Johann Gottfried Herder. Versuch einer Biografie. - Robert Matthees ...
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Rom und von allen Landstädten. Selbst Amsterdam ist an Seltenheit nichts gegen sie;<br />
es ist eine Seespinne mit hundert Füßen und Millionen Gelenken. Die Luft bekommt<br />
mir sehr wohl, und die Unruhe, in der alles ist, teilt sich mit, wie auch dieser Brief<br />
zeiget.<br />
In Parma und nachher in Mailand finde ich gewiß Deine Briefe. Nachher geht’s in die<br />
Alpen; für die Schweiz habe ich keinen Raum mehr, weder im Hirn noch im Beutel. An<br />
Heyne habe ich aus Bologna geschrieben. Hier ist der Brief. -<br />
Liebe Kinder! Nun bin ich in solch einem kleinen schwarzen Hause geschwommen,<br />
das man eine Gondel nennt. Es ist lang und schmal, vorn und hinten spitz und sieht<br />
wie ein Frauenpantoffel aus; das viereckte Kämmerchen darauf mit vier Spitzen ist<br />
mit schwarzem Tuch beschlagen, so wie auch die Gondel schwarz ist. Der Gondelier<br />
steht hinten drauf und lenkt die Gondel mit seinem Ruder so geschickt, daß man es<br />
sich kaum denken kann, wenn man’s nicht gesehen hat. Man schwimmt dicht auf<br />
den Wellen so sanft wie in <strong>einer</strong> Wiege und sieht an beiden Seiten große, hohe<br />
Paläste, <strong>einer</strong> dicht am andern; unter den Brücken fährt man wie auf einem Pfeil hin,<br />
daß im größten Gedränge eine Gondel die andre kaum berührt. In manchen ziemlich<br />
engen Kanälen gehen drei Gondeln nebeneinander so schnell vorbei, als wenn man<br />
einander vorüberflöge. Die Damen sitzen mit ihren Herren drin, und sie haben es<br />
zehnmal bequemer, als wenn sie in den Kutschen gerüttelt würden. In Venedig sind<br />
keine Kutschen, alles wiegt sich in Gondeln, was nicht über die Brücken treppauf und<br />
–ab laufen will. Es ist eine sonderbare Stadt, die gleichsam aus der See emporsteigt,<br />
voll Gedränges von Menschen, voll Fleiß und Betrügerei. Es ist mir lieb, daß ich sie<br />
gesehen habe. Morgen geht’s nach Padua, auch zu Wasser, fort; dann weiter hin zu<br />
Lande und endlich zweimal über die Berge, bis ich bei Euch bin und Euch wieder<br />
sehe. Lebt wohl, Ihr Lieben, lebt wohl; ich sehe Euch bald; behaltet mich lieb, wie ich<br />
Euch lieb habe. Gebt alle sechs der Mutter einen Kuß in meinem Namen, und seid<br />
hübsch artig und ihr gehorsam. Lebt wohl, Ihr Lieben.“ (Brief vom 6. Juni 1789)<br />
Am 9. Juli 1789 traf <strong>Herder</strong> - nach elfmonatiger Abwesenheit - wieder in Weimar<br />
ein.<br />
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