Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...
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Konsistorialvizepräsident in Weimar (1789 - 1800).<br />
“Nur drei Worte, gnädigste Herzogin, nehme ich mir die Freiheit an Euer Durchlaucht<br />
zu schreiben, ein Kennzeichen meines Lebens und m<strong>einer</strong> glücklichen Ankunft im<br />
hochberühmten Weimar. Den 9. dieses Monats, morgens um zwei Uhr, geschahe<br />
diese ohne andre Festivitäten, als daß der schönste Mond an der einen, die schönste<br />
Morgenröte an der anderen Seite des Himmels stand und die Nacht sehr schön war.<br />
In meinem Hause war alles bereit, mich zu empfangen, nur fehlte der Schlüssel zur<br />
Haustür, mich hereinzulassen, und mußte ich also die Gefälligkeit haben, etwas zu<br />
warten, bis meine Frau vermutlich ihren Liebhaber zur Hintertür hinaus in den Garten<br />
geschafft hatte; da ich denn recht kam und mich alles, groß und klein, mit großer<br />
Freude empfing. Seit der Zeit bin ich hier wie der Abgott Baal: ich esse, trinke, schlafe<br />
und spreche, der deutsche Wein und die deutschen Gerichte tun mir nach m<strong>einer</strong><br />
zweimonatlichen Reise sehr wohl“. [...]<br />
“Hier ist alles, wie es war: Turm, Kirche, mein Haus und so fort stehen noch auf der<br />
alten Stelle; es ist alles, als ob ich gestern abgereiset wäre. Euer Durchlaucht wird es<br />
auch so sein: die ganze Reise dünkt einem ein Traum. Mir ist sie, sosehr ich dort auf<br />
Italien geschimpft habe, ein sehr angenehmer Traum.“ (Brief an Anna Amalia vom<br />
16. Juli 1789)<br />
Nach <strong>Herder</strong>s Ankunft in Weimar waren vor allem Herzogin Luise und Goethe<br />
bemüht, ihren lieben Freund weiterhin in Weimar zu behalten. Letztlich wurde der<br />
Generalsuperintendent von einigen Amtspflichten enthoben, sein Gehalt erhöht und<br />
die Ernennung zum Vizepräsidenten des Ober-Konsistoriums durch den Herzog<br />
erfolgte am 24. August 1789. Er blieb in Weimar.<br />
Jedoch musste er seinen schwer kranken Vorgesetzten - Carl Friedrich Ernst von<br />
Lyncker - häufig vertreten, so dass er seine Produktivität eher steigern musste.<br />
In Frankreich tobten seit Frühjahr 1789 die ersten revolutionären Bewegungen. Die<br />
politisch-militärische Elite des Herzogtums reagierte im Gegensatz zu <strong>Herder</strong>, der<br />
diese Entwicklungen Anfangs lediglich als Reisebehinderung verstand, sehr<br />
alarmiert.<br />
Tatsächlich kam das europäische Staatsgefüge ins wanken. Der<br />
Konsistorialvizepräsident - als Mitglied der Geistlichkeit Bestandteil des politischen<br />
Machtsystems - verfasste nach herzoglicher Weisung im Oktober 1790 einen<br />
Hirtenbrief, in dem er die revolutionären Vorhaben anmahnte. Gemäß einem Befehl<br />
Carl Augusts drohten heimischen Aufständischen Zuchthausstrafen.<br />
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