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23. Sitzung - Abgeordnetenhaus von Berlin

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<strong>Abgeordnetenhaus</strong> <strong>von</strong> <strong>Berlin</strong> – 15. Wahlperiode <strong>23.</strong> <strong>Sitzung</strong> vom 12. Dezember 2002<br />

(A) (C)<br />

(B)<br />

Sucht in jeder Form ist eines der größten sozialen und<br />

gesundheitspolitischen Probleme, die wir in unserer – und<br />

nicht nur in unserer – Gesellschaft haben, wie die Weltgesundheitsorganisation<br />

festgestellt hat. Das Interessante<br />

dabei ist, dass offensichtlich kein Bereich so emotional<br />

besetzt ist und durch so viele Extreme gekennzeichnet ist<br />

wie die Diskussion um die richtige Drogen- und Suchtpolitik.<br />

Leider – und auch das konnte man heute durchaus<br />

wieder feststellen, bei dem Beitrag <strong>von</strong> Herrn Henkel – ist<br />

dabei meist sehr viel mehr Ideologie denn Erfahrung und<br />

wissenschaftliche Erkenntnis die Grundlage dessen, was<br />

dazu geäußert wird. Die Diskussion um „richtige“ oder<br />

„falsche“ Drogenpolitik wird deshalb so heftig geführt,<br />

weil hierin offensichtlich auch sehr unterschiedliche Auffassungen<br />

über ein richtiges und ein geglücktes Leben<br />

zum Ausdruck kommen. Denn ein Blick in die Presse<br />

zeigt, dass sich das öffentliche Interesse seit Jahren auf<br />

eine relativ kleine Gruppe <strong>von</strong> Drogenabhängigen konzentriert,<br />

nämlich fast ausschließlich auf Konsumentinnen<br />

und Konsumenten <strong>von</strong> Opiaten oder anderen harten oder<br />

inzwischen Modedrogen wie Ecstasy. Es fehlt in dieser<br />

Gesellschaft – das muss man zur Kenntnis nehmen – die<br />

ehrliche öffentliche Diskussion um Gefährdete und Abhängige<br />

<strong>von</strong> legalen Drogen, insbesondere Alkohol und<br />

Tabak.<br />

[Beifall bei der SPD und der PDS]<br />

Es gibt kaum eine Diskussion um die Lebensdramen<br />

durch Alkoholmissbrauch in den Familien, das Ausmaß<br />

zerstörter sozialer Beziehungen, Gewalt, Missbrauch, die<br />

gesellschaftlichen Folgekosten. Dabei ist Alkohol neben<br />

Tabak die am häufigsten konsumierte Droge. Zudem ist<br />

wissenschaftlich erwiesen, dass Tabak und Alkohol in<br />

engem Zusammenhang auch mit dem Konsum <strong>von</strong> illegalen<br />

Drogen steht. Dies gilt insbesondere für Jugendliche.<br />

Ich will die Zahlen aus unserem Drogenbericht nicht<br />

noch einmal wiederholen. Herr Ratzmann hat sie schon<br />

genannt. Auffällig ist, dass wir eine riesig große Zahl<br />

behandlungsbedürftiger Alkoholabhängiger in <strong>Berlin</strong><br />

haben. 10 % der 15- bis 17-Jährigen konsumieren so viel<br />

Alkohol, dass sie dringend behandelt werden müssten,<br />

weil sie gesundheitsgefährdet sind. Auch die Medikamentenabhängigkeit<br />

in <strong>Berlin</strong> ist riesengroß. Dem gegenüber<br />

steht eine relativ kleine Zahl <strong>von</strong> Heroinabhängigen, die<br />

aber unserer besonderen Hilfe bedürfen. Auch wenn klar<br />

ist, dass die alkoholbedingten Todesfälle die Zahl der<br />

Drogentoten bei weitem übertreffen, müssen wir alles tun,<br />

um auch diese Zahl noch deutlich zu reduzieren.<br />

[Beifall bei der SPD und der PDS]<br />

Die legalen Substanzen gelten aber immer noch als<br />

gesellschaftsfähig. Wer nichts trinkt, ist dröge und ungesellig.<br />

Fortschritte gibt es inzwischen wenigstens beim<br />

Umgang mit dem Rauchen. In <strong>Berlin</strong> arbeiten sehr agile<br />

Initiativen wie „Rauchfrei“ oder „Leben ohne Qualm“,<br />

die meine nachhaltige Unterstützung bei ihren Kampagnen<br />

und Aktivitäten erfahren.<br />

[Beifall bei der SPD und der PDS]<br />

1609<br />

Das gilt auch für solche Aktivitäten, die sich zum Beispiel<br />

für ein öffentliches Tabak- und Zigarettenwerbeverbot im<br />

öffentlichen Raum aussprechen, weil hier besonders Kinder<br />

und Jugendliche gefährdet sind. Ich bedauere ein<br />

wenig die Haltung der Bundesregierung zu dem jüngsten<br />

EU-Beschluss.<br />

Abhängige Menschen, und das gilt auch für Drogenabhängige,<br />

sind krank und nicht kriminell, Herr Henkel.<br />

[Beifall bei der PDS –<br />

Vereinzelter Beifall bei der SPD]<br />

Es muss deshalb unser drogenpolitisches Ziel sein, diese<br />

Menschen in unsere Mitte zu nehmen statt sie auszugrenzen.<br />

Das geschieht unter anderem durch die unerträgliche<br />

Doppelmoral, mit der legale und illegale Drogen bewertet<br />

werden. Genau diese Doppelmoral, Herr Henkel, passt zu<br />

der Null-Toleranz-Position, die Sie heute vorgetragen<br />

haben.<br />

[Beifall bei der PDS –<br />

Vereinzelter Beifall bei der SPD –<br />

Beifall des Abg. Ratzmann (Grüne)]<br />

Um Missverständnissen vorzubeugen: Mir geht es nicht<br />

darum, dass alle illegalen Drogen und Rauschmittel legalisiert<br />

werden. Es geht mir allerdings darum, dass auch<br />

beim Konsum illegaler Drogen der Grundsatz Prävention<br />

und Hilfe statt Kriminalisierung gilt.<br />

[Beifall bei der PDS –<br />

Vereinzelter Beifall bei der SPD –<br />

Beifall des Abg. Ratzmann (Grüne)]<br />

Und deshalb hat der weitere Ausbau <strong>von</strong> Prävention<br />

und suchtbegleitender Hilfe für Drogenkonsumentinnen<br />

und Drogenkonsumenten einen wichtigen Platz auf der<br />

politischen Agenda dieses Senats. Ich bin froh, dass die<br />

heutige Debatte das noch einmal nachdrücklich unterstreicht.<br />

Der Senat wird bei der Weiterentwicklung seiner<br />

Drogen- und Suchtpolitik auf die bewährten Strategien<br />

setzen: Schadensminimierung, Prävention und Beratung<br />

und Therapie für Abhängige. In diese Strategie gehört<br />

auch die Einrichtung <strong>von</strong> Gesundheitsräumen oder Drogenkonsumräumen<br />

in <strong>Berlin</strong>. Damit wird deutlich, dass<br />

das ein Teil einer umfassenden Strategie ist. Das will ich<br />

für Lernunwillige hier noch einmal sehr deutlich sagen.<br />

[Beifall des Abg. Over (PDS)]<br />

Ab dem Frühjahr 2003 wird es an vier Standorten in<br />

<strong>Berlin</strong>, in Kreuzberg, Mitte, Charlottenburg und Schöneberg,<br />

diese Drogenkonsumräume geben. Zwei feste werden<br />

eingerichtet, und zwei Standorte werden durch den<br />

Drogenbus versorgt. Die dafür notwendige Verordnung<br />

ist in den letzten Tagen vom Senat beschlossen worden.<br />

Ich finde, das ist ein richtiger Erfolg <strong>von</strong> Rot-Rot, und ich<br />

bin froh, dass dieser Erfolg in einem Bereich erreicht<br />

worden ist, in dem es wirklich um Mitmenschlichkeit<br />

geht.<br />

[Beifall bei der PDS –<br />

Beifall des Abg. Gaebler (SPD)]<br />

(D)

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