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Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...

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"Fragmente", in denen er das Volkslied hervorhob und den lateinischen Geist der<br />

zeitgenössischen Bildung kritisierte. Bei jener Arbeit fühlte er sich am meisten mit<br />

Martin Luther verbunden, denn dieser habe die deutsche Sprache, “einen<br />

schlafenden Riesen“, aufgeweckt und losgebunden.<br />

<strong>Johann</strong> <strong>Gottfried</strong>s Veröffentlichungen, wie zum Beispiel sein Aufsatz "Der Redner<br />

Gottes" (1765), in dem er sein Idealbild eines Seelsorgers zu Beginn s<strong>einer</strong><br />

Predigertätigkeit in Riga skizzierte, wurden von der Geistlichkeit mit Argusaugen<br />

überwacht, während die Gemeinde vorbehaltlos zu ihm hielt. Der 23-jährige<br />

Referendar war ein gegenüber allen Schichten offener Gesprächspartner und wurde<br />

zur Leitfigur derer, welche gegen die dogmatische Orthodoxie opponieren wollten.<br />

Hier einige Auszüge aus der beeindruckenden Schrift:<br />

"Wo ist der große und seltene Mann, den ich suche? Ich durchgehe die erhabenen<br />

Dichter, denen man Altäre bauet und die Redner“ [...] “, welche mit Einem Wort Krieg<br />

und Frieden, Leben und Tod geben: ich staune und gehe vorüber! -<br />

Ich wandere durch die großen Schauspieler“ [...] “, mit denen jedermann weint und<br />

erlebt, und ergrimmt und zerschmilzt: ich bewundre und gehe vorüber! - Ich komme<br />

an die Weltweisen, die mich mit Schöpfergeist in eine neue Welt, jetzt ist sie politisch,<br />

jetzt philosophisch, entzücken: ich bewundre und gehe weiter. Wo ist der, den ich mit<br />

den Augen suche? Mein Herz schlägt, ich erhebe das Haupt, fliege umher, stehe stille,<br />

und horche, eile, wo ich einen Schall höre, lausche, vergesse alles, und suche - -<br />

’Nach wem suchest du denn, verwirrter Fremdling?’ - Ach! ihr verspottet den Mann:<br />

ich suchte ihn unter Dichtern“ [...] “und Weltweisen und Staatsmännern: und fand<br />

ihn nicht: - den Redner Gottes! -<br />

Gottlob! ich habe nicht umsonst gesucht - gefunden - auch unter uns - mehr als Einen<br />

- wenige zwar gefunden; aber desto theurer sollen sie mir seyn! theurer als bleibende<br />

Nachbarn, die mich bloß lebhaft unterhalten - Redner Gottes! groß im Stillen, ohne<br />

poetische Pracht feierlich“ [...] “, mächtig ohne dramatische Zauberkünste, ohne<br />

gelehrte Vernünftelei weise, und ohne politische Klugheit einnehmend! -“ [...]<br />

“Du mußt sie dir selbst suchen, daß sie dir kostbar werden: “ [...]<br />

“Er stand mitten unter Fremden und Kindern, die sich um ihren Vater zudrängten, um<br />

den Mann, der sich um das Wohl s<strong>einer</strong> Seele bekümmert, der sie kennet nach ihren<br />

Herzen und in ihren Häusern kennt, der ihnen in den Bekümmernissen dieses Lebens<br />

mit Trost beistehet, und ihre Seele in die Ewigkeit gleichsam versorgen soll: den sie<br />

als einen frommen, rechtschaffenen und verständigen Mann kennen: dem jedes Wort<br />

von Herzen geht: der ein Redner Gottes ist!<br />

Er sprach: wie soll ich seine Sprache nennen? Predigt! Nein! das war kein Predigtton,<br />

kein Predigtstyl, kein Predigteingang, kein Predigtthema, keine Predigtform! - War es<br />

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