Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...
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In s<strong>einer</strong> Antrittspredigt am 5. Mai kritisierte er den toten Formel- und<br />
Bekenntnisglauben, er eiferte gegen die träge, gedanken- und gefühlslose<br />
Maschinenandacht, leider ohne von der Zuhörerschaft verstanden zu werden.<br />
Außerdem hatte er Zahnschmerzen, wie er Caroline am 22. Juni 1771 miteilte:<br />
"Seit fast 14. Tagen habe ich nehmlich die gräßlichsten Zahnschmerzen, die man sich<br />
nur im Höllenreich denken kann“. [...] “Noch habe ich letzten Sonntag damit<br />
gepredigt, und den Geburtstag der Gräfin bei Hofe celebrieren helfen“, [...] “aber<br />
morgen kann ich nicht mehr und laße für mich predigen“. [...] “o Gott gib mir doch<br />
gute Nacht, ich habe in 3. Nächten nicht geschlafen!"<br />
Im selben Brief heißt es an anderer Stelle:<br />
[...] „den Leuten in der Stadt, die mich für einen großen Gelehrten halten, weil ich<br />
mich morgens 4. Uhr in den Wäldern umhertreibe, und für den größten Hofmann, weil<br />
ich so ziemlich machen kann, was ich will, und für den berühmtesten Mann in der<br />
Welt, weil ich jetzt den Preis“ [für die „Abhandlung über den Ursprung der<br />
Sprache.“] „bekommen, denen kann ich so ziemlich Viel weiß machen: nur Schade,<br />
Schade, daß es mit durchaus an Gesellschaft zur Bildung und zur Empfindung fehlt.“<br />
Zur selben Zeit begann er einen Aufsatz über Shakespeare für den Hamburger<br />
Übersetzer und Verleger <strong>Johann</strong> Joachim Christoph Bode und formulierte den<br />
"Auszug aus einem Briefwechsel über Oßian und die Lieder alter Völker", beide<br />
wurden später (1774), gepaart mit Beiträgen von Goethe, Frisi und Möser, die u.a.<br />
gotische Baukunst behandelten, im sogenannten Programmheft des Sturm und<br />
Drang veröffentlicht („Von deutscher Art und Kunst“).<br />
In seinem Shakespeare-Aufsatz trat <strong>Herder</strong> neben Lessings „Hamburgischer<br />
Dramaturgie“ (1768) auf das Bühnenbild. Lessing forderte in s<strong>einer</strong> Schrift unter<br />
anderem eine Tragödie, in der auch der einfache Mensch, also nicht nur der Adlige<br />
oder König selbst, zum Helden werden kann.<br />
Weiterhin verteidigte Lessing Shakespeares Werke gegenüber so mancher Kritik<br />
und wies an ihnen praktisch griechische Würde nach. <strong>Herder</strong>, allen Vergleichen<br />
entsagend, stellte dagegen fest, dass Shakespeare ebenso Kunst sei, wie die alten<br />
Griechen, er hatte seine eigene Natur und Art entwickelt. Wie im griechischen<br />
Leben Simplizität herrschte, so auch in ihrem Drama; wie in Shakespeares Welt<br />
eine große Vielseitigkeit herrschte, so auch in seinen Werken.<br />
Zur Einheit von Ort und Zeit, was ein weiterer Streitpunkt der damaligen<br />
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