22.12.2012 Aufrufe

Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...

Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...

Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

frühes Manifest des Sturm und Drang gelten wird (eine Literaturbewegung von<br />

Studenten, welche die angeblich-aufgeklärte Gesellschaft des Zeitalters der<br />

Aufklärung aufklären wollten, denn Aufklärung sei niemals ein geradlinig-<br />

eindeutiger Vorgang oder gar ein abgeschlossenes Ereignis, sondern ein dauerhaft-<br />

anhaltender Prozess des Geistes, im Idealfall durch das harmonische Wechselspiel<br />

von Gehorsam und Kritik, da durch ausschließlich revolutionäre Kritik allenfalls<br />

neue Vorurteile an die Stelle der alten treten) - das "Journal m<strong>einer</strong> Reise im Jahr<br />

1769".<br />

Zu Beginn der Schrift offenbarte er in kritischer Selbstreflexion die Gründe seines<br />

Abschieds aus Riga:<br />

"Ich gefiel mir nicht, als Gesellschafter, weder in dem Kraise, da ich war; noch in der<br />

Ausschließung, die ich mir gegeben hatte. Ich gefiel mir nicht als Schullehrer, die<br />

Sphäre war für mich zu enge, zu fremde zu unpassend, und ich für meine Sphäre zu<br />

weit, zu fremde, zu beschäftigt. Ich gefiel mir nicht, als Bürger, da meine häusliche<br />

Lebensart Einschränkungen, wenig wesentliche Nutzbarkeiten, und eine faule, oft<br />

ekle Ruhe hatte. Am wenigsten endlich als Autor, wo ich ein Gerücht erregt hatte, das<br />

meinem Stande eben so nachtheilig, als m<strong>einer</strong> Person empfindlich war. Alles also<br />

war mir zuwider. Muth und Kräfte gnug hatte ich nicht, alle diese Mißsituationen zu<br />

zerstören, und mich ganz in eine andre Laufbahn hinein zu schwingen. Ich musste<br />

also reisen: und da ich an der Möglichkeit hiezu verweilte, so schleunig übertäubend,<br />

und fast abentheuerlich reisen, als ich konnte."<br />

Auf dem Schiff kam es für <strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong> förmlich zu einem Erweckungserlebnis.<br />

Die Dynamik des Meeres befreite ihn aus der Enge des Stadtlebens und förderte so<br />

den voranschreitenden Prozess s<strong>einer</strong> Selbstwerdung. Umgeben von der ewigen<br />

Horizontlinie wurde er der feste Mittelpunkt s<strong>einer</strong> Welt.<br />

Er sah sich als "Philosoph auf dem Schiffe“, [...] “unter einem Maste auf dem weiten<br />

Ocean sitzend, über Himmel, Sonne, Sterne, Mond, Luft, Wind, Meer, Regen, Strom,<br />

Fisch, Seegrund philosophieren, und die Physik alles dessen, aus sich herausfinden<br />

zu können."<br />

Dagegen in der Stadt: „Wie klein und eingeschränkt wird da Leben, Ehre Achtung,<br />

Wunsch, Furcht, Haß, Abneigung, Liebe, Freundschaft, Lust zu lernen, Beschäftigung,<br />

Neigung – wie enge und eingeschränkt endlich der ganze Geist“. „Nun trete man<br />

einmal heraus“, erkennt er außerdem, „oder vielmehr ohne Bücher, Schriften,<br />

Beschäftigung und Homogene Gesellschaft werde man herausgeworfen – welch eine<br />

andere Aussicht!“<br />

31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!