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Freunde und Feinde

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von Ausreiseantragstellern aus der Gesellschaft <strong>und</strong> ihrem Dialogmechanismus nicht für falsch,<br />

sondern für schädlich. Sie verbietet sich schon insofern, als Ausreisewillige, solange sie hier leben -<br />

<strong>und</strong> in aller Regel auch arbeiten - sowie die DDR-Staatsbürgerschaft besitzen, auch im vollen Besitz<br />

aller staatsbürgerlichen Rechte sind <strong>und</strong> zudem einen spürbaren Anteil der Gesellschaft darstellen. Daß<br />

die Ausreiseanträge häufig auch Ausdruck individueller Krisen sind, ändert nichts daran, daß [in] ihnen<br />

letztlich nur das Symptom einer gesellschaftlichen Krise zum Ausdruck kommt, für die die<br />

Antragsteller von einigen nun zum Sündenbock der Nation gemacht werden sollen. Wir halten es für<br />

falsch, auf diese Weise eigene Frustrationen <strong>und</strong> Ängste sowie gr<strong>und</strong>sätzliche gesellschaftliche<br />

Probleme zu verdrängen oder zu sublimieren.<br />

3. Wir verstehen die große Zahl der Ausreiseanträge auch als einen bewußten oder unbewußten Hilferuf<br />

aus einer für viele offenbar ausweglos erscheinenden Situation frustrierender Unmündigkeit innerhalb<br />

unserer Gesellschaft. Auch solche Anträge, die auf vordergründigen (Konsum-)motiven beruhen,<br />

weisen letztlich auf das hin, das im Bereich der menschlichen Werte <strong>und</strong> schöpferischen<br />

Entfaltungsmöglichkeiten im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeit besteht. Die Konsumorientierung<br />

vieler DDR-Bürger (auch Nichtantragsteller) ist eine Form der Kompensation unbefriedigt bleibender<br />

individueller <strong>und</strong> gesellschaftlicher Gr<strong>und</strong>bedürfnisse, deren Erfüllung das eigentliche Anliegen der<br />

sozialistischen Revolution ist. Letztlich ist diese Konsumhaltung Ausdruck menschlicher Entfremdung<br />

in vielen Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbereichen unserer Gesellschaft.<br />

4. Wir halten die entstandene Gefahr eines neuen gesellschaftlichen Feindbildes dadurch für abwendbar,<br />

daß alle Beteiligten die Chance der gegenwärtigen Situation erkennen, die darin besteht, die sich auch<br />

in der Ausreiseproblematik ausdrückende gesellschaftliche Krise ernst zu nehmen <strong>und</strong> ihre Ursachen -<br />

gerade auch im Dialog mir den Ausreisewiligen - aufzudecken <strong>und</strong> zu beseitigen. Wir haben die<br />

Erfahrungen gemacht, daß nicht selten gerade Ausreisewillige zu diesem Dialog besonders bereit sind.<br />

Lösungen können dabei nur als Ergebnis eines langwierigen Prozesses von Kompromissen <strong>und</strong> kleinen<br />

Schritten erwartet werden. Für diesen Prozeß sind Ausdauer, Phantasie <strong>und</strong> Verantwortungsbewußtsein<br />

nötig.<br />

Auch wir selbst müssen uns immer wieder fragen lassen, zu welchen konkreten Schritten wir bereit<br />

sind <strong>und</strong> wieviel Phantasie wir wirklich aufbringen. Dabei gehen wir davon aus, daß schon das<br />

Zustandekommen eines echten gesellschaftlichen Dialogs neue Hoffnung bei manchen Antragstellern<br />

für ein Leben hier in unserem Land wecken wird, den Unentschiedenen Mut zum Hierbleiben macht<br />

<strong>und</strong> die Arbeit derer, die sich bewußt für die Auseinandersetzung mit den Gr<strong>und</strong>problemen unserer<br />

Gesellschaft entschieden haben, stärkt.<br />

5. Darum halten wir es als verkehrt, unklug <strong>und</strong> schädlich, Ausreisewillige aus der Gesellschaft<br />

auszugrenzen oder an ihren Rand abzudrängen. Vielmehr müssen auch sie in einem dringend nötigen<br />

gesellschaftlichen Dialog über die Ursachen der Krise einbezogen werden.<br />

- Auch für die Öffentlichkeit bestimmt -<br />

53 Samisdat-Veröffentlichung<br />

Leserbriefe zu den Friedensgebeten aus dem Mitteilungsblatt der Leipziger Basisgruppen „Kontakte“ (Mai<br />

1988) (ABL H 2).<br />

Leserbrief von Christoph Motzer<br />

Text: Natürlich freue ich mich, wenn ich die Besucher des Friedensgebetes immer noch nicht mehr in<br />

Zehnern, sondern in H<strong>und</strong>erten messen kann. Scheint es nur so, oder sind wir, die wir in Leipzig bzw. in<br />

der DDR bleiben wollen, in der Minderheit? Leider reichten am Montag fast beide Hände, um die Leute<br />

zu zählen, welche keinen Antrag gestellt hatten. Mahnung sollte dieses Mißverhältnis für alle sein, denen<br />

eine Weiterarbeit der Basisgruppen am Herzen liegt.<br />

Es liegt an uns, das Friedensgebet wieder zum Treff engagierter Nichtantragsteller zu machen!<br />

Die aktuelle Problematik der Ausreisewilligen darf nicht die Arbeit vorhandener Gruppen ins Abseits<br />

drängen. Auch wenn ein zentraler Treffpunkt bzw. eine Kontaktgruppe zum Reizwort für manche<br />

Amtsträger in Kirche <strong>und</strong> Staat geworden ist: Wir benötigen <strong>und</strong> fordern ein Kommunikationszentrum für<br />

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