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Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...

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aber zum Gesetzgeber jeder menschlichen Wahrheit, mitnichten ihn zum Richter jeder<br />

fremden Denk- und Sinnesart zu erheben.“ (BdH, 4. Sammlung, 46. Brief)<br />

Sehr lesenswert erscheinen mir auch die 36 Paragraphen, in denen <strong>Herder</strong> sein<br />

Idealbild des Charakters der Menschheit formulierte, die hier auf mehreren Seiten<br />

vollständig zitiert werden, da sie die (zum Teil durchaus subjektiv-spekulativen,<br />

aber nichts desto weniger tiefsinnig-bahnweisenden) Gedankengänge des<br />

Geistlichen, vor allem die s<strong>einer</strong> späten Jahre, bestens umreißen (beeidruckend ist<br />

unter anderem wieder der offene und freie Begriff von Christus, dessen Person als<br />

bloßer Mensch gedeutet wird, welcher mit der Übung der Humanität beschäftigt<br />

war - Christus war ja eigentlich auch noch kein Christ, ein solches existierte zu<br />

s<strong>einer</strong> Zeit noch nicht):<br />

"Über den Charakter der Menschheit.<br />

1. Vollkommenheit <strong>einer</strong> Sache kann nichts sein, als daß das Ding sei, was es sein<br />

soll und kann.<br />

2. Vollkommenheit eines einzelnen Menschen ist also, daß er im Kontinuum s<strong>einer</strong><br />

Existenz er selbst sei und werde, daß er die Kräfte brauche, die die Natur ihm als<br />

Stammgut gegeben hat, daß er damit für sich und andre wuchere.<br />

3. Erhaltung, Leben und Gesundheit ist der Grund dieser Kräfte; was diesen Grund<br />

schwächet oder wegnimmt, was Menschen hinopfert oder verstümmelt, es habe<br />

Namen, wie es wolle, ist unmenschlich.<br />

4. Mit dem Leben des Menschen fängt seine Erziehung an; denn Kräfte und Glieder<br />

bringt er zwar auf die Welt, aber den Gebrauch dieser Kräfte und Glieder, ihre<br />

Anwendung, ihre Entwicklung muß er lernen. Ein Zustand der Gesellschaft also,<br />

der die Erziehung vernachlässigt oder auf falsche Wege lenkt oder diese falschen<br />

Wege begünstigt oder endlich die Erziehung der Menschen schwer und unmöglich<br />

macht, ist insofern ein unmenschlicher Zustand. Er beraubt sich selbst s<strong>einer</strong><br />

Glieder und des Besten, das an ihnen ist, des Gebrauchs ihrer Kräfte. Wozu<br />

hätten sich Menschen vereinigt, als daß sie dadurch vollkommenere, bessere,<br />

glücklichere Menschen würden?<br />

5. Unförmliche also oder schiefausgebildete Menschen zeigen mit ihrer traurigen<br />

Existenz nichts weiter, als daß sie in <strong>einer</strong> unglücklichen Gesellschaft von<br />

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