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23. Sitzung - Abgeordnetenhaus von Berlin

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<strong>Abgeordnetenhaus</strong> <strong>von</strong> <strong>Berlin</strong> – 15. Wahlperiode <strong>23.</strong> <strong>Sitzung</strong> vom 12. Dezember 2002<br />

(A) (C)<br />

(B)<br />

rungswürdig halten – bitte schön, in Ordnung! Herr Lindner<br />

hat auf einige Widersprüche hingewiesen, die auch<br />

ich in einzelnen Maßnahmen sehe. Aber bitte, meine<br />

Damen und Herren <strong>von</strong> der CDU: Auch wenn das in der<br />

Öffentlichkeit oft anders gesehen wird, in der Sache haben<br />

Sie Unrecht, wenn Sie täglich behaupten, die Bundesregierung<br />

betreibe Steuererhöhungen.<br />

[Beifall bei den Grünen und der SPD –<br />

Zurufe <strong>von</strong> der CDU]<br />

Das hilft Ihnen vielleicht bei den anstehenden Landtagswahlen,<br />

aber in der Sache ist es unwahr. Die Wahrheit ist:<br />

Die Bundesregierung hat bis heute keine einzige echte<br />

Steuererhöhung vorgeschlagen.<br />

[Beifall bei den Grünen und der SPD –<br />

Zurufe <strong>von</strong> der CDU und der FDP]<br />

– Moment! Die Grundlinie unserer Fraktion hier im <strong>Abgeordnetenhaus</strong><br />

lautet in der Steuerpolitik seit langem:<br />

Steuersätze runter, Ausnahmetatbestände – und darüber<br />

reden wir jetzt gerade – beseitigen!<br />

Wir können der Bundesregierung bestenfalls vorwerfen,<br />

dass sie die Beseitigung der Ausnahmetatbestände<br />

schon mit der Steuerreform 2000 hätte vornehmen sollen.<br />

Dann müsste sie das nicht jetzt nachholen, und der Zusammenhang<br />

des Subventionsabbaus, der jetzt in Rede<br />

steht, mit der allgemeinen Steuersenkung, die diese Regierung<br />

2001 schließlich gemacht hat und die sie für 2004<br />

und 2005 ebenfalls fest beschlossen hat – ganz im Unterschied<br />

zu dem, was Sie in den 16 Jahren der Kohl-<br />

Regierung geleistet haben –, wäre offensichtlicher als im<br />

Augenblick. Jetzt kommt das leider als getrennte Maßnahme.<br />

Das haben wir hier schon einmal ganz offen in<br />

einem Antrag bedauert. Deswegen sind wir belacht worden,<br />

und es hieß: Dann gehen Sie doch zu Ihrer Regierung<br />

und beschweren Sie sich, dass das so passiert ist! – Aber<br />

ich sage Ihnen: Diese gesamte Kampagne, die Sie führen,<br />

hätten sie gar nicht führen können, wenn das in einem<br />

Zug gemacht worden wäre. – Dennoch halte ich das, was<br />

jetzt nachgeholt wird – bei der Körperschaftsteuer beispielsweise<br />

haben wir es hier diskutiert –, für vollständig<br />

berechtigt und notwendig. Man muss das jetzt nachholen.<br />

[Beifall bei der PDS]<br />

Sehr skeptisch bin ich allerdings hinsichtlich einer<br />

Politik, die glaubt, die Einnahmen des Staates zunächst<br />

einmal aktiv senken zu können, um dann darauf zu hoffen,<br />

dass sich die Lücke praktisch automatisch durch<br />

Wirtschaftswachstum wieder schließt. Das ist die Theorie<br />

<strong>von</strong> Ihnen, Herr Lindner. „Voodoo-Ökonomie“ habe ich<br />

dazu in der letzten Legislaturperiode gesagt, denn es handelt<br />

sich um eine Glaubenssache. Auch wenn das noch so<br />

viele Professoren erzählen, so ist das eine Glaubensaussage,<br />

die durch nichts bewiesen ist – weder empirisch noch<br />

theoretisch.<br />

[Beifall bei den Grünen –<br />

Vereinzelter Beifall bei der PDS]<br />

Herr Kurth, der diese Auffassung auch beim letzten<br />

Mal in der Debatte zur Vermögensteuer vertreten hat, hat<br />

1656<br />

in seiner Zeit als Finanzsenator selbst Erfahrungen damit<br />

sammeln können. Weder nach der Steuerreform <strong>von</strong> Theo<br />

Waigel Mitte der 90er Jahre noch nach der Steuerreform<br />

<strong>von</strong> Rot-Grün hat sich der behauptete Refinanzierungseffekt<br />

eingestellt. Stattdessen haben wir alle – und das ist<br />

doch eine unbestreitbare Tatsache – einen dauerhaften<br />

Einbruch <strong>von</strong> insgesamt rund 500 Millionen € an Einnahmen<br />

in der <strong>Berlin</strong>er Haushaltskasse entdecken können<br />

– <strong>von</strong> der Vermögensteuer über die Gewerbesteuer bis hin<br />

zu der inzwischen negativen Körperschaftsteuer. Sie<br />

scheinen aber weiter daran zu glauben, dass sich dieser<br />

Einnahmeeinbruch letztlich segensreich auf Wirtschaft<br />

und Beschäftigung auswirkt und sich quasi <strong>von</strong> selbst<br />

wieder ausbügelt. Herr Kurth hat das offensichtlich auch<br />

geglaubt, und vielleicht hat er deshalb in seiner aktiven<br />

Amtszeit die <strong>von</strong> ihm zu verantwortenden Haushalte<br />

notorisch unrealistisch veranschlagt. Die Defizite, die<br />

dabei entstanden sind, kann man heute in unserem Schuldenberg<br />

besichtigen.<br />

Herr Dietmann und vor allem Herr Lindner, Sie sagen<br />

uns das jetzt wieder! Ich finde, wie bei allen Vertretern<br />

der Theorie vom automatischen Wirtschaftsaufschwung<br />

durch Steuersenkung hat das irgendwie etwas Religiöses,<br />

etwas zutiefst Religiöses. Denn wenn sich der erwartete<br />

Effekt nicht einstellt – und er hat sich bislang nicht eingestellt<br />

–, dann wird einfach behauptet, die Steuersenkungsdosis<br />

sei zu gering gewesen.<br />

[Gelächter und Beifall bei der FDP]<br />

Und dann wird gesagt, man muss die Dosis nur erhöhen,<br />

dann würde sich der behauptete Effekt aber ganz bestimmt<br />

einstellen.<br />

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]<br />

Und wenn das dann wieder nichts wird, ist das nicht etwa<br />

ein Anlass, einmal die Theorie zu überprüfen, sondern<br />

dann wird eine noch höhere Dosis der Steuersenkungsdroge<br />

gefordert. Das geht alles frei nach dem Motto:<br />

„Wenn sich die Wirklichkeit nicht nach der Theorie richten<br />

will, um so schlimmer für die Wirklichkeit.“ Ich kenne<br />

das aus dem Marxismus <strong>von</strong> früher, und Ihr neoliberales<br />

Gebäude hat verdammt viele Ähnlichkeiten in dieser<br />

Frage, sich selbst gegen jede Wirklichkeitswahrnehmung<br />

und jedes Gegenargument zu immunisieren.<br />

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS –<br />

Zuruf des Abg. Borgis (CDU)]<br />

Aus diesem Gesagten, meine Damen und Herren <strong>von</strong> der<br />

CDU, werden Sie verstehen, dass wir trotz aller Kritik,<br />

die die Grünen auch auf Bundesebene an einzelnen Maßnahmen<br />

der Regierung haben und auch geäußert haben,<br />

Ihrem Antrag nicht zustimmen können und auch nicht<br />

zustimmen werden.<br />

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS –<br />

Zuruf <strong>von</strong> der CDU: Das ist aber schade!]<br />

Vizepräsidentin Michels: Danke schön! – Weitere<br />

Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist sofortige Abstimmung<br />

beantragt, und damit stelle ich diesen Antrag<br />

zur Abstimmung. Wer diesem Antrag seine Zustimmung<br />

(D)

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