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Freunde und Feinde

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Personen, über die berichtet wurde, wurde jeweils nur der ersten Buchstaben mit der Maschine geschrieben,<br />

der Rest per Hand (ABL H 15).<br />

Durch zielgerichteten Einsatz von zuverlässigen, ehrlichen IM der KD Leipzig-Stadt konnten<br />

nachfolgende Erkenntnisse zum sog. Friedensgebet am 2.5.1988, 17.00 Uhr, in der Nikolaikirche<br />

erarbeitet werden. [/] Durch die Quellen wird eingeschätzt, daß ca. 1000 Personen, (Kirche unten voll<br />

besetzt <strong>und</strong> erste Empore teilweise), anwesend waren. Eröffnet <strong>und</strong> beendet wurde das sog. Friedensgebet<br />

durch Pfarrer Dr. Dr. [sic!] Berger, Matthias [...]. B. führte aus, daß in Kirchenräumen das Fotografieren<br />

verboten sei. Dies gelte für „Hobby- <strong>und</strong> Berufsfotografen“. Wer fotografieren möchte, benötigt dazu die<br />

Genehmigung des verantwortlichen Pfarrers. B. verwies darauf, daß im Anschluß an das Gebet<br />

Gesprächsmöglichkeiten unter Leitung seiner Person, Pfarrer Wugk [...] <strong>und</strong> Pfarrer Bartels [...] bestehen,<br />

ohne ein Thema für diese Gesprächsr<strong>und</strong>en vorzugeben. Das „Friedensgebet“ <strong>und</strong> die Fürbitten wurden<br />

durch 4 Mitglieder der „Solidarischen Kirche“ gestaltet. Eine Identifizierung dieser Personen ist nach<br />

Lichtbildvorlage bei den eingesetzten IM möglich. Eine männliche Person beschäftigte sich mit dem<br />

Nichterscheinen von Kirchenzeitungen <strong>und</strong> erläuterte die Artikel, die staatlicherseits nicht erwünscht<br />

sind 198. Eine weibliche Person199<br />

, ca. 22 - 25 Jahre, lange rote Haare, untersetzte Gestalt sprach von ihren<br />

Eindrücken <strong>und</strong> Ängsten, die sich aus ihrer Arbeit, Freizeit, Wohn- <strong>und</strong> <strong>Fre<strong>und</strong>e</strong>skreis ergeben. Dabei<br />

sprach sie insbesondere über die Depressionen, die sich in ihrem <strong>Fre<strong>und</strong>e</strong>skreis breitmachen, unter denen,<br />

die ausreisen wollen, aber auch unter den Zurückgelassenen. Sie hofft, daß es ihren <strong>Fre<strong>und</strong>e</strong>n in der BRD<br />

besser geht, weiß aber, daß es nicht immer so ist. Sie wird in der DDR bleiben, weiter die Hände ringen,<br />

d.h. sich mit den tagtäglichen Problemen auseinandersetzen. Ihr fällt es schwer, neue <strong>Fre<strong>und</strong>e</strong> zu finden,<br />

da viele weggehen. Ängste hat sie auch wegen ihren Wohn- <strong>und</strong> Umweltbedingungen. Diese Person<br />

bestritt den größten Teil des „Friedensgebetes“. In den Fürbitten wurde für die in die NVA eingezogenen<br />

Personen <strong>und</strong> Verweigerer200 sowie für die in die BRD übersiedelten <strong>und</strong> die ÜSE in der DDR gebetet.<br />

Eine weibliche Person sagte, „ich wünsche mir, daß nicht so viele das Land verlassen“. Umrahmt wurde<br />

das Gebet durch das jüdische Lied „evenn Schalom elechem“ (Wir wollen Frieden haben) <strong>und</strong> ein Lied<br />

mit dem Titel „Füreinander“ 201 , welches durch eine Quelle Krawczyk zugeordnet wird. Das eigentliche<br />

„Friedensgebet“ wurde ohne jegliche Bezüge zum 1. Mai in Leipzig <strong>und</strong> Berlin beendet.<br />

Öffentlichkeitswirksame Handlungen gingen vom „Friedensgebet“ nicht aus <strong>und</strong> wurden nach Kenntnis<br />

der Quelle nicht geplant.<br />

Zu den einzelnen Teilnehmern konnten folgende Erkenntnisse erarbeitet werden: Dr. [... geschwärzt]<br />

(ÜSE) [...] Um den K. sammelten sich vor Beginn des Gebetes ca. 15 Personen, um Beratung zu Fragen<br />

der Ausreise zu erhalten. Durch den K. wurde über ein Gerücht gesprochen, daß eine gesetzliche<br />

Regelung geschaffen werden soll zur Praxis der Entgegennahme von ÜSE durch staatliche Organe. Nach<br />

dieser Regelung sollen zu Personen, deren erster Antrag auf Übersiedlung abgewiesen wurde, bei<br />

198 Einige Ausgaben durften überhaupt nicht erscheinen, bei anderen durften bestimmte Artikel nicht erscheinen. So<br />

erschien „Die Kirche“ mit weißen Flächen, an den Stellen nichtgenehmigter Artikel. Am 17.04.1988 übergab das<br />

Presseamt der DDR sogar einen „Tabukatalog“ für die kirchliche Berichterstattung. Darin waren u.a. schulische<br />

Erziehung, Wehrdienstverweigerung, Energiepolitik <strong>und</strong> Menschenrechte enthalten. Im Mai-Heft der Zeitschrift<br />

der AGU „Streiflichter“ wurde über die Zensur-Maßnahmen berichtet <strong>und</strong> die Artikel, die in „Die Kirche“ im<br />

April nicht erscheinen durften, abgedruckt. Außerdem findet sich dort ein Interview mit dem damaligen<br />

Chefredakteur von „Die Kirche“, G. Thomas.<br />

199 gemeint ist B. Schade<br />

200 Auf der Dienstversammlung der BV des MfS sagte Hummitzsch, daß das MfS vorschlagen könne, wer von den<br />

Wehrpflichtigen „zuerst drankommt“ <strong>und</strong> bezeichnete die Einberufung als eine „Maßnahme um das feindliche<br />

Potential zu reduzieren“ (BStU Leipzig AB 3837, 44b+45a). Da das „feindliche Potential“ im allgemeinen den<br />

Wehrdienst verweigerte, bedeutete das eine Vielzahl von Verhaftungen. Hummitzsch rechnete mit weit über 100<br />

Wehrdienstverweigerern (WDV), die einberufen bzw. inhaftiert werden sollten. Die Einberufung wurde vor den<br />

1. Mai gelegt, um diesen „abzusichern“. Der AKG u.a. Gruppen richteten über den 1. Mai ein Kontaktbüro ein,<br />

wo die Informationen über die Inhaftierungen gesammelt wurden. Zu Verfahren gegen WDV kam es 1988 nicht,<br />

nach einigen Tagen wurden die WDV wieder freigelassen (s.a. G. Hildebrand, 130).<br />

201 Den Herausgebern ist nicht klar, welches Lied gemeint sein soll.<br />

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