Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...
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alten Welt und betrachte sie als einen Kodex der Humanität in den reinsten,<br />
ausgesuchtesten, harmonischen Formen. Mir verschwindet dabei Raum und Zeit; ich<br />
habe die Idee, aus der alles ward, aber ich habe keine Sprache, sie<br />
herauszustammeln. Sie läßt sich, wie alles in der Welt, nur durch Tat, durch<br />
Schöpfung zeigen; in m<strong>einer</strong> Seele indes soll sie bleiben. – Ich lese jetzt ein<br />
spanisches Manuskript vom Ideal-Schönen und sehe, wie es mit dem Schreiben für<br />
ein elendes Ding ist.<br />
Die lebendige, große, mittlere und kleine Welt in Rom, die ich gnug zu sehen<br />
Gelegenheit habe, ist auch ein Bild, das ich nicht so leicht vergessen werde. Auch<br />
hierin ist Rom einzig in s<strong>einer</strong> Art, ein sonderbares Wesen: man kann und muß in<br />
ihm, wenn man’s recht erkennen will, sich durch alle Zeiten durchleben. Man sieht<br />
ihm Ägypten, Griechenland, den alten römischen Staat, das Juden- und endlich das<br />
päpstliche Christentum durch alle Zeiten. Wer nur Augen und Zeit hätte, alles zu<br />
finden, alles zu erfassen und zu ordnen. Ich bin aber ein armer Wicht; meine Augen<br />
reichen nicht weit, und mein Glas ist dunkel.“ (Brief vom 13. Dezember 1788)<br />
Ende des Jahres verschickte er einen recht kritischen Brief an Goethe. Einige<br />
Monate später sorgte er sich um dessen "selbstige, für andre ganz und im Innern<br />
untheilnehmende Existenz", die <strong>Johann</strong> Wolfgang nach s<strong>einer</strong> Rückkehr in Weimar<br />
zeigte. (Brief vom 10. Februar 1789)<br />
“Ich kann das alte, krumme Jahr 88 nicht beschließen, ohne daß ich Dir noch von<br />
Rom aus ein Lebenszeichen gebe, mein Lieber.“ [...]<br />
“Ich will nur dagegen kämpfen, dass ich nicht in Deine Fußstapfen trete und eine<br />
’Gleichgültigkeit gegen die Menschen’ nach Hause mitbringe, die mir übler bekommen<br />
würde als Dir, weil ich keine Kunstwelt, wie Du, an die Stelle des Erloschenen zu<br />
setzen wüsste.“ [...]<br />
“Lebe wohl und grüße alle, den Herzog, die Herzogin und wer sich sonst m<strong>einer</strong> noch<br />
etwa erinnert.“ (Brief an Goethe vom 27. Dezember 1788)<br />
Die empfindsame Anna Amalia bemerkte <strong>Herder</strong>s Lage und sah, dass er sich immer<br />
mehr von der Reisegesellschaft entfremdete. Daraufhin schlug sie eine gemeinsame<br />
Reise mit Reiffenstein nach Neapel vor, wo der herzogliche Wagenzug am 4. Januar<br />
1789 eintraf.<br />
<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> wohnte gemeinsam mit seinem Freund Friedrich Hildebrandt von<br />
Einsiedel, dem Kammerherrn Anna Amalias. Er verbrachte viele erholsame Tage<br />
und besichtigte die Gegend. Das Schreiben von Briefen, vor allem an seine Familie,<br />
war ihm stets die willkommenste Beschäftigung.<br />
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