstlich und behülflich sein. Hier<br />

fand ich nun alle Ursache, seine große Standhaftigkeit und Geduld zu bewundern:<br />

denn weder bei den vielfachen chirurgischen Verwundungen, noch bei dem oftmals<br />

wiederholten schmerzlichen Verbande bewies er sich im mindesten verdrießlich, und<br />

er schien derjenige von uns zu sein, der am wenigsten litt; aber in der Zwischenzeit<br />

hatten wir freilich den Wechsel s<strong>einer</strong> Laune vielfach zu ertragen. Ich sage wir: denn<br />

es war außer mir ein behaglicher Russe, namens“ [Daniel] „Peglow,“ [ein Verwandter<br />

des Rigaer Zollkontrolleurs Begrow, damals Medizinstudent in Straßburg] „meistens<br />

um ihn. Dieser war ein früherer Bekannter von <strong>Herder</strong> in Riga gewesen, und suchte<br />

sich, obgleich kein Jüngling mehr, noch in der Chirurgie unter Lobsteins Anleitung zu<br />

vervollkommnen. <strong>Herder</strong> konnte allerliebst einnehmend und geistreich sein, aber<br />

ebenso leicht eine verdreißliche Seite hervorkehren. Dieses Anziehen und Abstoßen<br />

haben zwar alle Menschen ihrer Natur nach, einige mehr, einige weniger, einige in<br />

langsameren, andere in schnelleren Pulsen; wenige können ihre Eigenheiten hierin<br />

wirklich bezwingen, viele zum Schein. Was <strong>Herder</strong>n betrifft, so schrieb sich das<br />

Übergewicht seines widersprechenden, bittern, bissigen Humors gewiß von seinem<br />

Übel und den daraus entspringenden Leiden her. Dieser Fall kommt im Leben öfters<br />

vor, und man beachtet nicht genug die moralische Wirkung krankhafter Zustände,<br />

und beurteilt daher manche Charaktere sehr ungeracht, weil man alle Menschen für<br />

gesund nimmt und von ihnen verlangt, dass sie sich auch in solcher Maße betragen<br />

sollen.<br />

Die ganze Zeit dieser Kur besuchte ich <strong>Herder</strong>n morgens und abends; ich blieb auch<br />

wohl ganze Tage bei ihm und gewöhnte mich in kurzem um so mehr an sein Schelten<br />

und Tadeln, als ich seine schönen und großen Eigenschaften, seine ausgebreiteten<br />

Kenntnisse, seine tiefen Einsichten täglich mehr schätzen lernte. Die Entwicklung<br />

dieses gutmütigen Polterers war groß und bedeutend. Er hatte fünf Jahre mehr als<br />

ich, welches in jüngeren Tagen schon einen großen Unterschied macht; und da ich ihn<br />

für das zu schätzen suchte was er schon geleistet hatte, so mußte er eine große<br />

Superiorität“ [Überlegenheit] „über mich gewinnen. Aber behaglich war der Zustand<br />

nicht: denn ältere Personen, mit denen ich bisher umgegangen, hatten mich mit<br />

Schonung zu bilden gesucht, vielleicht auch durch Nachgiebigkeit verzogen; von<br />

<strong>Herder</strong>n aber konnte man niemals eine Billigung erwarten, man mochte sich anstellen<br />

wie man wollte. Indem nun also auf der einen Seite meine große Neigung und<br />

Verehrung für ihn, und auf der andern das Mißbehagen, das er in mir erweckte,<br />

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