Freunde und Feinde

Denn Menschen, die direkt mit dem „Gegner“ in Berührung kamen, mußten weitestgehend immun sein
für dessen Argumentation: Bewußtseinsmanipulation der Aktivisten der Differenzierungsprozesse ist die
Voraussetzung für den nächsten Schritt, die Operationalisierung dieser Strategie. Konzeptionelle
Überlegungen dazu bietet eine Schrift dieser Institution 10 , es heißt dort: „Wenn das bisher Dargelegte
[Ausführungen zur ‚historischen Herausbildung des gewaltfreien Widerstandes’ und dazugehörige
‚operative Erkenntnisse’] gegenwärtige und in nächster Zeit zu erwartende Vorgehen der feindlichnegativen
Personenzusammenschlüsse veranschaulicht und deutlich wird, daß durch eine erfolgreiche,
politisch-operative Arbeit alle Formierungsabsichten des Feindes von vornherein zu stören und zu
unterbinden sind, um alle Eskalationsabsichten aus vorbeugender Sicht im Keim zu ersticken, soll der
Vollständigkeit halber nur kurz erwähnt werden, daß die Verfechter des gewaltfreien Widerstandes mit
sogenannten Durchbruchsschlachten und Massenbewegungen weitere Eskalationsstufen vorgeben, in
dessen Verlauf es zu offenen konterrevolutionären Attacken kommen soll.“ Und: „Politisch-operative
Maßnahmen ... dürfen in der Endkonsequenz nicht ihr Image stärken, und Maßnahmen der Zersetzung
feindlich-negativer Zusammenschlüsse müssen mit hoher gesellschaftlicher Wirksamkeit die Auflösung
bewirken, ohne daß es zu Märtyrer-Effekten kommt.“ 11
Das vorliegende Unterrichtsmaterial zeigt, daß wissentlich mit falschen Behauptungen gearbeitet wird,
denn „Durchbruchsschlachten“ gehören keinesfalls zum Repertoire des gewaltfreien Widerstandes.
Darüber hinaus wurde versucht, aus den Schlappen um die Durchsuchung der Umweltbibliothek und um
die Affäre anläßlich der Demonstration für Luxemburg und Liebknecht zu lernen.
Die nächste Ebene - im Anschluß an die Ausbildung der Akteure -, die im Prozeß der Differenzierung und
Bewußtseinsmanipulation folgte, betraf die Umsetzung in Strategien innerhalb der Sicherheitsorgane. In
diesem Stadium stand die eigentliche Differenzierung im Mittelpunkt, welche die Spaltung der
oppositionellen Kräfte zum Ziel hatte und einherging mit Diskreditierung, Verunsicherung und Isolierung.
Für den Bereich der Kirchen ist dies in einem Rundschreiben Mielkes 12 aus dem Jahre 1978
folgendermaßen fixiert: „Auf der Grundlage der ‚Bearbeitungskonzeption zur weiteren politischoperativen
Bearbeitung politisch-klerikaler Kräfte in der DDR ...’ vom 4. 3. 1975 sind verstärkt
qualifizierte inoffizielle Mitarbeiter in Spitzenpositionen (leitende und mittlere Ebene) sowie in
theologischen Ausbildungsstätten zu schaffen. Durch eine qualifizierte politisch-operative Arbeit ist zu
gewährleisten, daß der Differenzierungsprozeß in den Kirchen und Religionsgemeinschaften so
vorangetrieben wird, damit die realistisch denkenden Kräfte noch stärker an die humanistische Politik
unserer Partei herangeführt, die Schwankenden gefestigt und feindlichnegative Personen gespalten und
paralysiert werden.“
In der vorliegenden Dokumentation zu den Friedensgebeten in Leipzig ist dann der nächste Wirkungskreis
dieser geheimdienstlichen Praxis anzutreffen - sie erscheint als die sämtliche Handlungen koordinierende
Matrix. Hingewiesen sei hier - auch wiederum exemplarisch - auf die Kontroverse des
Bezirkssynodalausschusses mit der Initiativgruppe „Frauen für den Frieden“. Die Koordinierung aller
Maßnahmen erfolgte im ZOV „Wespen“ (MfS XV 4113/85). Es handelte sich dabei um einen
Frontalangriff auf eine kleine Frauengruppe, der von den Sicherheitsorganen selbst folgendermaßen
beschrieben wurde 13 : „Zur Gewährleistung der weiteren zielgerichteten, effektiven und umfassenden
Bearbeitung der feindlich-negativen Führungskräfte ist die weitere Heranführung und Einführung
geeigneter inoffizieller Quellen notwendig. Dazu wird unter anderem die über Schlüsselpositionen
zielgerichtet vorbereitete Veranstaltung im ‚Club der Intelligenz’ Leipzig genutzt. Darüber hinaus werden
10 Hochschuldirektstudium Rechtswissenschaften: Spezialisierungsrichtung 2; Komplex IV; Lesematerial: Die
Nutzung des gewaltfreien Widerstandes durch Kräfte politischer Untergrundtätigkeit. VVS-o001; JHS-Nr.:
34/89.
11 Ebd. S. 44
12 Rundschreiben Mielkes vom 19. 4.1978 als: „Information über das Gespräch des Generalsekretärs des ZK der
SED ... Honecker, mit dem Vorstand der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR am 6. 3.
1978 und einigen sich daraus ergebenden politisch-operativen Problemen.“ Als VVS MfS o009 Nr.: 30/78. In:
BesierJWolf (1991), 301 f.
13 Vgl. B V für Staatssicherheit, Abteilung XX: Quartalsberichterstattung U86 vom 27. März 1986 (ABL H 10)
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