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Freunde und Feinde

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<strong>und</strong> mit dem Begriff Differenzierungsprozeß belegte, meinte explizit: Unfrieden schaffen! Die Perversion<br />

dieses Unterfangens ist in der vorliegenden Materialsammlung besonders augenscheinlich, da es sich in<br />

Auseinandersetzung mit der kirchlichen Friedensbewegung in Leipzig äußerte: Frieden wurde in den<br />

Friedensgruppen nicht einfach als Abwesenheit von Krieg gesehen, nicht als die Friedhofsstille der Lüge<br />

<strong>und</strong> des feigen Schweigens. Nein, der Begriff des Friedens wurde aus der Fülle des biblischen Schalom<br />

abgeleitet: als von Gott her kommende Gemeinschaft, die untrennbar aufruht auf Gerechtigkeit <strong>und</strong><br />

Solidarität.<br />

In den hier gebotenen Texten staatlicher Institutionen, besonders der Staatssicherheit, taucht der Terminus<br />

Differenzierungsprozeß häufig auf, <strong>und</strong> seine Schlagrichtung ist unverkennbar. Dennoch soll an dieser<br />

Stelle das dahinterstehende Phänomen beleuchtet werden. Auf der rein operativen Ebene handelte es sich<br />

um ein konzertiertes Vorgehen, welches die Zersetzung des Gegners - hier der Kirche - zum Ziel hatte.<br />

Zersetzung meinte, daß diejenigen Personen <strong>und</strong> Gruppen, die in bestimmten Belangen als „brauchbar“<br />

eingeschätzt werden konnten, abgedrängt wurden von solchen, die störend wirkten. Dabei war kein Mittel<br />

zu schade. Gerüchte 7 wurden verbreitet, mißliebige Personen wurden diskreditiert, Konflikte wurden<br />

geschürt, Ereignisse wurden inszeniert, die Bloßstellungen <strong>und</strong> Zerwürfnisse zur Folge hatten. In der<br />

vorliegenden Dokumentation ist dies besonders gut am Vorgehen gegen die Initiativgruppe „Frauen für<br />

den Frieden“ <strong>und</strong> gegen Pfarrer Christoph Wonneberger (vgl. Dokumente: 22, 23, 27f.) zu verfolgen.<br />

Diese formale Seite ist mittlerweile zur Kenntnis genommen 8 , nicht aber die damit einhergehende<br />

Manipulation der Weltwahrnehmung. Wie im vorhergehenden Punkt angedeutet wurde, ist Weltdeutung<br />

<strong>und</strong> Wirklichkeitsinterpretation kein Prozeß, der nach biologisch-mechanistischen Gesetzen verläuft,<br />

sondern es ist eine in lebensweltliche Bezüge eingeb<strong>und</strong>ene Wirklichkeitskonstruktion. Diese ist stets<br />

abhängig von kulturellen Deutungsmustern <strong>und</strong> ist überformt von Ideologien. Herrschende versuchten<br />

fraglos zu allen Zeiten, Einfluß auf diesen Prozeß zu nehmen. Was aber die Staatsicherheit in der DDR<br />

inszenierte, scheint einer anderen Qualität anzugehören. Ihr gelang, was der herrschenden Ideologie<br />

versagt blieb: die Differenzierung, sprich Entzweiung <strong>und</strong> Verfeindung oppositioneller Gruppierungen mit<br />

noch jetzt anhaltender Wirkung. Bemerkenswert an diesem Prozeß ist, daß er in den eigenen Reihen<br />

begann 9 <strong>und</strong> sich fortsetzte über alle möglichen Schattierungen der Abhängigkeit <strong>und</strong> des Dissens. An<br />

dieser Stelle ist es zwar nicht möglich, diese Prozeß-Struktur angemessen darzustellen, aber es soll<br />

zumindest auf dieses Ineinandergreifen hingewiesen werden. Selbstverständlich ist das faktisch nicht<br />

losgelöst zu sehen von der Gesellschaft <strong>und</strong> auch nicht von der lebensweltlichen Bewußtseinsbildung.<br />

Aber meines Erachtens liegt hier ein Phänomen vor, was nicht konturlos im Begriff der Ideologie<br />

aufgelöst werden darf. Denn es ist nicht unwesentlich, mittels welcher Strategien die Herrschaft erhalten<br />

wird bzw. Ideologien implantiert werden. Ich sehe darin letztlich die Voraussetzung zu einer<br />

differenzierten Kenntnisnahme, Aufarbeitung <strong>und</strong> Auseinandersetzung mit den Erscheinungen<br />

stalinistischer Machtausübung. Andernfalls wären weder kulturspezifische Unterschiede für die jeweiligen<br />

Staaten auszumachen noch individuelle Schuldanteile bzw. Rechtfertigungen zu benennen. Es ist in<br />

diesem Zusammenhang lehrreich, einen Blick in „Kaderschmieden“ des Regimes zu werfen, wie sie<br />

beispielsweise mit der Juristischen Hochschule in Potsdam bekannt sind. Dort wurde zielgerichtet auf das<br />

Bewußtsein der späteren Protagonisten des Systems zugegriffen. Erklärtes Ziel war es, „positive<br />

Einstellungen zur Partei der Arbeiterklasse“ zu entwickeln. Auch dort schreckte man nicht vor Lügen,<br />

Verfälschungen <strong>und</strong> Druck zurück: die Studenten erfuhren am eigenen Leib, was sie später an andere<br />

weitergeben sollten.<br />

7 Diese Aufzählung mag banal klingen. Wir wissen aber heute, daß hiermit in rücksichtlos-geplanter Weise<br />

Menschen vernichtet werden sollten <strong>und</strong> wurden. Die Stasi-Krake (<strong>und</strong> dies soll in keiner Weise die Spezies<br />

„Tintenfisch“ diskreditieren) schreckte dabei vor keinem Tabu zurück. Es sind mir Fälle bekannt, wo selbst die<br />

noch nicht schulpflichtigen Kinder Oppositioneller systematisch ausgespäht, analysiert <strong>und</strong> verleumdet wurden.<br />

8 Vgl. dazu: STASI intern. Macht <strong>und</strong> Banalität. Leipzig 1991, bes. S. 198 ff.<br />

9 Auch hinter dieser Behauptung verbergen sich menschliche Tragödien, denen bislang kaum Beachtung geschenkt<br />

wurde. Aber gerade die solchermaßen getäuschten <strong>und</strong> unter Druck gesetzten offiziellen <strong>und</strong> inoffiziellen<br />

Mitarbeiter der Stasi fühlen sich nun doppelt betrogen, wie ich in zahlreichen Gesprächen erfahren konnte. Von<br />

einer Analyse gerade dieser Grauzone wird der Fortgang der kollektiven <strong>und</strong> individuellen<br />

Vergangenheitsaufarbeitung nicht unwesentlich abhängen.<br />

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