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Freunde und Feinde

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die gottesdienstliche Handlung zu beenden, eine spontane Reaktion auf die vorangegangenen Ereignisse in<br />

der Kirche. Ich sehe darin kein vorsätzliches Vergehen. Meine zweifelnde Anfrage im Hinblick auf die<br />

Berechtigung Ihrer Begründung bezieht sich auf die angebliche „Beeinträchtigung der öffentlichen<br />

Ordnung <strong>und</strong> Sicherheit“ <strong>und</strong> die „Störung des sozialistischen Zusammenlebens der Bürger“. Soweit ich<br />

mich erinnern kann, war zur Zeit des Verlassens der Kirche der Nikolaikirchhof menschenleer <strong>und</strong> zudem<br />

von zwei Baustellen begrenzt. Auch wurden der Straßenverkehr <strong>und</strong> die Anwohner in ihrem Privatleben in<br />

keinster Weise behindert. Mir ist nicht bekannt, daß eine Beschwerde von Bürgern, die sich im<br />

„sozialistischen Zusammenleben“ beeinträchtigt fühlten, gegen mich vorliegt. Ich empfinde es als normal,<br />

daß die Friedensgebetsbesucher nach dem Verlassen der Kirche zusammenstehen <strong>und</strong> sich austauschen.<br />

Wieso wird mir diesbezüglich vorgeworfen, die „öffentliche Ordnung <strong>und</strong> Sicherheit“ beeinträchtigt<br />

sowie das „sozialistische Zusammenleben der Bürger“ gestört zu haben?<br />

Im Artikel 28 der Verfassung der DDR heißt es, daß alle Bürger das Recht haben, „sich im Rahmen der<br />

Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> Ziele der Verfassung friedlich zu versammeln“. Weiter heißt es im Artikel 28: „Die<br />

Nutzung der materiellen Voraussetzungen zur unbehinderten Ausübung dieses Rechts, der<br />

Versammlungsgebäude, Straßen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>gebungsplätze, ... wird gewährleistet.“ Ich sehe hierin ein<br />

Diskrepanz zwischen diesen verfassungsmäßigen Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>und</strong> der von Ihnen ausgesprochenen<br />

Ordnungsstrafmaßnahme. Es muß doch möglich sein, daß die in der Verfassung gegebenen Garantien<br />

auch für jeden Bürger persönlich erfahrbar sind, ohne daß er benachteiligt wird, wenn er von diesen<br />

verbürgten Rechten Gebrauch macht. Gleichzeitig protestiere ich gegen das willkürliche Bemessen von<br />

unterschiedlichen Ordnungsstrafmaßnahmen gegen einzelne Teilnehmer der Zusammenkunft am<br />

24.10.1988 auf dem Nikolaikirchhof, da dies eine schwerwiegende Verletzung der verfassungsmäßig<br />

geforderten Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz darstellt. Ich sehe, daß meine protokollarische<br />

Aussage in der Befragung durch die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit keinen<br />

entscheidenden Einfluß auf Ihre Entscheidungsfindung hatte. Hiermit bitte ich um Aufhebung der mir<br />

verkündeten Ordnungsstrafmaßnahme 347.<br />

[gez.] Frank Sellentin<br />

119 Flugblatt<br />

348<br />

Text eines Flugblattes , welches nach dem Friedensgebet am 05.12.1988 von einzelnen Gruppenvertretern<br />

(vor allem IG „Leben“) auf dem Nikolaikirchhof <strong>und</strong> später in Leipziger Briefkästen <strong>und</strong> öffentlichen<br />

Einrichtungen verteilt wurde (ABL H 1).<br />

10.Dezember - Internationaler Tag der Menschenrechte<br />

Am 10.12.1948 verkündete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung<br />

der Menschenrechte. Nach 40 Jahren müssen diese Rechte immer noch in diesem Land eingeklagt werden.<br />

Vermutlich wird gerade am 10.12 das öffentliche Eintreten für die Menschenrechte durch massive<br />

Demonstration staatlicher Sicherheitskräfte im Planquadrat L 9 (Stadtplan Leipzig, 9.Auflage, 1987) 349<br />

verhindert 350.<br />

347 Die Ordnungsstrafe wurde nicht zurückgenommen. Alle in dem genannten Zusammenhang belegten<br />

Ordnungsstrafen wurden nicht gezahlt, weshalb das MfS im Jahre 1989 Pfändungen vorbereitete. Dazu kam es<br />

jedoch unseres Wissens nicht mehr.<br />

348 Das Flugblatt hat A4 Format <strong>und</strong> wurde per Ormig-Matrize, Essig <strong>und</strong> kleinen Wäschemangeln hergestellt.<br />

349 Entspricht dem damaligen Karl-Marx-Platz (heute Augustusplatz) zwischen Oper <strong>und</strong> Gewandhaus. Am<br />

10.12.1988 fand in der Oper eine Parteiaktivtagung der SED-Stadtleitung statt.<br />

350 Nachdem im November der Platz vor der Nikolaikirche als politische Bühne „erobert“ war, reifte bei<br />

verschiedenen Oppositionellen die Idee, eine Demonstration im Zentrum der Stadt zu organisieren. Als Termin<br />

war der „Tag der Menschenrechte“ anvisiert. Nach einer Kosten-/Nutzen-Abwägung wurde jedoch entschieden,<br />

darauf zu verzichten, <strong>und</strong> die Gründung einer „Arbeitsgruppe zur Situation der Menschenrechte in der DDR“<br />

ohne öffentliche Aktion geschehen zu lassen. So wurde nur dieses Flugblatt verbreitet. Am 10.12.1988 wurde<br />

jedoch der Karl-Marx-Platz mehrfach inspiziert, um die Resonanz des Flugblattes zu erk<strong>und</strong>en. Dabei wurden<br />

194

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