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Freunde und Feinde

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abqualifiziert. Und es war oft genug unprofessionell, was in den von den Gruppen gestalteten Gebeten<br />

ablief, aber es kam aus den Herzen <strong>und</strong> war nicht selten getrieben vom Geist Gottes.<br />

Die Friedensgebete stellten in den letzten beiden Jahren nicht immer theologische Meisterwerke dar. Die<br />

Atmosphäre war selten meditativ <strong>und</strong> gemeinschaftsfördernd. Trotzdem waren die Friedensgebete in<br />

Leipzig das entscheidende Symbol für die Revolution in der DDR. Mir scheint es wichtig, dies<br />

herauszustellen <strong>und</strong> es mit folgenden Hinweisen zu belegen. Die vorgetragenen Elemente waren einzeln<br />

auch an anderen Orten zu finden, aber allein im Leipziger Friedensgebet waren sie alle vereint <strong>und</strong> hatten<br />

- <strong>und</strong> sie tun es noch heute! - dieser Institution ihr einzigartiges Gepräge verliehen:<br />

Die Friedensgebete wirkten als öffentliche Klagemauer mit großer Resonanz.<br />

Sie boten dabei einen kommunikativen Freiraum in der ansonsten geschlossenen Gesellschaft. Es waren<br />

die Gruppen, die den anfangs von der Amtskirche gewährten Raum strukturierten, indem sie ihn zum<br />

internen Austausch <strong>und</strong> zur gesellschaftlichen Wirksamkeit nutzten. Das Ringen um diesen Raum hielt bis<br />

zum Herbst 1989 an. Die Kirche versuchte ihn gegen den übermächtigen Staat zu erhalten, nicht ohne<br />

massiv in die Belange der Gruppen einzugreifen. Was nach außen als Meisterleistung erschien, erlebten<br />

einige im Innern als Bevorm<strong>und</strong>ung <strong>und</strong> Ausgrenzung <strong>und</strong> zogen demonstrativ aus - als kinetische<br />

Dimension der umfassenden Gesellschaftskritik, die auch vor der Kirche nicht halt machte.<br />

Den Besuchern - <strong>und</strong> gerade denen, die das Land verlassen wollten, - erschienen die Amtskirche <strong>und</strong> die<br />

Gruppen als die einzig Gerechten im Lande. Ihnen allein trauten sie noch zu, für Gerechtigkeit<br />

einzustehen.<br />

Inspiriert wurden die Friedensgebete von der - vielleicht nicht immer geglückten - Beziehung zur<br />

Transzendenz. Dadurch wuchs ihnen die Fähigkeit zu, moralische Instanz zu sein.<br />

In der Regelmäßigkeit des montäglichen Gebets liegt eine nicht zu unterschätzende Komponente der<br />

Publizität <strong>und</strong> Wirksamkeit vor. Damit war gewährleistet, daß anstehende Diskurse lange genug Thema<br />

bleiben konnten <strong>und</strong> sich nicht am nächsten Tag in der Vergessenheit verloren.<br />

Die einstündigen Ruhepunkte mit ihrer angedeuteten Kraft <strong>und</strong> Wirkung bildeten den Ausgangspunkt zur<br />

gemeinsamen Bewegung 27 auf der Straße. Erst damit war die magische Grenze überschritten, die von<br />

einer religiösen Sonderveranstaltung - wenngleich von großer Bedeutung - zur Revolution führte.<br />

Wichtige Impulse setzten hier die beiden Pleiße-Pilgerwege 1988 <strong>und</strong> 1989. Interessanterweise war diese<br />

Bewegung zeitlich dem großen Abwanderungsstrom über Ungarn vorgelagert, wurde aber dann von<br />

dessen Sogwirkung enorm beeinflußt.<br />

In der Phase der Revolution, die überall am Vorabend des 7. Oktober begonnen hatte <strong>und</strong> mit der<br />

Montagsdemo vom 9. Oktober in Leipzig bereits vorentschieden war, stellten die Friedensgebete mit den<br />

anschließenden gewaltigen Demonstrationen auf dem Innenstadtring das einzig wirksame Druckmittel der<br />

gesamten Opposition gegenüber dem Staat an den Verhandlungstischen dar. Bezeichnenderweise hatte der<br />

Leipziger Bezirkschef für Inneres die Basisgruppenvertreter schon am 14. Oktober zu einem Treffen ins<br />

Stadthaus eingeladen - was früher strikt abgelehnt worden war. Dort signalisierte er Gesprächsbereitschaft<br />

für alle anstehenden Fragen. Die einzige Bedingung, die er stellte, war die dringliche Bitte an die<br />

Basisgruppen, alles zu tun, damit am nächsten Montag keine Demonstration stattfinden werde. Selbst<br />

noch an der Hilflosigkeit dieses Anliegens wird deutlich, daß die Herrschenden - trotz totaler Ausspähung<br />

durch die Stasi - nie begriffen hatten, was wirklich lief. Denn es hätte klar sein können, daß es sich um<br />

eine Bewegung handelte, die zwar nicht allein entstanden, aber dennoch führerlos war, d. h. sich um den<br />

Kristallisationspunkt Friedensgebet selbst organisiert hatte: Die Leute würden also so lange kommen, bis<br />

entscheidende Veränderungen realisiert wären. So war das Anwachsen der Teilnehmerzahlen nicht<br />

lediglich statistisch bedeutsam, sondern es war der einzige Garant, die Staatsmacht weiterhin an den<br />

mittlerweile „R<strong>und</strong>en Tisch“ zu zwingen 28 . Nicht von ungefähr versuchte die Staatsführung auch sonst<br />

27 Dieses höchst interessante Phänomen - was gerade für die deutsche (nicht stattgef<strong>und</strong>ene) Revolutionsgeschichte<br />

bedeutsam ist - wurde von Paul Virilio theoretisch ausgearbeitet; vgl. Paul Virilio: Der negative Horizont.<br />

Bewegung/Geschwindigkeit/Beschleunigung. München/Wien 1989.<br />

28 Ich behaupte hier nicht, daß die Demonstrationen in Leipzig wichtiger gewesen seien als die in der übrigen DDR<br />

<strong>und</strong> in Berlin, sondern daß mit den sich wöchentlich selbst organisierenden Demonstrationen im Anschluß an die<br />

Friedensgebete ein Faktor bestand, dem machtpolitisch nicht beizukommen war.<br />

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