23. Sitzung - Abgeordnetenhaus von Berlin
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<strong>Abgeordnetenhaus</strong> <strong>von</strong> <strong>Berlin</strong> – 15. Wahlperiode <strong>23.</strong> <strong>Sitzung</strong> vom 12. Dezember 2002<br />
(A) (C)<br />
(B)<br />
Präsident Momper: Danke schön, Herr Kollege<br />
Kittelmann! – Für die Fraktion der SPD hat nunmehr der<br />
Kollege Zimmermann das Wort zu Europa. – Bitte schön!<br />
Zimmermann (SPD): Herr Präsident! Meine Damen<br />
und Herren! Wir haben es heute mit einem Novum zu tun,<br />
und zwar in zweierlei Hinsicht: Wir haben zum ersten<br />
Mal als Europaausschuss <strong>von</strong> unserem Selbstbefassungsrecht<br />
Gebrauch gemacht und Ihnen eine Beschlussempfehlung<br />
vorgelegt. Zudem haben wir ein interfraktionelles<br />
Vorgehen vereinbart und konnten die Gemeinsamkeit<br />
aller Fraktionen herstellen. Leider ist die Fraktion der<br />
Grünen in letzter Minute abgesprungen – zu Unrecht, wie<br />
ich meine. Das wäre nicht nötig gewesen. Darauf können<br />
wir später noch eingehen.<br />
Die Beschlussempfehlung geht auf einen Auftrag des<br />
Präsidenten zurück, der uns nach einem Treffen mit anderen<br />
Landtagspräsidenten bat, uns der Sache anzunehmen.<br />
Wir haben das in der Ihnen vorliegenden Weise getan.<br />
Die Dringlichkeit besteht, weil die Präsidenten der Landtage<br />
am nächsten Montag zusammenkommen und über<br />
eine gemeinsame Position der deutschen Landtage zu dem<br />
Verfassungsgebungsprozess auf EU-Ebene beraten wollen.<br />
Die heutige Beschlussfassung ist demnach <strong>von</strong> relativ<br />
großer Bedeutung.<br />
Es ist höchste Zeit, dass wir das Thema der künftigen<br />
europäischen Verfassung hier auf der Tagesordnung haben,<br />
denn die Arbeit des Verfassungskonvents unter der<br />
Leitung <strong>von</strong> Giscard d’Estaing tritt in eine entscheidende<br />
Phase. In dieser Phase muss das <strong>Berlin</strong>er Landesparlament<br />
Position beziehen – jedenfalls soweit es um die uns<br />
betreffenden Fragen geht. Herr Kittelmann hat darauf<br />
hingewiesen, dass wir nicht den großen Wurf zur europäischen<br />
Verfassung verabschieden können. In diesem Fall<br />
hätten wir einen ziemlich langen Antrag vorlegen müssen.<br />
Wir beschränken uns vielmehr auf die Punkte, die für das<br />
Land <strong>Berlin</strong> entscheidend sind.<br />
Wir wollen zwei Regelungen erreichen: Wir wollen in<br />
der europäischen Verfassung verankern, dass das Selbstverwaltungsrecht<br />
der Kommunen und die Kernkompetenzen<br />
der Länder gesichert bleiben. Wir wollen nicht erst<br />
hinterher in einem Verfahren bei der europäischen Rechtsetzung<br />
darauf achten müssen, dass unsere Rechte gewahrt<br />
werden, sondern in der künftigen europäischen<br />
Verfassung soll <strong>von</strong> vorne herein festgelegt sein, dass die<br />
Kernkompetenzen <strong>von</strong> Ländern und Kommunen gewahrt<br />
sind – quasi als europäisches Recht. Das ist das entscheidende<br />
Anliegen, das wir damit verbinden. Wir wollen<br />
vermeiden, dass wir eines Tages aufwachen und feststellen,<br />
dass wichtige Zuständigkeiten verloren gegangen<br />
sind.<br />
Unser zweites Anliegen ist, dass wir nach der Verabschiedung<br />
der Verfassung – wenn sie kommt, was ich<br />
hoffe – in einem europäischen Rechtsetzungsverfahren<br />
Instrumente an die Hand bekommen, die es uns erlauben,<br />
eine Art Subsidiaritätskontrolle auszuüben. Wir wollen<br />
1631<br />
die wesentlichen Rechtsetzungsorgane vorab in einem<br />
nachvollziehbaren Verfahren betrachten und sicherstellen,<br />
dass wir notfalls die Reißleine ziehen können, wenn unsere<br />
Kernkompetenzen berührt sind.<br />
In diesen beiden Punkten sind wir uns wahrscheinlich<br />
mit den anderen Landesparlamenten einig, denn das sind<br />
die Mindestanforderungen, die wir stellen müssen, um<br />
unsere Kompetenzen zu sichern.<br />
Noch wichtiger als das, was wir hier beschließen, ist<br />
allerdings das, was wir nicht beschließen. Ich zähle die<br />
Punkte kurz auf, weil sie in vielen anderen Diskussionen<br />
– auch in anderen Landtagen – eine wichtige Rolle spielen.<br />
Wir nehmen sie ausdrücklich nicht auf. Zum Beispiel<br />
betrifft das die Forderung einer Kompetenzkompetenz der<br />
EU. Wir wollen, dass es beim Prinzip der begrenzten<br />
Einzelermächtigung bleibt und die EU die Kompetenzen<br />
wahrnimmt, die sie tatsächlich durch Hoheitsakte übertragen<br />
bekommt. Wir wollen auch keine Blockadekammer,<br />
die andere wollen. Das wäre eine dritte Kammer, die die<br />
Kompetenzen prüfen würde. Wir lehnen ab, was die Bayern<br />
und Thüringer ins Spiel gebracht haben. Wir wollen<br />
auch keine justizielle Vorabkontrolle, beispielweise eine<br />
Vorabanrufung des Europäischen Gerichtshofs, um zu<br />
entscheiden, ob eine Kompetenz verletzt ist. Das würde<br />
den politischen Entscheidungsprozess entscheidend hemmen.<br />
Wir wollen keine Rückübertragung <strong>von</strong> Hoheitsrechten<br />
auf die Länder. Das wird sowieso nicht kommen.<br />
Es wird eher in die andere Richtung gehen, nämlich es<br />
werden mehr Hoheitsrechte auf EU-Ebene verlagert. Das<br />
ist auch richtig.<br />
Zusammengefasst geht es uns darum, den Euroskeptikern,<br />
die hauptsächlich aus den südlichen Bundesländern<br />
kommen, ein deutliches Gegensignal zu setzen. Dass wir<br />
das gemeinsam tun, macht diesen Beschluss so wertvoll<br />
und wichtig für die spätere Diskussion.<br />
Wir setzen auf die europäische Integration und die<br />
EU-Osterweiterung. Ich gehe da<strong>von</strong> aus, dass die Grünen<br />
diesen Weg mitgehen wollen. Ich bitte sie zu überlegen,<br />
ob sie nicht doch den vorliegenden Formulierungen zustimmen<br />
können.<br />
Wir beschäftigen uns lediglich mit Mindestanforderungen.<br />
Wir reden nicht über die Ziele der EU, die Grundrechte<br />
und die institutionelle Reform. Das sind Dinge, die<br />
an anderer Stelle ausführlich diskutiert werden müssen.<br />
Wir müssen dazu unseren Beitrag leisten. Wenn wir dies<br />
jetzt getan hätten, wären wir nicht schnell genug zu einem<br />
Ergebnis gekommen.<br />
Zu den Zielen eine Anmerkung aus dem Blickwinkel<br />
der SPD: Das Europa der Bürgerinnen und Bürger wird<br />
nur ein solches sein, wenn es ein europäisches Sozialmodell<br />
gibt und wenn wir eine soziales Europa haben. Wir<br />
werden versuchen, das auf Bundes- und Landesebene<br />
durchzusetzen. Diese Auseinandersetzung steht uns noch<br />
bevor. Wir werden sie mit Engagement und im Sinne<br />
(D)