Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...
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In einem Schreiben vom Oktober des Jahres offenbarte er Hartknoch schonungslos<br />
seine Weltanschauung samt den Gründen seines Abschieds aus Riga:<br />
"Sagen Sie allen den Leuten, die sich über meinen Aufenthalt in Nantes wundern oder<br />
ärgern, nur ein Wort meinetwegen: daß sie nämlich sämtlich Narren sind. Ist's nicht<br />
ein alberner Gesichtspunkt, von Riga aus, jeder nach s<strong>einer</strong> Lage und seinem<br />
schiefen Lehnstuhl, einen Menschen am Rande des westlichen Meers beurteilen<br />
wollen, der sich die Nase abdrehen würde, wenn er wie alle Welt dächte: wenn er<br />
Lust hätte, wie unsere jungen Herren Europa zu durchstreichen, um Paris zu ihrem<br />
geliebten Mittelpunkt zu machen, vom Parterre oder vom Theater aus die<br />
Logenschönheiten zu lorgnieren, in den Kulissen bei den Opera-Göttinen die schönen<br />
Künste zu lernen und vor den Füßen <strong>einer</strong> Kokette nach der Mode zu schmachten, um<br />
sich nur nachher in ihrem geliebten Veterlande gewisser letzter Gunstbeziehungen<br />
rühmen zu können, die sie nicht erhalten haben. Wenn ich albern bin, so will ich's<br />
wenigstens auf meine Art sein“. [...]<br />
“Ich arbeite fürs Lyzeum so wesentlich und für die Menschheit so würdig, daß, wenn<br />
meine Pläne und Absichten einmal eine würdige Stelle finden, wo es auch sei, sie<br />
nicht verkannt werden können. Warum sollte die Zeit der Lykurge und Sokraten, der<br />
Zwinglis, dieser Schöpfer von kleinen glücklichen Republiken, vorbei sein, und warum<br />
sollte es nicht ein mögliches Datum zu einem Establissement geben, das für die<br />
Menschheit, für Welt und Nachwelt, Pflanzschule, Bildung, Muster sein könnte? Ich<br />
habe nichts auf der Welt, was ich sehe, das andere haben: keine Ader für die<br />
Bequemlichkeit, wenig für die Wollust, nichts für den Geiz. Was bleibt mir übrig als<br />
Wirksamkeit und Verdienst? Dazu brenne ich und krieche durch die Welt, und mein<br />
Herz schlägt mit in den Gedanken der Einsamkeit und in würdigen Anschlägen“. [...]<br />
“Laß sich das Volk in Riga wundern und mit dem heiligen Kreuz segnen. “ [...]<br />
“O Ihr glücklichen Leute! Ihr gehet durch die Welt! Esset, trinket, schlafet beieinander,<br />
sorget ein wenig, um euch desto lieber zu haben, und genießet die Menschheit und<br />
das Leben. Fi, ich armer Schelm, ein dürftiger Reisender und Pilgrim, wie alle meine<br />
Väter."<br />
Nach dreieinhalbmonatigem Aufenthalt in Nantes fuhr <strong>Herder</strong> am 4. November<br />
1769 mit einem Wagen weiter nach Paris und bat am selben Tag seinen Freund,<br />
den Rigaer Zollkontrolleur Begrow, um "ein paar 100 Thaler". Ein Honorar für<br />
Rezensionen erhielt er vom Berliner Verleger Nicolai.<br />
Überrascht nahm er zur Kenntnis, dass die deutsche Literatur und Philosophie in<br />
Paris recht unbekannt war, der Schweizer Dichter und Maler Salomon Geßner<br />
genoss wohl ein wenig ruhmvolle Anerkennung.<br />
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